Neues Album von BTS

Durchhalteparolen für die Fans

07:33 Minuten
Jin, Suga, J-Hope, RM, Jimin, V and Jungkook der koreanischen K-Pop Band BTS, 2019.
Die K-Pop-Band BTS besteht aus sieben jungen Männern: Jin, Suga, J-Hope, RM, Jimin, V und Jungkook. © imago/AdMedia/Daniel DeSlover
Christoph Möller mit Oliver Schwesig · 20.11.2020
Audio herunterladen
K-Pop als Geschäftsmodell: BTS hat ihr neues Album "BE" draußen - als Deluxe-Box mit Postkarten, Postern und einem Fotobuch oder als Stream. Musikkritiker Christoph Möller hat in den Stücken eine neue Klangästhetik ausgemacht.
Oliver Schwesig: "Life Goes On" heißt das neue Stück von BTS, der aktuell erfolgreichsten Boygroup der Welt aus Südkorea. Der Song klingt verglichen mit anderen BTS-Songs fast schon wie eine Ballade. Ist das der Ton, den man auf "BE" diesem neuen Album jetzt hört?

Christoph Möller: "BE" ist das ungewöhnlichste Album von BTS bislang. BTS sind populär geworden mit Stadion-Pop, mit überdrehten, hyperaktiven Stücken. Und hier in "Life Goes On" – da hat man ja fast schon Probleme, einen Refrain rauszuhören. Es gibt ihn natürlich, aber alles wirkt sehr nachdenklich. Es gibt hier keine Brüche, keine richtigen Höhepunkte. Trotzdem ist das natürlich nach wie vor sehr catchy produziert.

Es ist nicht das Ende der Welt

Schwesig: "Life Goes On", das Leben geht weiter. Ist das auch als Durchhalteparole zu verstehen?
Möller: Die erste Zeile des Stücks lautet übersetzt: "Plötzlich stoppte die Welt – ohne Warnung." Im Video sieht man direkt am Anfang V, ein Mitglied von BTS, wie er eine Maske trägt. Ein Verweis auf die Corona-Realität. V fährt mit dem Auto und blickt dann aus dem Fenster sehnsuchtsvoll auf ein Stadion. Am Ende des Videos spielen BTS in diesem Stadion vor leeren Rängen. Der Anblick schmerzt.
Aber für BTS und ihre Fans waren leere Stadien dieses Jahr kein Problem. Denn die sind im Internet zu Hause. Die haben einfach mehrere kostspielige Konzerte live gestreamt. Zuletzt Mitte Oktober. Fast eine Million Menschen haben dafür Tickets gekauft. Das ersetzt die Ticketverkäufe einer ganzen Tour.
Die Message des Albums und auch dieser Live-Konzerte ist die natürlich eher banale Durchhalteparole: Es ist nicht das Ende der Welt. Das singen BTS sogar wortwörtlich so im Stück "Stay".

Schwesig: Man hört’s: Das Stück geht eher in Richtung große Pop-Geste. Und schließt so gegen Ende diese Parabel des Albums: Es beginnt eher in sich gekehrt und ist am Ende dann doch eher ausgelassen und hoffnungsvoll.

Börsengang mit Big Hit Entertainment

Schwesig: Mitte Oktober ist Big Hit Entertainment, die Firma hinter BTS, an die südkoreanische Börse gegangen. Die Aktie ist stark gestartet, dann ist der Kurs abgerutscht. "BE" ist nun schon das zweite BTS-Album dieses Jahr. Müssen BTS nun Alben am Fließband produzieren, um die Erwartungen der Investoren zu erfüllen?
Möller: Das ist schon krass, wie da der Börsenerfolg gekoppelt ist an den künstlerischen Output einer einzigen Gruppe! BTS machen 90 Prozent des Umsatzes von Big Hit Entertainment aus. Es gibt jetzt diesen Zwang, immer wieder Alben zu veröffentlichen. Vergangene Woche ging der Kurs über zehn Prozent nach oben.
Noch wichtiger als Alben zu produzieren, ist es aber: die Fans bei Laune zu halten, dafür ist die "ARMY" zuständig. Und die pflegt extrem eine Kultur der kollektiven Aktionen.
Das sieht man auch auf Twitter aktuell: Da wird überall aufgerufen, Videos mehrmals zu schauen, "BE" in Dauerschleife zu streamen. Jeder Klick ist Umsatz für Big Hit Entertainment.
Man könnte denken: So ein Börsengang steht für Ausverkauf und birgt Image-Risiken. Aber die BTS-"ARMY" ist eben eine Armee ambitionierter Crowdworker im Netz. Die fühlen sich wohl in ihrer Rolle als Treiber dieses sozial organisierten Internetkapitalismus, für den BTS symbolisch stehen.
Schwesig: Wobei die "ARMY" doch durchaus auch für ihre politischen Aktionen bekannt ist und gelobt wird, oder?
Möller: Das stimmt. Die "ARMY" hat eine hohe politische Agilität. Im Sommer haben sie unter anderem den Hashtag "whitelivesmatter" mit BTS-Inhalten geflutet. Eigentlich ein von tendenziell rassistischen Menschen erfundener Hashtag, um die Black-Lives-Matter-Bewegung zu diskreditieren. Und die "ARMY" hat den eben einfach gekapert und mit Fotos und Videos von BTS versehen.
Man könnte erwarten, dass dieses politische Image der "ARMY" abfärbt auf BTS. Das ist aber auf "BE" überhaupt nicht der Fall. Die Probleme der Gegenwart werden da zwar tangiert, aber überhaupt nicht weiter ausgeleuchtet.

Rührselig und ermüdend

Schwesig: Aber hat das Album trotzdem einen künstlerischen Mehrwert? Oder merkt man, dass das Album jetzt einen Monat nach Börsenstart endlich fertig werden musste?
Möller: Das merkt man nicht. Da ist eben diese neue Klangästhetik, die mir schon gut gefällt. Die auch dafür sorgt, dass ich das zumindest nicht als reines Retorten-Album höre, sondern als künstlerische Position zur Corona-Gegenwart.
Aber diese Position ist inhaltlich leider nicht so sehr interessant: Diese Mutmach-Rührseligkeit ist auch irgendwie ermüdend. Man hätte da die Gefühle der Hoffnungslosigkeit schon ein bisschen stärker untersuchen können.
Nichtsdestotrotz wird "BE" Millionen Fans durch die Krise bringen, allein weil es das Album gibt. Ich finde es aber auch nicht schlimm, dass das Album mit 28 Minuten Spielzeit schnell wieder vorbei ist.
Mehr zum Thema