Neues aus dem deutschen Märchenwald

05.05.2011
"Aus der Zeit gefallen" sei der "Deutsche Märchenwald", meint der Autor. "Aus der Zeit gefallen" denkt sich gelegentlich auch der Betrachter der politischen Bundesakteure da in Berlin. "Märchenhaft" kommt dem Besucher im Bergischen Land so manches, dem Beobachter in Berlin recht vieles vor. Beide Orte eint übrigens der Knopfdruck. Dann können der Besucher dort und der Beobachter da so manchem "Märchen lauschen". Also: Es war einmal …
Deutscher Märchenwald
Von Moritz Wissel

"Meine lieben Gäste, ich begrüße sie im Namen des Deutschen Märchenwaldes und heiße sie recht herzlich Willkommen."

Das Willkommen stammt aus dem vergangenen Jahrtausend, wurde 1955 für immer auf Tonband gebannt - die Stimme des Erfinders des Märchenwaldes, Wilhelm Schneider.

"Wenn sie meinen Märchenwald aufmerksam betrachten, so werden sie finden, dass dort nur Grimms Märchen plastisch dargestellt sind."

Herr Kreber: "Mein Name ist Detlef Kreber. Ich wohne hier in Altenberg, das gehört zu Odenthal. Wir führen hier seit drei Generationen den Märchenwald. Wir haben das Restaurant dabei. Früher hat der Herr Wilhelm Schneider das hier gekauft bei einer Zwangsversteigerung. Er hat da mit fünf Häuschen angefangen, und 1936 war dann die Eröffnung von dem ersten Gastraum."

Mit dem Auto-Navigationsgerät in den Märchenwald. "Märchenwaldweg 15" eingeben, bestätigen, Rheinisch-Bergischen Kreis. Wer ihn dann ansteuert, gelangt mit großer Wahrscheinlichkeit über Serpentinen, die wie eine Rampe direkt in den Naturpark Bergisches Land führen, nach Altenberg, fährt am 750 Jahre alten Dom vorbei, stoppt auf einem großen Parkplatz.

Frau Kreber: "Dann kommt um die Ecke als erstes die Gänsemagd. Da ist ein großer Weiher dabei. Und dann das, was neu gekommen ist - der Froschkönig, der liegt unterhalb. Und dann kommt als nächstes das Rumpelstilzchen Häuschen, das ist ein richtiges Schwarzwaldhaus."

Wilma Kreber erklärt konzentriert und ein wenig schüchtern den märchenhaften Rundkurs auf den Spuren der Grimms. Der Märchenwald ist ein Familienbetrieb. Das Ehepaar Kreber, die Familie, lässt auf Knopfdruck in Miniaturhäusern entlang des Weges Geräusche und Stimmen vom Band sprechen.

"Tischlein, deck Dich!"

In der Hütte geht ein Licht an und ein Tischlein deckt sich: Tongeschirr hängt an Nylonfäden und sinkt auf Kommando zögernd wie in Zeitlupe von der Decke auf den schweren Holztisch. Ein scheppernder Lautsprecher ersetzt die Märchen erzählende Großmutter, gibt die ganze Geschichte preis. Die ist manchmal so lang, dass kleinere Kinder mitunter das Happy End entnervt versäumen. Die lebensgroße Rapunzelpuppe lässt ihren blonden Zopf aus dem Türmchen zur Erde gleiten. Ruckartig. Ihr Blick bleibt starr, immer. Und der Böse Wolf atmet im Schlaf unter der karierten Daunendecke der Großmutter. Manche der Puppen und Hütten sind über vierzig Jahre alt. Die Patina ist echt.

Frau Kreber: "Dann kommen die sieben Raben, das Rapunzel ... und dann kommen wir zum gestiefelten Kater und dann kommt eigentlich der ältere Teil vom Märchenwald, die Häuschen, die noch von damals sind."

