Neuner-Gremium ist "etwas anderes als Demokratie"

28.02.2012
Er wisse, dass Entscheidungen bisweilen sehr schnell gefällt werden müssten, sagt der Kläger gegen das geplante Gremium von neun Abgeordneten, Swen Schulz. Dies sei aber auch möglich, wenn alle Parlamentarier des Bundestags beteiligt seien.
Jörg Degenhardt: Wir haben uns ja fast schon daran gewöhnt, dass es in der Politik oft um Milliarden geht – wie gestern bei der neuerlichen Hilfe für Griechenland. Da konnten alle Parlamentarier im Bundestag mitreden und abstimmen. Aber muss das so sein, darf es auch Ausnahmen geben, zum Beispiel ein Spezialgremium, wie sich das die Kanzlerin vorstellt, nur neun Köpfe umfassend, das in dringenden Fällen und streng vertraulich über Milliardenhilfen des Euro-Rettungsschirms entscheidet? Kann ein Club von Auserwählten den Bundestag ersetzen?

Nein, findet etwa der SPD-Politiker Swen Schulz. Er hatte am 27. Oktober Klage eingereicht in Karlsruhe, gemeinsam mit seinem Parteifreund Peter Danckert. Die Verfassungsrichter stoppten daraufhin das Geheimgremium. Heute verkündet das Bundesverfassungsgericht ein Grundsatzurteil in der Angelegenheit. Und mein Gesprächspartner ist jetzt einer der Kläger: guten Morgen, Herr Schulz!

Swen Schulz: Guten Morgen!

Degenhardt: Sind Sie entspannt, weil Sie davon ausgehen, dass die Richter Ihnen heute erneut Recht geben?

Schulz: Nein, davon ausgehen kann man nicht. Am Ende weiß man ja nicht, wie das Gericht urteilen wird. Ich bin schon gespannt, aber auf der anderen Seite auch durchaus optimistisch, dass das Bundesverfassungsgericht uns Recht geben wird.

Degenhardt: Aber mal ehrlich: Müssen selbst im Bundestag immer alle über alles Bescheid wissen?

Schulz: Nein, das geht auch gar nicht. Wir haben so viele verschiedene Themen zu bearbeiten, das kann ein einzelner Abgeordneter nicht alles überblicken. Aber jeder Abgeordnete hat jederzeit die Möglichkeit, sich einzuschalten, weil jedes Thema diskutiert wird, zwar in den Ausschüssen vordebattiert wird, aber die Ausschüsse geben nur Empfehlungen für die Abstimmung, an der dann alle Abgeordneten teilnehmen. Und das soll ja der entscheidende Unterschied zu diesem Kleinstgremium von nur neun Abgeordneten sein. Die sollen für die anderen Kolleginnen und Kollegen selber entscheiden, ganz schnell und ganz geheim. Und das ist etwas vollkommen anderes.

Degenhardt: Aber diese Mitglieder des Spezialgremiums, die werden doch aus den Reihen des Haushaltsausschusses gewählt. Das klingt doch alles nachvollziehbar und legitim. Was stört Sie daran?

Schulz: Na, ganz offensichtlich hat die Bundesregierung sich eine Konstruktion ausgedacht, mit der zwar auf der einen Seite formal der Deutsche Bundestag beteiligt ist – es sind ja Abgeordnete, die dann am Ende entscheiden –, aber wo dann auf der anderen Seite sichergestellt ist, dass das alles reibungslos läuft. Und das kann nicht Sinn und Zweck des Parlamentarismus sein, dass sozusagen nur pro forma da irgendwie Abgeordnete angehört werden und ansonsten alles genau so gemacht wird, wie die Bundesregierung das will. Das ist etwas anderes als Demokratie.

Degenhardt: Langatmige öffentliche Plenardebatten über Hilfspakete für marode Eurostaaten würden den Finanzmärkten Zeit für Zinsspekulationen geben und Notmaßnahmen zur Verhinderung von Ansteckungsgefahren würden ins Leere laufen, hatte die Bundesregierung in der mündlichen Verhandlung Ende November zu bedenken gegeben. Können Sie denn diese Bedenken einfach so beiseite schieben?

Schulz: Ich tue das überhaupt nicht, ich schiebe die nicht einfach so beiseite, sondern ich weiß natürlich auch, dass Entscheidungen durchaus mal ganz schnell gefällt werden müssen. Das geht dann aber auch, wenn alle Bundestagsabgeordneten beteiligt sind. Sehen Sie, zum Beispiel die Griechenlandhilfe, die wir gestern abgestimmt haben: In der Wahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger ist das schon eine ewige Debatte gewesen, aber sehen Sie, diskutiert, lange diskutiert haben die Staats- und Regierungschefs und die Europäische Kommission, die Banken und so weiter. Die Entscheidung im Deutschen Bundestag ist innerhalb von wenigen Tagen passiert. Wir haben erst am Freitag die Unterlagen der Bundesregierung, die entsprechenden Anträge erhalten, und am Montag haben wir schlussendlich abgestimmt. Schneller kann das das Neuner-Gremium, dieses Kleinstgremium, auch nicht machen.

