Neues vom spanischen Film

Von Wolfgang Martin Hamdorf |
Nur wenige der rund 150 spanischen Produktionen pro Jahr kommen in die deutschen Kinos. Aber am 21. Juni starten gleich zwei Werke sehr unterschiedlicher Filmemacher. "Obaba" basiert auf dem Roman des baskischen Autors Bernardo Atxaga, und das Familiendrama "Azuloscurocasinegro" ("Dunkelblaufastschwarz") erzählt von den sozialen Vorurteilen im modernen Spanien.
Eine junge Filmstudentin soll Gegenwart und Geschichte eines geheimnisvollen Bergdorfs dokumentieren und verliert sich immer mehr in verwirrenden Einzelgeschichten.

Mit "Obaba” hat Regisseur Montxo Armendariz den Erfolgsroman "Obabakoak oder Das Gänsespiel” des baskischen Schriftstellers Bernardo Atxaga für die Leinwand adaptiert und einige der insgesamt 28 Einzelepisoden zu einer dramaturgischen Einheit verflochten.

Eine Figur ist der deutsche Ingenieur jüdischer Herkunft, ein Außenseiter in der Dorfgemeinschaft. Für diese Rolle reiste der deutsche Schauspieler Peter Lohmeyer auf eigene Faust zum abgelegenen Drehort in die Pyrenäen:

"Und da fährt man echt lange und ich hab mich prompt verfahren und es wurde immer später und es wurde Nacht und es waren ganz viele Kurven, die ich gefahren bin wie im Film (...) und das irre war, die haben alle so zusammengearbeitet auch die Kinder, die da mitspielen, das sich ganz viele Rätsel, im Buch schon manchmal sich mir bei den Dreharbeiten schon erschlossen haben (…) in so kurzer Zeit habe ich so viele Welten gesehen, in einem Dorf gibt es ganz viele Welten und davon habe ich ganz viele entdeckt."

Für Regisseur Montxo Armendariz ist die Atmosphäre des Dorfs auch eine Metapher für den Umgang mit der Vergangenheit.

"Alle Protagonisten sind einsam und haltlos. Sie suchen nach einem inneren Gleichgewicht in sich selbst, aber auch in dem Ort, in dem sie leben. In ihnen allen ist die Vergangenheit lebendig. Sie können ihr nicht entrinnen und ihr Leben wird unbewusst von dieser Vergangenheit bestimmt, ist immer gegenwärtig."

So bei dem zwielichtige Hotelbesitzer, der giftgrüne Eidechsen züchtet, die Lehrerin, die auf den erlösenden Liebesbrief wartet oder dem schweigsamen Mörder in der psychiatrischen Klinik. Bei allen irrealen und fantasievollen Elementen, wehrt sich der Filmemacher aber gegen das Etikett "magischer Realismus”:

"Es ist ein Spiel mit der Wirklichkeit und unserer Erinnerung. Wenn wir uns erinnern oder fantasieren, dann machen wir nichts Magisches, aber wir verändern die Wirklichkeit. Die Erinnerung an deine Kindheit etwa, ist immer anders als die Wirklichkeit war, weil sie von unseren Wünschen und Illusionen geprägt wird."

In seiner vergeblichen Suche nach der Vergangenheit und der geheimnisvollen Spannung unter der idyllischen Oberfläche erinnert der Film des 56-jährigen Montxo Armendariz an den Erzählduktus einer älteren Generation, der Regisseure des "nuevo cine español”, des spanischen Films der 60er und 70er Jahre. An die Filme etwa von Carlos Saura oder Victor Erice, die oft in ländlicher Abgeschiedenheit spielen und noch zu Lebzeiten Francos auf verschlüsselte Weise die Psychologie einer versteinerten spanischen Gesellschaft in den letzten Jahre des Franco-Regimes widerspiegelten.