Von damals ist auch die 1956 eingeweihte Wasserorgel. Immer zur vollen Stunde wird sie in der "Brüder-Grimm Ehrenhalle" der Gaststätte, aus einer kleinen Kanzel, mit der Hand gespielt. Farbig angestrahlte tanzende Wasserfontänen bemühen sich rührselig um den Takt klassischer Musik – früher ein Magnet für Busladungen voller Touristen. Heute rutschen gerade eine Handvoll Kinder während der Vorstellung auf ihren Stühlen hin und her.

Frau Kreber: "Da ist noch das alte Häuschen von dem Hänsel und Gretel, da sind richtig noch diese Lebkuchen drauf. Und das Rotkäppchen ist aber schon erneuert, das war in kleinerem Ausmaß dagestanden und das ist in den 70er Jahren neu gekommen. Nach dem Rotkäppchen kommt dann Schneeweißchen und Rosenrot, und das letzte Märchen ist dann das Dornröschen."

Und dann ist da noch die Gaststätte in rustikalem Charme. Die Möbel sind mit Motiven aus Grimms Märchen verziert. Ältere Damen in weißen Kitteln und mit Dauerwellen, wie auf Fotos aus den 50er Jahren, tragen bergische Waffeln und Bohnenkaffe auf die Sonnenterasse. Manche Angestellte arbeiteten hier seit mehr als 40 Jahren.

Es scheint, als seien der museale Park, die Gaststätte, und sogar die Mitarbeiter in den Dornröschenschlaf des Unveränderlichen gefallen. Nichts stört diesen nostalgischen Eindruck, es gibt scheinbar keine Zugeständnisse an "neue Freizeit- oder Amüsiertrends".

Alexander Ziegler: " Für mich waren es immer wieder so Ausflüge in eine andere Zeit. Also, die Mitarbeiter, die eigentlich, wie in so einem Märchen fast schon, teilweise schon weit über 80 waren, und da immer noch mit so einer Hingabe arbeiteten. Es ist nicht die Welt von Handy, digital – alles was Heute zählt, das gibt es nicht. Man kriegt ein Kännchen Kaffee, die Gaststätte ist so ‚asbach uralt’ braun ... Deckchen. Das ist viel Kindheit was man da so sieht."

Herr Kreber: " Und wir hoffen, dass es so weitergeht, dass wir auch noch in 20 Jahren hier noch sitzen und ein bisschen arbeiten, ne?"

Frau-Holle-Land
Von Moritz Wissel

Von Altenberg machte sich Moritz Wissel auf nach Witzenhausen. Dort, so erfuhr er. wurde ein Quietscheentchen-Rennen auf der Werra wie ein "kleines Volksfest" gefeiert. Die private Initiative wandelte sich flugs ein Anliegen der Stadtoberen, die nun Schiffchen in einer Vollzugsanstalt fertigen ließen und selbige ins Rennen schickten. Die nun wurden von hunderten gelben Badeentchen überholt, die der einst private Initiator etwas weiter flussaufwärts heimlich zu Wasser ließ und damit ins Rennen schickte. Die Presse feixte, der Privatmann rieb sich die Hände und Moritz Wissel war im Bild – da im Frau-Holle-Land unweit von Kassel gelegen.

Wolfgang Dovidat: "Willkommen im Märchen. Recht herzlich willkommen im Reich der Kirschenkönigin und im Land der Hollefrauen."

Wolfgang Dovidat zündet am helllichten Tag am Stehtisch im Hof seiner Hotelanlage eine Kerze an, und redet zehn Minuten ohne Pause über ein Thema, mit dem er sich schon seit geraumer Zeit beschäftigt.

Wolfgang Dovidat: " Im Land der Hollefrauen? Sie meinen, das heißt im Land der Frau Holle? Nein, ich hab mich nicht versprochen – im Land der Hollefrauen, denn vom heutigen Thüringen bis nach Niedersachsen gab es überall Hollefrauen."

Wir befinden uns in Nordhessen, an einem Ort im Werra-Meißner Kreis, ziemlich genau zwischen Kassel und Göttingen.

