Neuer Film "Alles außer gewöhnlich"

Psychologin kritisiert Autismus-Klischees im Kino

08:04 Minuten
Joseph (Benjamin Lesieur) steht mitten auf der Straße und schaut in den Himmel.
Joseph (Benjamin Lesieur) sieht die Welt mit anderen Augen. © Prokino/ Carol Bethuel
Inge Kamp-Becker im Gespräch mit Dieter Kassel  · 05.12.2019
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Im dem neuen französischen Film "Alles außer gewöhnlich" geht es um das Thema Autismus. Mit der Wirklichkeit hat diese filmische Darstellung allerdings wenig zu tun, kritisert die Psychologin Inge Kamp-Becker.
Vor acht Jahren landete das französische Regie-Duo Olivier Nakache und Éric Toledano mit "Ziemlich beste Freunde" einen Riesenhit. Ihr neuer Film "Alles außer gewöhnlich" kommt jetzt in die deutschen Kinos. Darin engagieren sich die beiden Freunde Bruno und Malik ehrenamtlich für autistische junge Menschen.
Dass sich Filme mit Autismus beschäftigen, findet die Psychologin Inge Kamp-Becker einerseits gut, weil es dabei helfe, Vorurteile abzubauen. "Das Negative ist, dass diese Darstellung oft sehr einseitig ist und klischeehaft überpointiert", sagt die Leiterin der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Marburg. Das habe mit der Realität wenig gemein, mit der sie es seit mehr als 20 Jahren zu tun habe. Es würden in Filmen immer einzelne Personen mit ganz besonderen Fertigkeiten gezeigt, das sei aber nicht repräsentativ für Menschen mit diesem Störungsbild.

Irreführung im Internet

Auch wer im Internet mehr über Autismus erfahren wolle, finde dort keine ausreichenden Informationen, stellt die Psychologin nach der Auswertung von mehr als hundert Quellen fest. Es werde vor allem die Symptomatik vorgestellt, aber nicht deutlich, dass die gleichen Symptome auch bei anderen Erkrankungen auftreten könnten. "Es ist sehr breit dargestellt, sehr allgemein und dann findet sich eigentlich fast jeder darin wieder und denkt, das ist es nun, ich habe es gefunden." Dabei sei man auf dem völlig falschen Dampfer.
Kamp-Becker räumte ein, dass eine zeitweise Ausweitung der Diagnose Autismus mit zu dieser Entwicklung beigetragen habe. Inzwischen sei die Störung medizinisch strenger definiert, so müsse sie beispielsweise schon in der Kindheit aufgetreten sein und nicht erst in der Pubertät oder im Erwachsenenalter.
"Autismus ist eine Modediagnose geworden", kritisiert die Psychologin. Sie sei mit "guter Begabung" assoziiert, vor allem das Asperger-Syndrom. Dabei stimme es nicht, dass Autisten solche besonderen Fähigkeiten aufwiesen. Die meisten seien kognitiv beeinträchtigt. Nur wenige hätten eine überdurchschnittliche oder herausragende Begabung. "Das ist äußerst selten."
(gem)
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