Neues vom dichtenden Architekten

04.12.2006
Der Österreicher Friedrich Achleitner führt eine erfolgreiche Doppelexistenz. Als Literat ist sein Name eng mit der avantgardistischen "Wiener Gruppe" verbunden, einer "Arbeitsgemeinschaft" (so das Mitglied Konrad Bayer), in der sich ab 1952 eine junge Autorengeneration zusammenfand, die sich in der Tradition der künstlerischen Avantgarde des Dadaismus und Surrealismus verstand und der experimentellen Konkreten Poesie eines Eugen Gomringer verwandt fühlte.
Innerhalb dieser Gruppe lenkte Achleitner sein Interesse vor allem auf phonetische Schreibweisen, die dem "lautlichen reichtum" des Dialekts entspringen. 1969 erschien der, gemeinsam mit H.C. Artmann und Gerhard Rühm konzipierte, legendäre Band "hosn rosn baa" ("Hosen Rosen Beine"). Bald ging Achleitner eigene Wege, um – ausgehend von der Sprachphilosophie Ludwig Wittgensteins – das Funktionelle sprachlicher Strukturen zu untersuchen.

Im bürgerlichen Leben arbeitet Friedrich Achleitner als Architekt, der an der Akademie der bildenden Künste Wien studierte und auch als Architekturkritiker Wortarbeit leistet. Nachdem er lange Zeit dem literarischen Betrieb fern blieb, begeistert er seit einigen Jahren wieder seine Fangemeinde.

In seiner Gedichtsammlung "und oder oder und" ist zu vernehmen:

"zuerst ging der dichter durch die mariahilfer straße und
dann ging die mariahilfer straße durch den dichter"


Somit treffen der Autor und der Architekt Achleitner in kreativer Weise aufeinander. In 104 Miniaturtexten präsentiert der Autor mit hintergründigem Humor und doppelbödigen Inhalten die bewegte Alltäglichkeit des Schreibenden. So heißt es im Gedicht "dichterische notdurft":

"hast du heute schon deine dichterische notdurft verrichtet? na ja. Einen vierzeiler. und du? ich habe schon meine täglichen achtzehn zeilen hinter mir. So, achtzehn zeilen? das war auch das pensum von karl heinrich waggerl. ich würde dir neun zeilen empfehlen."

Seine subtilen Beobachtungen konfrontieren den Leser mit skurrilen Gewohnheiten des Homo sapiens (Gedicht "tischzettel") und manchmal versucht Achleitner die Geschichten vor einer Geschichte zu ergründen. Wen wundert es da, wenn plötzlich das Märchen "noch selbst auf dem brunnenrand" sitzt und die philosophisch anmutende Frage stellt, was es für einen Sinn hat, "auf einem brunnenrand zu sitzen und in ein schwarzes loch zu starren", um schließlich erkennen zu müssen, dass ohne "grimm" gar nichts geht.

Achleitners Sprachbilder en miniature helfen die Angestrengtheiten des Alltags zu entkrampfen und brechen den oft fest gefahrenen Blickwinkel spielerisch auf. Seine Kunstfertigkeit beruht dabei auf einer klugen Methode, die den dargestellten Sachverhalt weder entschärft, noch lächerlich macht.

Denn die in den Wörtern eingeschlossene ursächliche Bedeutung wartet darauf, entlarvt zu werden. In der Redundanz sprachlicher Konstruktionen erscheint die Erkenntnis darüber dann klar wie destilliertes Wasser, denn es liegt vieles "auf der hand, dass vieles auf der hand liegt, was nicht auf die hand gehört und bei dem man sich fragt, wie es auf die hand gekommen ist".

Rezensiert von Carola Wiemers

Friedrich Achleitner: und oder oder und
Zsolnay Verlag 2006
104 Seiten. 14,90 Euro