Wolfgang Dovidat: "Wenn sie krank waren, dann haben sie eine Frau Holle gerufen und die Frau Holle hat mit den Kräutern des Waldes sie geheilt. Wenn das Vieh krank war, kam die Frau Holle, und die Frau Holle hat auch das Vieh geheilt."

Der selbsternannte ‚Konsul’ des ‚Frau-Holle-Landes’ ist Anfang 60 und trägt zu seinem freundlichen Gesicht mit hoher Stirn und silbergrauem Haar ein dunkles Hemd mit einem bunten Wappen auf der Brust.

Wolfgang Dovidat: "Und die Frau Holle wurde gerufen, wenn ein Kind geboren wurde, denn sie war Hebamme. Und darum bin ich im Frau-Holle-Teich geboren - wie wir hier alle. So haben es uns unsere Großeltern und Urgroßeltern erzählt."

Herr Dovidat hat die Geschichte der Hollefrauen erforscht, die es einst in fast jedem Dorf gab und bezeichnet sich selbst als ‚Touristiker’ - ein Touristiker, der mit viel Phantasie unbeirrt Tourismus-Konzepte wie das Amt der Kirschkönigin oder Quietscheentchen-Rennen erdacht, realisiert, und sogar patentiert hat. Wenn am Bahnhof die Gäste mit dem Zusatzschild Frau-Holle-Land empfangen werden, sei man einen Schritt weiter. Er setzt nun bei der Werbung für die Region ganz auf Frau Holle, und ist der Meinung, ihre Bedeutung werde unterschätzt.

Wolfgang Dovidat: "Und die Frau Holle war etwas Weiteres: Sie war Priesterin. Und sie hat eine Göttin angebetet, im Namen des Volkes, und diese Göttin hieß Freya. Freya war die Göttin der liebe, der Schönheit und der Fruchtbarkeit."

Wolfgang Dovidat erklärt alle möglichen Zusammenhänge zwischen den Märchen der Brüder Grimm und den Mythen alter Germanischer Sagen. Er erzählt von den radikalen Methoden der Christianisierung vor Ort im 8. Jahrhundert. Der heidnische Götterkult wurde absolut verboten.

Wolfgang Dovidat: "Da kam der Bonifazius her und 20 Jahre hat er festgestellt: ‚Hallo, hier oben im nordhessischen Bereich, da wird ja immer noch jemand angebetet."

Für den Hobbyhistoriker waren die Hollefrauen damit betraut in einer Kultur, in der es keine Schriftsprache gab, Riten und Religion in Sicherheit zu bringen und zu bewahren. Dovidat vermutet, dass sie sich immer mehr zurückzogen, dass sie von der Kirche zum Teil als Hexen gebranntmarkt wurden und in die Peripherie gingen – in örtliche Wälder und Höhlen. Pechmarie und Goldmarie aus dem Holle-Märchen sind für ihn Beispiele für junge Anwärterinnen auf diesen Job.

Wolfgang Dovidat: "Und da die Ausbildung 20 Jahre dauerte, wurden sie erst einmal geprüft: Ob sie denn das Brot aus dem Ofen holen, wenn’s braun ist? Ob sie denn sie Äpfel vom Baum pflücken, wenn sie reif sind? Und nicht erst warten, bis die runterfallen. Ob sie denn den Haushalt ..."

Wolfgang Dovidat: "Wir wollten an und für sich einen Wanderführer über den Meißner schreiben, für unsere Gäste. Das ist ungefähr fünf bis sechs Jahre her. Und wir hatten eine Generalstabskarte dabei, vom Landesvermessungsamt hier, und da stand drin ‚ein Altarstein’. Und den wollten wir finden. Der war nicht zu finden – es gibt auch keinen weg dahin, bis Heute nicht – und sind plötzlich über eine Anlage gestolpert, die so unglaublich war. Sie ist tatsächlich eine Art freie Tempelanlage. Und wir haben auch hier verschiedene Altäre – und das spannende ist, man kann das alles sehen ... es wird sie niemand alleine finden."