Degenhardt: Aber noch mal zugespitzt gefragt: Die europäische Schuldenkrise – und da stimmen Sie mir ja sicherlich zu – ist einmalig, sie ist bedrohlich, darf es nicht da auch von Fall zu Fall ein besonderes Vorgehen geben?

Schulz: Der Grundsatz muss lauten, dass die Bundestagsabgeordneten alle abstimmen. Nun mache ich mir ja keine … zimmere ich mir ja keine Traumwelt zurecht. Ich weiß schon, dass es Situationen geben kann, wo man auch nicht nur schnell, sondern auch geheim entscheiden muss, zum Beispiel dann, wenn die Finanzmärkte entsprechend reagieren können, wenn Insidergeschäfte drohen. Aber das kann dann auch unter Geheimhaltungsbedingungen zum Beispiel der Haushaltsausschuss machen, das sind dann über 40 Bundestagsabgeordnete, da sind dann auch Leute dabei, die durchaus auch ein bisschen kritischer sind, nicht? Das ist ja auch ein Spezifikum dieses Kleinstgremiums, das sich die Bundesregierung da ausgedacht hat, da sitzen ja von der Regierungskoalition nur Leute drin, die diesen ganzen Kurs richtig finden. Ich aber möchte, dass eben auch kritische Stimmen zu Wort kommen, und das wäre dann im Haushaltsausschuss gewährleistet.

Degenhardt: Möchte das der ehemalige Bundesfinanzminister auch, also steht Herr Steinbrück zum Beispiel an dieser Seite?

Schulz: Na, der Steinbrück hat nicht mit uns geklagt, aber ich habe auch mit ihm gesprochen, der sieht das Ganze durchaus mit Respekt. Der sagt ja, na selbstverständlich ist es das gute Recht von den Abgeordneten, für ihre Rechte, für die Rechte des deutschen Bundestages einzustehen, und dann auch nach Karlsruhe zu gehen – der guckt sich das ganz entspannt an.

Degenhardt: Das heißt, Sie und Herr Danckert vertreten keine Einzelpositionen, die es so in der SPD nicht weiter gibt?

Schulz: Wir haben sehr viel Zustimmung bekommen. Es war im Übrigen die SPD-Fraktion, die in den Beratungen des Gesetzes, über das wir hier diskutieren, immer dafür eingetreten ist, dass der Deutsche Bundestag stärker beteiligt ist. Aber das hat die Regierungskoalition – insbesondere die Bundesregierung – ja nicht gewollt.

Degenhardt: Sie haben selbst, Herr Schulz, die Abstimmung erwähnt: Ihre Partei – zum Beispiel in Gestalt von Herrn Steinbrück – kritisiert ja in der aktuellen Krise das Vorgehen der Kanzlerin. Gleichzeitig trägt aber die Sozialdemokratie die Rettungsmilliarden mit. Können Sie uns diesen Widerspruch erklären?

Schulz: Ja, das ist so ein bisschen eine vertrackte Situation. Auf der einen Seite sind wir Sozialdemokraten der Auffassung, dass diese Griechenlandhilfe, dass die Unterstützung für Staaten, die in Schwierigkeiten sind, kommen muss – im gesunden Eigeninteresse im Übrigen, auch, aber nicht nur, weil wir den Menschen helfen wollen, sondern weil wir natürlich Sorge dafür tragen müssen, dass Deutschland gute Handelspartner behält. Also das wollen wir vom Grundsatz her schon, dass diese Hilfe kommt, aber das, was die Regierungskoalition da vorlegt, so, wie Merkel agiert, es ist leider nicht ausreichend, um das Problem tatsächlich zu lösen. Wir brauchen auch Initiativen, wirtschaftliche Impulse, damit solche Staaten wie Griechenland auch auf die eigenen Beine kommen können und sich nicht immer weiter in die Krise hinein kürzen. Das ist sozusagen die Schwierigkeit: Es ist zwar notwendig, was da jetzt abgestimmt wurde, aber nicht hinreichend. Deswegen gibt es ein ja, wir unterstützen das, aber wir wollen eigentlich noch andere weitere Maßnahmen mehr haben.

Degenhardt: Swen Schulz war das, SPD-Bundestagsabgeordneter und Kläger in Karlsruhe. Herr Schulz, vielen Dank für das Gespräch!

Schulz: Ich danke Ihnen!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Die SPD-Bundestagsabgeordneten Peter Danckert (links) und Swen Schulz warten im Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe auf den Beginn der mündlichen Verhandlung über Regeln zu Eurohilfen.
Die Kläger Peter Danckert (links) und Swen Schulz© picture alliance / dpa - Ralf Stockhoff
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