Neues Album von Interpol

Tiefromantischer Rock-Noir mit Mission

Paul Banks, Sänger und Gitarrist von Interpol, beim European Music Festival in Barcelona, Spanien
Paul Banks beim European Music Festival © Imago Stock&People
Von Marcel Anders · 27.08.2018
Interpol ist eine der letzten überlebenden Bands des Gitarrenrocks der späten 90er und frühen 2000er. Unter welchem Zeichen ihr neues Album "Marauder" heute steht, darüber sprechen wir mit Sänger Paul Banks.
"Wir leben in einer Welt der Plünderer und des Persönlichkeitskults, dem viele Menschen verfallen. Egal, ob es nun Trump ist, der eine große Faszination ausübt, oder die Prediger dieser Hillsong Kirche: Die Leute scharen sich gerne um starke Persönlichkeiten – egal, wie dubios sie sind. Das ist ein Phänomen." Paul Banks war nie ein politischer Künstler, hat nie politische Texte geschrieben und sich nie für eine Partei oder einen Politiker eingesetzt. Doch aktuell, so der 40-Jährige, sei das kaum zu vermeiden. Einfach, weil das tägliche Leben von immer neuen Eskapaden der Trump-Regierung geprägt sei.

Paul Banks' jüngeres Ich

Deshalb passe ein Album wie "Marauder", zu Deutsch "Plünderer", perfekt zum Zeitgeist. Genau wie das Albumcover, das Ex-Justizminister Elliot Richardson zeigt, der sich 1973 beim Watergate-Skandal gegen Präsident Nixon stellt. Ein symbolträchtiges Bild.

Für Banks hat es allerdings eine ganz andere Bedeutung: "Natürlich rückt es die politische Konnotation in den Vordergrund. Was auch okay ist, aber es ist nicht das, worum es mir geht. Das Foto zeigt in erster Linie einen Mann, der völlig isoliert ist. Das passt zu dem Charakter, der in den Texten auftaucht und für einen Teil von mir steht, auf den ich nicht sonderlich stolz bin. Eben mein jüngeres Ich, das völlig sorgenfrei gelebt hat ohne moralischen Kodex. Den habe ich erst entwickelt, als ich älter geworden bin."

Die Texte sind weniger kryptisch

In den Anfangsjahren von Interpol, so sagt Banks, sei er ein maßloser Rockstar gewesen. Doch inzwischen wäre er ruhiger und umgänglicher. Nicht mehr so schroff gegenüber den Medien. Nicht so kryptisch in seinen Texten, hinter denen er sich lange versteckt habe, sondern ehrlicher und selbstkritischer.
"Marauder" dreht sich um seine Sicht der Welt, seine Sorgen und Ängste, seine Beziehung zu Ex-Model Helena Christensen und seine Begeisterung für Surfen und Schach. "Ich spiele im Internet und gehe täglich in den Park, um mich mit diesen alten Cracks zu messen. Beim Schach verfolge ich den selben dickköpfigen Ansatz wie im wahren Leben. In dem Sinne, dass ich nicht versuche, besser zu werden, indem ich darüber lese, sondern indem ich eigene Erfahrungen mache, viel spiele und mich durch meine Fehler verbessere. Auch wenn jeder richtige Schachspieler, der das jetzt hört, wahrscheinlich denkt: 'Was für ein Trottel.'"

Das Album pustet die Gehörgänge frei

Die neue Lockerheit setzt sich auch in der Musik fort. Ein dichter Rock-Noir mit sphärischen Gitarrensalven, kantigen Bässen und druckvollen Drums. Ein Sound in der Tradition von Post-Punk-Bands wie Joy Division, produziert von Dave Friedmann, dem Mann hinter MGMT und den Flaming Lips, ein Experte für frische Klänge mit Ecken und Kanten. Und davon hat "Marauder" einige: Es ist live im Studio entstanden ohne technische Tricks und doppelten Boden.

"Mit Pro-Tools lassen sich eine Menge toller Dinge im Studio anstellen. Aber wir haben uns entschieden, diesmal darauf zu verzichten. Klar bedeutet das auch, dass man die Fehler hört, die wir beim Spielen machen, dass die Gitarre nicht immer perfekt ist, oder man merkt, wie ich die Effekte wechsele und zu früh oder zu spät einsetze. Aber ich denke, das verleiht den Songs eine gewisse Magie. Das Imperfekte ist das Geheimnis einer guten Produktion."
"Marauder" ist genau das, was man sich von Interpol erhofft: Ein Album, das die Pop-verklebten Gehörgänge freipustet, das vor Ehrgeiz, Idealismus und Geltungsdrang strotzt und sich nicht kommerziell anbiedert. Es ist eine Vollbedienung in Sachen Indie-Rock mit 13 Stücken, die Appetit auf mehr machen.
Mehr zum Thema