Gut, dass Herr Dovidat dabei ist. Gästen aus ganz Deutschland bietet er stundenlange Frau-Holle-Touren an. Und einen Frau-Holle-Teich gibt es wirklich. Der mögliche Zugang zur Anderswelt liegt ruhig am Waldrand in der Nähe eines Wanderparkplatzes am hohen Meißner.
Von hier aus geht es abseits der markierten Wanderwege bergauf durch den Wald. Etwa solange, wie Rotkäppchen zum Haus der Großmutter brauchte... Und es wird etwas unheimlich. Einigen Gästen versagten hier angeblich die Kameras, zeitweise hören hier anscheinend die Vögel auf zu singen

Wolfgang Dovidat: "Hier gibt es tausende Vögel im Wald!"

Kurzzeitig scheint auch etwas mit dem Aufnahmegerät nicht in Ordnung ...
Gruseln gehört dazu in den Märchen, nicht erst seit dem Film "Blair Witch Project" von vor zehn Jahren.
Hier liegt Dovidats Avalon, zugleich Ausbildungsstätte der Hollefrauen.
Wieder eine Spur. Schließlich mussten auch Goldmarie und Pechmarie eine Ausbildung bei Frau Holle absolvieren.
Es ist ein verwaistes, etwa fußballfeldgroßes Plateau mit wildem Grass bewachsen, mitten in einem durch ein grünes Warndreieck gekennzeichneten ‚Bannwald’.
Hier waren angeblich auch schon die Grimms, haben sich inspirieren- und ebenfalls den Altarstein am Steilhang zeigen lassen. Man muss etwas klettern, um das Heiligtum aus aufgetürmten Steinplatten zu bewundern. Auf Ihm liegen kleine Opfergaben oder Devotionalien, ein Glasperlenherz, ein Paar Centstücke und ein winziger Marmorkelch. Es gibt wohl doch noch jemanden, der den Weg hierher kennt.

Der Meißner birgt viele Geheimnisse – der deutsche und der amerikanische Geheimdienst unterhielten hier bis vor kurzem sogar separate Anlagen, und manches mag wie verhext erscheinen – wie zum Beispiel der drastische Rückgang der Einwohnerzahl in der Region, die auch touristisch vergleichsweise unterbelichtet ist.
Grundsätzlich geht es darum, in einer Region, in der nichts los ist, was los zu machen und die Betten aufzuschütteln ... Und vielleicht bleibt so der eine oder andere Tagesgast über Nacht.

Politik und Märchen
Von Peter Zudeick

Früher las die Oma die Märchen vor, heute erzählen uns Politiker oft und gerne das eine oder andere Märchen. Wir wissen das zu schätzen, schalten uns also immer wieder mal zur Märchenstunde zu. Jetzt auch wieder. Peter Zudeick, der bekannte Geschichtenerzähler, gewährt uns einen kleinen Einblick in seine märchenhafte Sammlung. Also: Es war einmal …

Bloß keine Plattheiten jetzt, keine Kalauer. Von wegen: Politik und Märchen, das ist irgendwie identisch, Politiker sind von Hause aus Märchenerzähler – ja ja, selten so herzlich gegähnt.

Blüm: "Es gilt auch der Satz, zum Mitschreiben: Die Rente ist sicher."

Ja, klar, das ist der Klassiker. Ein Klassiker. Aus dem Jahre 1994. Und natürlich sind sich alle Politiker darüber einig, dass man das nicht darf. Märchen erzählen.

Kohl: "Ich sag Ihnen voraus, wir werden eine blühende Landschaft in Thüringen, in Sachsen in drei, vier, fünf Jahren haben."

