Neues vom Urknall

06.05.2008
Simon Conway Morris glaubt an einen großen Plan in der Geschichte der Evolution. Sein Sachbuch "Jenseits des Zufalls" ist eine gigantische Spekulation, die die Naturwissenschaft letztlich mit der Theologie versöhnen will - und ein packender Durchgang durch die Geschichte der belebten Natur.
Natürlich wird es sich nie sauber beweisen lassen, ob der Homo sapiens mitsamt seinem stolzen Bewusstsein schon im Augenblick des Urknalls angelegt war- wie Simon Morris unterstellt. Aber Evolutionsbiologie ist (eben) halb Natur- und halb Geisteswissenschaft, sie kennt harte Fakten und den Streit um Deutungen.

In "Jenseits des Zufalls" untersucht Morris die Naturgeschichte von der Synthetisierung der Proteine über das Sozialleben der Ameisen bis zur mutmaßlichen Alleinstellung der menschlichen Reflexivität unter drei Gesichtspunkten: Warum haben sich bestimmte Lebensformen im "Hyperraum" der molekularen Möglichkeiten überhaupt durchgesetzt? Welche Alternativen wären hier oder auf anderen Planeten machbar, welche nicht? Und wie kommt es zu den verblüffenden Konvergenzen in der Evolution?

Morris’ naturgeschichtliche Untersuchung, die beim Leser Kenntnisse auf dem Niveau eines Biologie-Leistungskurses voraussetzt, überzeugt durch Sachkundigkeit, Stilistik und Humor. Man wird hineingerissen in die Arena der Evolution, durchschweift von simplen Kohlenstoff-Verbindungen über die Photosynthese bis zum Werkzeuggebrauch der neukaledonischen Geradschnabelkrähe die Erdgeschichte und erlebt viel Abenteuerliches, Erstaunliches, Wunderbares.

Das heißt, man profitiert von der Lektüre von "Jenseits des Zufalls" enorm, selbst wenn man Morris’ spekulative Grundthese anzweifelt: Dass nämlich "Evolution nicht frei flottiert, sondern eine Richtung hat" und dass Zufälle, in der klassischen Evolutionstheorie das A und O aller Prozesse, "auf lange Sicht keine große Auswirkung auf das entwicklungsgeschichtliche Endprodukt haben".

"Jenseits des Zufalls" bekämpft jeden materialistischen Reduktionismus mitsamt den modischen Mythen von der absoluten genetischen Determination des Lebens. Das ist sehr erfrischend, ändert indessen nichts daran, dass Morris seine eigene Evolutionsdeutung ziemlich gebetsmühlenhaft in den sonst fulminant abwechslungsreichen Text integriert.

Ob das Schauspiel der Konvergenz eine Neubewertung evolutionärer Prozesse im Morrisschen Sinn nötig macht, werden Fachdiskussionen zeigen. Höchstwahrscheinlich hat sich in "Jenseits des Zufalls" kein neuer Charles Darwin oder Ernst Mayr Gehör verschafft. Wohl aber ein Wissenschaftler, der offensiv mit den Grenzen aller Naturwissenschaft umgeht, anstatt sie in starren Dogmen zu zementieren.

Morris befürwortet eine "Aussöhnung zwischen der naturwissenschaftlichen Weltsicht und dem religiösen Instinkt" – und sein Buch ist ein bemerkenswerter Schritt dazu.

Rezensiert von Arno Orzessek

Simon Conway Morris: Jenseits des Zufalls. Wir Menschen im einsamen Universum
Aus dem Englischen von Stefan Schneckenburger
Berlin University Press, März 2008
367 Seiten, 39,90 Euro