Neues Weltkulturerbe im Irak

Die Ruinenstadt Babylon

23:30 Minuten
Besucher laufen durch den Nachbau des Ishtar-Tores in den Ruinen von Babylon.
Nachbau des Ishtar-Tores: Babylon im Irak gehört seit Juli 2019 zum UNESCO-Weltkulturerbe. © Picture Alliance / AP Photo / Anmar Khalil
Von Anne Allmeling · 17.09.2019
Audio herunterladen
Einst Hochkultur, dann Ruine, später US-Militärlager – Babylon musste einiges aushalten. Nun steht ein Neubeginn bevor: Seit dem Sommer gehört die antike Stätte zum UNESCO-Weltkulturerbe. 30 Jahre lang hatten irakische Regierungen dafür geworben.
Makram Mohammed schließt ein schweres Eisentor auf, steigt eine Treppe aus Stein hinab. Der Tourguide tritt ganz nah heran an die große, alte Mauer, liest die Keilschrift auf den Ziegelsteinen und übersetzt:
"Dinga-nabu-gudurri-oser – Möge Gott meine Nachkommen beschützen. Und hier: Ka dingerra – Das Tor Gottes. Babylon bab eli bedeutet genau das gleiche: Das Tor Gottes."
Von den Ziegeln heben sich Stiere und Fabelwesen ab: prachtvolle Reliefs, die antike Gottheiten darstellen. Sie gleichen den Wesen, die das Ischtar-Tor im Pergamonmuseum in Berlin schmücken – nur dass sie nicht farbig sind, sondern hellbraun wie die Ziegel. Hunderte Forscher hat Babylon in ihren Bann gezogen, später Touristen aus aller Welt. Doch dann wurde es still um die berühmten Ruinen. Im Irak herrschte Krieg. Mittlerweile kommen wieder Besucher: Ahmed und seine Freundin Zeinab betrachten andächtig die alten Mauern.

Symbol für ein positives Bild vom Irak

"Dieser Ort ist wichtig für den Irak. Er strahlt Kultur aus und zeichnet ein positives Bild von unserem Land. Das motiviert Touristen, den Irak zu besuchen und die vorchristlichen Epochen zu erkunden – und zu erfahren, wie die Menschen damals gelebt haben."
Babylon wurde bereits im dritten Jahrtausend vor Christus gegründet. Über diese frühe Siedlungszeit ist kaum etwas bekannt. Doch die Bauwerke, die im sechsten Jahrhundert vor Christus unter dem babylonischen König Nebukadnezar II. entstanden, sind in Teilen bis heute erhalten. Sie zeugen von der Pracht und dem Einfluss der babylonischen Hauptstadt.

Saddam Hussein ließ sich in Babylon einen Palast bauen

Makram Mohammed klatscht in die Hände. Das Echo hallt zwischen den hohen Mauern. Unter Saddam Hussein wurden sie in den 70er- und 80er-Jahren rekonstruiert. Die modernen Ziegel sind leicht erkennbar: Der frühere Herrscher im Irak ließ sie mit seinem Namen versehen – und sich auf einem künstlich errichteten Hügel einen Palast bauen. Makram Mohammed erinnert sich gerne an diese Zeit.
"Wir haben Saddam getroffen. Er hat uns sogar begrüßt und uns die Hand gegeben. Als eine Blockade gegen den Irak verhängt wurde, haben wir beim Bau mitgeholfen. Denn als Beamter bekam man damals 2000 Dinar im Monat, umgerechnet zwei Dollar. Aber als Bauarbeiter bekam ich diese pro Tag. Daher nahm ich mir unbezahlten Urlaub und machte mit. Saddam kontrollierte die Bauarbeiten regelmäßig und bei jedem Besuch bekamen wir eine Belohnung."
Heute thront der riesige Bau über den Stätten von Babylon – ungenutzt.
Ein Gruppe junger Pfadfinder aus Nadschaf schlendert vorbei, versammelt sich um einen imposanten Löwen aus Granit. Hazem Al-Kaabi begleitet die zehn- bis zwölfjährigen Jungen.
"Dieser Besuch bedeutet uns sehr viel. Wir zeigen uns solidarisch mit unserer Geschichte und unseren Altertümern. Wir unterstützen die Aufnahme von Babylon in die Liste des Weltkulturerbes. Unsere Schulen und Kinder sollen die Bedeutung von Babylon kennenlernen."

Irakische Regierung hofft auf Touristen

In den heißen Spätsommertagen besuchen nur wenige Menschen Babylon, kein Wunder bei Temperaturen von weit über 40 Grad. Im Winter, wenn es kühler wird, lädt das weite Areal zum Spazierengehen ein – über die antike Prachtstraße, durch das Labyrinth der alten Palast-Mauern bis zum Ufer des Euphrat und den kargen Überresten des Turms zu Babel. Auf großen Andrang ist die antike Stätte allerdings nicht eingerichtet. Das soll sich bald ändern.
"Nach der Aufnahme von Babylon in die Liste des Weltkulturerbes haben wir einen Plan vorbereitet", erklärt der Architekt Nour Diaa. "Uns stehen finanzielle Mittel zur Verfügung, um die besonders gefährdeten Bauten zu restaurieren. Zu den Projekten gehört auch ein Weg, der den Besuchern die Richtung weist und sie auf Distanz zu den antiken Bauten hält."
Die sind frei zugänglich – und haben schon einiges aushalten müssen. Im Jahr 2003 errichteten die Amerikaner in Babylon einen Militärstützpunkt.
"Als die US-Soldaten hier einmarschierten, wurden viele Altertümer zerstört und gestohlen", erinnert sich Makram Mohammed. Ich habe ihnen gesagt: Das ist unsere Geschichte, nicht eure! Sie haben mich verhaftet und 18 Tage festgehalten. 18 Tage lang habe ich die Sonne nicht gesehen. Aber das war aus Liebe zu meinem Babylon."

"Babylon ist das Blut in meinen Adern"

Makram Mohammed ist im angrenzenden Dorf aufgewachsen und zur Schule gegangen. Er und zwei seiner Brüder arbeiten seit über 30 Jahren als Touristenführer. Wenn Makram Mohammed von Babylon erzählt, strahlen seine Augen – immer noch.
"Babylon ist das Blut in meinen Adern. Babylon ist für mich wichtiger als meine Familie und meine Kinder. Denn ich sehe in Babylon das Menschliche, das Gerechte und die Weisheit. Alle Herrscher sind vergangen – aber Babylon ist geblieben. Wenn man mich um eine Gabe aus Babylon bittet, dann sage ich: Nehmen sie einen Sohn von mir, aber keinen Stein von Babylon."

Irak nach dem IS – die Kultur in Bagdad blüht auf
Auch wenn die Bedingungen schwierig sind. Nach 40 Jahren Krieg und Zerstörung kann Bagdad wieder atmen – und damit auch die Kultur. Kunstfestivals und Theater sind so gut besucht wie lange nicht, das Nationale Symphonieorchester probt unermüdlich, obwohl es keine einzige Konzerthalle gibt. Korrespondent Carsten Kühntopp ist eingetaucht in die Kulturszene der Stadt.
Audio Player

Mehr zum Thema