Neues Leben aus Stettin

Polnische Familien ziehen in die deutsche Grenzregion

Von Vanja Budde · 24.06.2015
Junge polnische Familien zieht es aus Stettin in die Uckermark, wo man Grundstücke und Häuser nachgeworfen bekommt, wo polnische Handynetze funktionieren und wo man polnisches Radio hören kann. Der Weg in die nur 20 Kilometer entfernte polnische Großstadt ist von dort nicht weit.
Die Fahrt von Potsdam ins Städtchen Gartz an der polnischen Grenze ist weit: Rund zwei Stunden ist man unterwegs. Kurz vor dem Ziel schwinden die deutschen Sender im Autoradio, dafür kann man jede Menge polnische Programme hören und wird per SMS vom Handynetz des Nachbarlandes begrüßt.
"Letzte Ausfahrt vor der Grenze" steht am Autobahnabzweig nach Gartz. Pommern hieß dieser Landstrich früher, erzählt der junge Amtsdirektor Frank Gotzmann. Im Besprechungssaal des Amtes steht eine Schautafel mit den Grenzorten auf deutscher und polnischer Seite, dazwischen die Oder. Darüber prangt in großen Lettern: "Grenzübergreifende Metropolregion Stettin".
Amtsdirektor Frank Gotzmann: "Der Hintergrund ist der, dass wir gesagt haben: Wir sind so weit ab hier im Nordosten Brandenburgs, dass wir eigentlich von Potsdam und Berlin überhaupt nicht profitieren können. Da haben wir gesagt: Okay, dann drehen wir uns einfach mal um und sagen: Können wir jetzt nicht von der Großstadt Stettin profitieren? Weil in Stettin 410.000 Einwohner leben und im ganzen Amtsbereich von Gartz-Oder leben 7.000 Einwohner."
Und davon sind schon zehn Prozent Polen. Stettin ist einer der größten Seehäfen der Ostsee, hat ein halbes Dutzend Universitäten, viele junge Leute gründen dort eine Familie. Und immer mehr von ihnen entdecken die Uckermark, auch aus finanziellen Gründen:
Für den Preis einer Zweizimmerwohnung in Stettin bekommt man im Amt Gartz ein 300 Quadratmeter großes Haus mit riesigem Garten.
Deutsche sehen die Zuwanderung positiv
Frank Gotzmann schwingt sich auf sein Fahrrad und fährt auf den holprigen Kopfsteinpflasterstraßen seines Städtchens voraus zum Sportplatz an der Oder. Dort ist heute Schulfest. 60 der 180 Erstklässler im Amt Gartz sind kleine Polen. So wie Lena, die siebenjährige Tochter von Morguszata Markewisz, die hier als Lehrerin für Mathematik, Englisch und Sachkunde arbeitet.
Morguszata Markewitsz: "Sie werden nie eine Sprache in Stettin so schnell lernen wie hier in Deutschland vor Ort. Und eine Sprache zu kennen, ist ein Schatz. Uns ist wichtig, dass wir auch hier leben und nicht nur übernachten, ja? Deswegen sind unsere Kinder in Sportvereine, Schwimmen, Fußball, mein Mann bei der Feuerwehr, ich auch, Schulverein, also das ist uns auch sehr wichtig."
Die große Mehrheit der deutschen Gartzer sehe die Zuwanderung aus Polen positiv, meint Amtsdiektor Frank Gotzmann.
Frank Gotzmann: "Für uns ist es toll. Die Dörfer erfrischen auch. Weil, wenn Sie eine junge Familie hier haben und die kommen mit Kindern und die Kinder integrieren sich in das Dorf, das Dorf blüht ja auf und es ist ja wieder Leben da. Das merken natürlich auch die älteren Einwohner. Die finden das auch gut."
Zwar gibt es in der Uckermark durchaus auch einzelne Stimmen, die von zu vielen Fremden murmeln und vom Ausverkauf. Aber die meisten erkennen an, dass die neuen Nachbarn die verlassenen, halb verfallenen Häuser aufmöbeln und dass mit ihnen der gesamte Landstrich auflebt.
Frank Gotzmann: "Wir haben davon unheimlich profitiert, unsere Kindergärten sind voll, wir haben wieder Wartelisten, wir haben wirklich auch einen Ansturm an Erstklässlern in diesem Jahr. Wir haben im letzten Jahr das erste Mal nach 18 Jahren zwei neue Lehrer eingestellt."
Man spricht selbstverständlich Polnisch
Der Gemüse- und der Blumenladen in Gartz haben polnischen Inhaber und in der Greif Apotheke am Markt kommen beide Pharmazeuten aus Polen. Marius Novara stammt aus Schlesien, hatte ein bisschen Deutsch von seiner Großmutter gelernt, aber am Anfang dennoch ganz schön zu kämpfen.
Marius Novara: "Die Kunden, der Umlauf in der Apotheke war alles ein bisschen stressig, aber jetzt nach zwei Jahren kann ich sagen: Es geht."
Christine Fiebelkorn ist die Inhaberin der Apotheke. Sie hat nicht aus Prinzip Mitarbeiter von jenseits der Grenze eingestellt, sondern weil sie musste:
Christine Fiebelkorn: "Also eigentlich ist der ursächliche Grund, dass wir inzwischen hier ganz große Probleme haben, und nicht nur in diesen kleinen Orten, auch so in größeren Orten, in Schwedt und so, inzwischen Personal zu bekommen, weil viele junge Leute hier weg sind. Und hier wohnen inzwischen in Gartz schon ein ganz Teil Polen."
Die können Marius Novara und Karolina Alaba nun auf Polnisch bedienen, was praktisch ist.
Christine Fiebelkorn: "Als das losging, da war ich auch etwas skeptisch und hab gedacht: Oh, wenn die jetzt alle hierherziehen und so. Aber inzwischen sehe ich das nur positiv. Es ist schon auch für uns eine spannende Sache, aber eigentlich, finde ich, ist es ein geglücktes Experiment."
Marius Novara überlegt, ganz und gar auf die deutsche Seite überzuwechseln:
"Ich lebe noch in Stettin und arbeite in Gartz, aber vielleicht ändert sich das auch. Mir geht es um die Landschaft, um die Ruhe, keine Hektik, alles hat seinen Gang. Also ich bin begeistert."
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