Neuer Chef für Yad Vashem

Nationalist wäre Gefahr für Offenheit der Holocaust-Gedenkstätte

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Allee der Gerechten unter den Völkern, Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, Jerusalem, in Israel.
In der "Allee der Gerechten unter den Völkern" in der Gedenkstätte Yad Vashem werden auch Nicht-Juden geehrt. © www.imago-images.de
Sebastian Engelbrecht im Gespräch mit Winfried Sträter · 25.11.2020
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Yad Vashem, das ist die größte Holocaust-Gedenkstätte der Welt. Ein Ort in Jerusalem, der die Pluralität des Gedenkens zeigt und in Israel von allen geachtet wird. Doch nun könnte ein Nationalist die Leitung übernehmen. Gefährdet das den Konsens?
Es ist die größte Holocaust-Gedenkstätte der Welt - fast wie ein Stadtteil im äußersten Westen von Jerusalem, in den judäischen Bergen gelegen, umgeben von Wald, eine Parklandschaft mit Gebäuden, Studienzentren, einem Archiv, verschiedensten Gedenkorten, Kunstwerken, Mahnmalen, über Jahrzehnte immer wieder erweitert. Die besondere Charakteristik von Yad Vashem sei der Wandel im Gedenken und in der Ästhetik des Gedenkens und das Nebeneinander von alten und neuen Ausdrucksformen, sagt Deutschlandradio-Israelkorrespondent Sebastian Engelbrecht.
"Da gibt es eine heroische Skulptur auf dem Platz des Warschauer Ghetto-Aufstands, wo die Helden des jüdischen Aufstandes gezeigt werden, überlebensgroß, starke, gigantenhafte Gestalten, eine Skulptur von 1975 in Anlehnung an eine Skulptur, wie sie auch in Warschau steht, von 1948. Und völlig anders, erst wenige Jahre alt, das Denkmal der Deportierten, ein Güterwaggon auf einer Stahlbrücke, die abgeschnitten ist in der Mitte, und dieser Wagen steht also am Abgrund."

Teil der Essenz israelischer Identität

So verschieden das Gedenken in Yad Vashem ist, gibt es doch einen zentralen Ort, einen Gedenkparcours, in dem Besucherinnen und Besucher durch einen engen Gang geführt werden, in dem in aller Härte die ganze Nazi-Barbarei bis hin zum Massenmord gezeigt wird, in Videos, Bildern und Tönen. Und dieser Parcours endet mit einem erhöhten Blick in die offene Landschaft.
Die politische Botschaft ist klar: Dieses Land schützt die Juden davor, noch mal erleben zu müssen, was sie in dem Parcours gerade hinter sich gelassen haben. Es ist eine geschichtspolitische Botschaft, die plural und offen ist und zugleich für den Staat Israel eine zivilreligiöse Botschaft hat, so Sebastian Engelbrecht.

"Yad Vashem ist Teil der Essenz israelischer Identität. Die Erinnerung an die Shoa ist die Negativfolie zum Staat Israel. Der zionistische Staat ist die Garantie für das Überleben des Volkes Israel", sagt der Israel-Kenner.
"Und gerade weil Yad Vashem die Pluralität des Gedenkens zeigt, ist es ein Ort, der in Israel von allen geachtet und akzeptiert wird. Ich erinnere mich an keine einzige Debatte, in der Yad Vashem grundsätzlich in Frage gestellt worden wäre. Und das will was heißen, denn in Israel und im Judentum wird so ziemlich alles in Frage gestellt."

Neuer Chef mit wenig Toleranz für Palästinenser

Falls nun Ephraim Eitam, ein rechtsnationalistischer Militär und Politiker, zum Leiter dieser Gedenkstätte berufen werde, dräue Gefahr, so Engelbrecht. Der bisherige langjährige Leiter stehe für ein aufklärerisches Profil.
Eitam war Chef der nationalreligiösen Partei, er stehe nicht in der Mitte der Gesellschaft, sondern für einen jüdischen Partikularismus in doppelter Weise: für die Orthodoxie, die sich abschottet, und für den Nationalismus, der für ein Israel steht vom Mittelmeer bis zum Jordan. Ein Mann, der wenig Toleranz für die Palästinenser habe.
Engelbrecht fragt sich, wie dann Projekte behandelt würden, die gar nicht partikularistisch sind. "Es gibt in Yad Vashem eine Allee der Gerechten, wo Nichtjuden geehrt werden, die in der NS-Zeit Jüdinnen und Juden das Leben gerettet haben. Das gehört heute auch zur Essenz von Yad Vashem und zeigt, dass Yad Vashem über das eigene Volk hinaus auch auf die anderen Völker blickt. Und spätestens da frage ich mich, ob dieser weitere Horizont mit Eitam verloren gehen könnte."
(wist)
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