In einem Film wie "Obaba" wirkt diese Erzählweise allerdings anachronistisch, wie ein zeitloser Manierismus.
Unterdessen finden jüngere spanische Filmemacher ihren Gegenwartsbezug in ebenso alltäglichen wie dramatischen Geschichten.

"Azuloscurocasinegro” (Dunkelblaufastschwarz) ist ein vielschichtiges Familiendrama um einen jungen Mann, der als Hausmeister arbeitet, obwohl er eigentlich als Betriebswirt arbeiten soll. Aber sein Bruder sitzt im Gefängnis und sein Vater ist nach einem Schlaganfall ein Pflegefall.

Lebendig beschreibt der Film einen Mikrokosmos der spanischen Gesellschaft und streift dabei elegant ganz unterschiedliche soziale Brennpunkte: die häusliche Pflegesituation, der schwierige Arbeitsmarkt, die Brutalität im Strafvollzug. In seinem Erstlingsfilm inszeniert David Sanchez Arevano Generationskonflikte und soziale Differenzen, ohne dabei jemals larmoyant oder pathetisch zu werden, - mit vielen Zwischentönen, und als gelungene Gratwanderung zwischen tragischen und komischen Elementen:

"Ich wollte kein düstres Melodrama machen und die Geschichte nicht noch dunkler machen, als sie schon ist. Für mich ist die Familie ein kleines Abbild der Welt: hier gibt es alles, Liebe, Hass, Tränen, Lachen, Gefühle und Kälte. Diese Vielfalt wollte ich auch in meinem Film vermitteln: die Familie, die gleichzeitig so unterdrückend, aber auch befreiend sein kann."

Daniel Sánchez Arevano gehört zu einer neuen Generation spanischer Regisseure, die sich durch einen sozialen Realismus mit ganz populären Elementen auszeichnet, mit einem Gespür für das Publikum und auch durch eine starke Anpassungsfähigkeit an die Wirklichkeit:

"Wir sind zum Beispiel besser daran gewöhnt mit Einschränkungen und knappen Etat zu arbeiten. Unsere Generation kommt vom Kurzfilm, da lernst du zu improvisieren, um deine eigenen Geschichten zu erzählen. Ich habe 14 Kurzfilme gemacht, bevor ich meinen ersten langen Film gemacht habe. Die habe ich auch fast alle produziert, weil es mir darum ging, wirklich Filme zu machen und wenn ich kein Geld gehabt hätte, um meinen ersten Film so zu machen, wie er geworden ist, hätte ich eine einfachere Geschichte geschrieben. Etwa über zwei Personen hier in diesem Raum. Die Hauptsache ist doch wirklich gute Filme zu machen."

Zwei so unterschiedliche Filme wie Obaba und Azuloscurocasinegro zeigen auch die Vielfalt des spanischen Films. 150 Filme werden im Jahr produziert, aber um die Förderung und den Schutz des spanischen Films gibt es seit langem eine heftige politische Diskussion. Während die regierenden Sozialisten nach französischem Vorbild den Film als Kulturgut schützen wollen, setzt die konservative Opposition auf die Gesetze des Marktes. Am Montag streikten 90 Prozent der spanischen Kinos gegen die Pflichtquote, ein Viertel des Programms mit spanischen oder europäischen Filme ins Programm zu besetzen. Aber auch bei Diskussionen um einzelne Maßnahmen, begrüßen die meisten spanischen Filmemacher staatliche Interventionen zugunsten der einheimischen Filmproduktion:

"Hier in Spanien und wahrscheinlich woanders in Europa auch, ist die amerikanische Filmindustrie sehr stark. Unsere Filme kämen kaum zur Aufführung und wenn überhaupt nur dann ganz wenige Tage, dann müssen sie wieder Platz machen für den nächsten Kinostart, für die nächsten zehn Kinostarts von neuen Hollywood-Filmen. Ich glaube, es ist wichtig, dass die Politik unsere eigene Kultur unterstützt."
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