Moment, Moment, es geht ja darum, ob man wissentlich Märchen erzählt. Norbert Blüm hat 1994 an die sichere Rente geglaubt wie Helmut Kohl 1990 an die blühenden Landschaften. Die glauben da heute noch dran. Als wenn die nur so reden würden, weil sie Wahlen gewinnen wollen. Unvorstellbar. Kohl hat auch daran geglaubt, das die deutsche Einheit "aus der Portokasse" zu finanzieren sei. Das hat er nämlich den Westdeutschen versprochen. 1990, im Wahlkampf der "blühenden Landschaften". Ja, gut, das stellte sich zwar im Rückblick als Märchen heraus, als schöne Geschichte, mit denen man Kindern das Einschlafen erleichtert. Aber immerhin holte die Union damit 43,8 Prozent, und außerdem war es furchtbar gemein von der "Bild"-Zeitung, Kohl als Umfaller auf die Titelseite zu bringen, nur weil er 1991 dann doch die Steuern erhöhte. Ging halt nicht anders. Und "Steuerlüge" ist ein ganz, ganz gemeines Wort.

Genauso gemein wie "Rentenlüge". Das böse Wort hat lange vor Norbert Blüm Bundeskanzler Helmut Schmidt getroffen. Der hatte vor der Bundestagswahl 1976 sichere Renten versprochen und nach der Wahl eine Verschiebung und Absenkung der nächsten Rentenanpassung angedroht. Er wurde nicht zum "Bild"-Zeitungs-Umfaller, weil die SPD-Fraktion den Coup verhinderte. Aber "Rentenlüge" war seither ein Helmut-Schmidt-Schimpfwort.
Seehofer: "Lügen haben kurze Beine."

Darüber herrscht in der Politik große Einigkeit. Vor allem sind sich alle immer einig, dass immer der andere die kurzen Beine hat.

Rüttgers: "Lügen haben kurze Beine, kürzer sind dem Schröder seine."

Und da Erfindungsreichtum und Wortschatz von Politikern höchst begrenzt sind, sprechen sie einander auch gerne mal nach.

Glos: "Lügen haben kurze Beine, noch kürzer sind dem Schröder seine."

Dabei wissen wir doch spätestens seit Franz Müntefering, dass es völlig unsinnig ist, Politikern vorzuhalten, dass sie Versprechen nicht einhalten.

Müntefering: "Wir werden als Koalition von manchen gemessen von beiden Seiten oder von allen Seiten an dem, was in Wahlkämpfen gesagt worden ist, das ist unfair."

Weil ja doch nach der Wahl alles immer anders ist als vor der Wahl. In sofern ist der Politiker an sich und als solcher sozusagen strukturell zur Lüge gar nicht fähig.

Künast: "Das ist ein absolutes Märchen."

Oder so. Das Märchen freilich als Geschichte mit garantiert gutem Ausgang, das ist dem Politiker wiederum eher wesenseigen.

Eichel: "Das ist ein Märchen, das immer wieder verbreitet wird."

Ja, genau, vor allem Finanzminister und andere Haushaltspolitiker sind von Hause aus Märchenerzähler, aber gleichzeitig völlig lügenfrei. "In den alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat" – so fängt das Märchen vom Froschkönig an. Das ist das Grund- und Kernmotiv der Politik: Das Wünschen. Und die Sehnsucht, dass das Wünschen doch helfen möge wie in den alten Zeiten.

Lafontaine: "Das ist also ein Märchen, das da erzählt wird, aber es ist richtig."

Besser könnt’ ich’s gar nicht ausdrücken. Finanzminister haben einfach eine urwüchsige Nähe zu Märchenstoffen.

Steinbrück: "Der Steinbrück läuft wie Sterntaler unter dem Himmel herum und sammelt wie Sterntaler ständig Goldeuro ein."

Sagt Steinbrück über Steinbrück. Meint es aber ganz anders.

Steinbrück: "Ich bin nicht Sterntaler oder ich habe keine Schürze, in die Goldtaler hineinfallen."

