Neuer Blick auf die Liebe

Von Noemi Schneider · 12.02.2012
Was ist bloß mit der Liebe los im 21. Jahrhundert? Diese Frage stellen sich zwei unkonventionelle Beiträge, die auf der Berlinale gezeigt werden: Calle Overwegs dokumentarischer Spielfilm "Beziehungsweisen" aus Deutschland und Ruth Maders "What is love" aus Österreich.
Eine gut aussehende Frau Mitte 30 fährt allein im Auto zu einem Ferienhaus. Sie sitzt allein am Tisch, sie kocht für sich allein und liegt allein am Pool in der Sonne, sie tanzt allein und sie geht allein ins Bett. Sie heißt Saskia, ist Augenärztin und allein.

Fast ohne Worte in durchkomponierten langen Einstellungen portraitiert die österreichische Regisseurin Ruth Mader zu Beginn ihres Films ein Leben allein. Es ist das erste von fünf Portraits in "What is love".

"Also Ausgangspunkt war, einen Film über normale Menschen zu machen, das war’s und das hab ich sozusagen jahrelang verworfen, weil ich immer gedacht hab das kann man nicht machen, das kann man nicht bringen, einen Dokumentarfilm über normale Menschen. Wer zahlt das? Wer schaut das an? Und die Idee hat mich aber nicht losgelassen und ich hab’s dann halt auch gemacht, ja."

Nacheinander entstehen fünf dokumentarische Miniaturen aus dem österreichischen Alltag. Saskia, die allein stehende Augenärztin, Walter, ein Finanzberater in der Ehe-Krise, der Pfarrer Thomas in der Gemeindearbeit, Eva, die allein erziehende Mutter und das Therapie-erfahrene Ehepaar Bubna.

"Also ich möchte dir sagen, dass es mich stört, wenn du dich nicht schön anziehst wenn wir ausgehen oder wenn wir was zu feiern haben."

"Ich höre, du sagst, es stört dich, dass ich mich nicht schön anziehe, wenn wir ausgehen und wenn wir was zu feiern haben. Habe ich dich gehört?"

"Ja, du hast mich gut gehört."

Die Kamera verhält sich zu den Portraitierten und ihren Lebensumständen streng und diszipliniert. Für große Gefühle ist kein Platz, Liebe, wenn es sie gibt, ist Arbeit. Ruth Mader zeigt eine erschreckend ernüchternde Neue Sachlichkeit der Liebe im 21. Jahrhundert auf.

"Ich kann dem nicht zustimmen, weil ich finde, es gibt sehr wohl Glücksmomente, also wenn die schwimmen gehen, diese Förster und er liest ein Buch und sie schwimmt im See und schwimmt zu den Kindern hin, zum Beispiel. Oder wenn die Saskia mit dem Kind ihrer Schwester im Arm am Sofa sitzt, das sind Glücksmomente, eindeutig."

"Und wie haben sie sich kennen gelernt, sie beide?"

"Tja..."

"Tja..."

Um einiges humorvoller, aber keineswegs weniger ernsthaft widmet sich der Film "Beziehungsweisen" des Berliner Regisseurs Calle Overweg demselben Thema.

"Die Idee entstand, als ich selbst in Trennung gelebt haben und an nichts anderes denken konnte. Damals gab’s ne Ausschreibung von 3sat auf die ich mich beworben hab, mit einem hingerotzten Treatment, das hatte einige Kraft, weil ich so sauer war. Es gab drei Gewinner dieser Ausschreibung, meins war auf Platz vier und die sagten: 'Ja, wir würdens gerne irgendwann machen.' Das hat dann so lange gedauert, dass ich genügend Zeit hatte, das Konzept gehörig zu ändern und von meiner Person wegzulenken und zu etwas eher allgemein gültigem zu verändern."

Overweg hat sich für ein Experiment entschieden: Er schickt drei Paare zum Therapeuten. Die Paare sind Schauspieler, die Therapeuten sind echt, die Probleme aus dem Leben gegriffen.

"Er hat es in seinem Umfeld erzählt?"

"Ja."

"Ja, ich hab’s meiner Mutter mal erzählt."

"Mmh..."

"Das ist natürlich für mich erstmal ne Katastrophe gewesen, weil, ich bin unentschieden und dann - jetzt weiß das 'ne Mutter, die sowieso schon immer davon redet, dass sie gerne Großmutter wäre. Also das war für mich 'ne Katastrophe."

"Das macht Ihnen jetzt neuen Druck?"

"Ja, natürlich."

"Mmh..."

Zu den Therapiesitzungen treffen sich alle in einer zum Studio umfunktionierten Turnhalle. Unterbrochen werden die Sitzungen von improvisierten Spielszenen aus dem Paar-Alltag:

"Wir haben zuerst die Spielszenen gemacht, als Training für die Therapie. Dann kamen die Therapeuten und die hatten das alles nicht mitbekommen, sollten sie ja auch auf gar keinen Fall und dann habe ich mit den Schauspielern noch ein bisschen getuschelt bevor die auf die Therapeuten losgelassen wurden."

Aus Improvisation und therapeutischer Ernsthaftigkeit entsteht eine faszinierende filmische Form über den Liebes-Beziehungs-Arbeits-Alltag im 21. Jahrhundert, der sich vollkommen unabhängig vom Alter, gleichermaßen schwierig gestaltet.

"Man kann nicht einfach den Mythos der Liebe abschaffen, aber man kann sich darüber Gedanken machen ob er nicht etwas zu stark strapaziert ist. Und ich finde, dass tut der Film."

In "Beziehungsweisen" verschwimmen die Grenzen zwischen Fiktion und Realität, was dem Film eine hinreißend tragisch-komische und vor allem äußerst unterhaltsame Komponente verleiht, trotz eines ernüchternden therapeutischen Urteils.

"Liebe ist das, sagen wir mal, das Kriterium, was am schwersten den Bestand einer Beziehung gewährleisten kann, weil nichts so flüchtig ist, wie Gefühle."


Termine:

"Beziehungsweisen"
16.02.2012 15.00 Uhr Arsenal
19.02.2012 19.00 Uhr Delphi

"What is love"
14.02.2012 13.45 Cinestar
15.02.2012 11:45 Arsenal
18.02.2012 15:00 Cubix