Nur: Das war gar keine Schürze. Sondern das letzte Hemd, nein, das Hemd nach dem letzten Hemd. Denn das Mädchen hatte ja auch sein letztes Hemdlein noch hergegeben, stand nackt da, als auf einmal die Sterne vom Himmel fielen "und waren lauter blanke Taler". Und auf einmal hatte es auch ein neues Hemdlein an, "und das war vom allerfeinsten Leinen. Da sammelte es sich die Taler hinein und war reich für sein Lebtag." So steht’s bei den Grimms.

Was nun die Nähe von Politikerinnen und Politikern zu Märchenfiguren anbetrifft – nun ja. Da greifen die Damen und Herren, wie üblich, gerne mal zum nächstliegenden Klischee.

Glos: "Hans Eichel ist vom Hans im Glück zum Herrn der Löcher geworden."

Michel Glos von der CSU, der rhetorisch immer etwas hölzern und grob geschnitzt daherkam und wohl deshalb bei einem gewissen Herrn Fischer gewisse Assoziationen auslöste.

Fischer: "Ich weiß nicht, ob er sich seine Reden und Auftritte mal selbst anschaut, dann müsste er doch merken, dass er wirkt wirklich wie die Großmutter, die geschminkt beim Rotkäppchen, also Großmutter, warum hast du denn so große Ohren, könnte man da nur fragen."

Mit Verlaub: Bei Rotkäppchen geht es um den als Großmutter geschminkten Wolf und nicht um die geschminkte Großmutter. Da ist ein anderer Grüner schon etwas märchenfester als der ehemalige Oberboss.

Trittin: "Gelegentlich wirkt die SPD zur Zeit so ein bisschen wie ein ängstliches Rotkäppchen im Wald, aber, macht euch keine Sorgen, es gibt Rettung für das Rotkäppchen, sie ist grün, grün wie des Jägers Jacke."

Genau so isses doch. Der Wolf frisst Großmutter und Rotkäppchen, der grüne Jägersmann holt die beiden aus dessen Bauch. Grün ist freilich nicht nur der Jägersmann, weshalb Ratschläge an die SPD auch ganz anders lauten können.

Westerwelle: "Sie können diesen grünen Frosch küssen, oder Sie können ihn weiter gegen die Wand werfen, es wird nie ein Prinz draus."

Die Grünen sind keine Prinzen, na gut. Und wie sieht’s mit Prinzessinnen aus in der Politik?

Merkel: "Am Anfang bin ich mir fast vorgekommen wie ein bisschen die Prinzessin auf der Erbse."

Frau Angela und Prinzessin, und dann noch auf der Erbse – das ist genau die Kombination, nach der wir lange, lange gesucht haben. Denn was anderes kommt ja eher nicht in Frage. Dornröschen? Nö. Wer würde die schon wach küssen wollen. Rapunzel? Hm. Keiner will, dass die Regentin ihr Haar herunterlässt. Aschenputtel? Das zierliche Füßlein fürs gläserne Schühlein möchte’ ich sehen. Schneewittchen – na ja, da gibt‚s ja die böse Königin und den Spiegel. Den an der Wand.

Brüderle: "Sie machen so ne Art Schönheitswettbewerb: Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Sozialste im Land."

Ja, als Frau Holle wird die Merkelsche auch gerne genommen.

Westerwelle: "Jetzt ist sie so’n bisschen mehr die Frau Holle geworden, die überall ein wenig weiße Flocken fallen lässt und niemanden wehtun will, aber das ist natürlich für Regieren zu wenig."

Na ja, die Frau Holle ist eine "alte Frau" mit "langen Zähnen", die das fleißige Mädchen mit Gold überschüttet und das faule mit Pech. Dass es schneit, wenn sie die Betten schüttelt, ist eher ein Nebeneffekt. Aber man kann von Guido Westerwelle so wenig wie von anderen Politikern verlangen, dass er das Zeug auch noch liest, aus dem er zitiert. Das wär ja noch schöner als im Märchen.