Neue Verkehrsregeln für das World Wide Web

Von Dirk Asendorpf · 26.03.2008
Mit der wachsenden Übertragung von Radio, Fernsehen, Videoclips und Telefonaten braucht das Internet viel mehr Kapazitäten als früher. Dafür wurde die Internet-Version 6, kurz IPv6, entwickelt, die die jetzt gültige IP Version 4 ablösen soll. Mit den neuen Regeln im Datenverkehr ist Platz für 340 Sextillionen Netzanschlüsse. Das ist eine Zahl mit 37 Nullen.
" Als ich 1973 zusammen mit Robert Kahn begann, das Internet zu entwerfen, da wussten wir nur, dass wir noch nicht wissen, welche Telekommunikationssysteme später einmal erfunden werden würden. Aber wir wollten das Internet unbedingt zukunftssicher machen. Es sollte mit jeder neu erfundenen Übertragungs- und Vermittlungstechnik funktionieren. "

Vinton Cerf, einer der beiden Väter des Internet. Seit 35 Jahren beweist ihre Erfindung große Anpassungsfähigkeit. Das Internet-Protokoll, abgekürzt IP, überträgt Daten mit hoher Zuverlässigkeit – egal, mit welchem Computer sie erzeugt wurden und um welchen Inhalt es sich dabei handelt. Netzneutralität heißt dieses Prinzip, und für die Väter des Internet bedeutet es weit mehr als nur ein technisches Verfahren.

" Jeder User soll jede Anwendung irgendwo auf der Welt erreichen können. Es geht um die Erhaltung von Offenheit und Freiheit des Zugangs und der Erfindungen im Netz. Das ist der demokratischste Zugang zur Information, den die Weltgeschichte je erlebt hat. "

Doch jetzt müssen die bewährten Regeln verändert werden, um all die neuen Anwendungen zu ermöglichen, die auf Kommunikation in Echtzeit, sogenanntes Streaming, angewiesen sind – also die Übertragung von Videokonferenzen, Telefongesprächen, Radio, Fernsehen und Videoclips.

Schon vor zehn Jahren wurde dafür die Internet-Version 6, kurz IPv6, entwickelt. Jetzt soll sie die seit 30 Jahren gültige IP Version 4 ablösen. Die Umstellung hat bereits begonnen und wird in einigen Jahren abgeschlossen sein. Christoph Meinel ist Direktor des Hasso-Plattner-Instituts für Softwaresystemtechnik in Potsdam und Gründungsvorsitzender des deutschen IPv6-Forums. So heißt die Lobbyvereinigung für die zügige Einführung des neuen Internet-Protokolls.

" Von außen sieht man nicht, ob das nun Ipv6 oder Ipv4 ist. Das ist wie beim Strom – woher der Strom hergestellt ist, wenn Sie ein Gerät betreiben, sehen Sie auch nicht, Sie sehen nur: Kommt er oder kommt er nicht? "


Anders als bisher werden im IPv6 nicht mehr alle Datenpakete gleich behandelt. Schon an ihrer Adresse ist erkennbar, ob es sich um Normalverkehr oder um eilbedürftiges Streaming handelt. Das ist für eine Verbesserung der Qualität durchaus sinnvoll. Technisch möglich wird damit aber auch die ungleiche Behandlung von Datenpaketen je nach Absender, Empfänger, Internetzugang oder Bezahlung.

Einen Vorgeschmack darauf erleben die deutschen Kunden von Vodafone. Sie können zwar per UMTS nach Lust und Laune drahtlos im Internet surfen, falls sie dabei aber einen Internet-Telefonanbieter aufrufen, bekommen sie nur eine Fehlermeldung. Vodafone hält sich damit die lästige Konkurrenz vom Hals, mit der die exorbitanten Roaming-Gebühren für Auslandsgespräche am Handy umgangen werden könnten.

" Das ist so eine Art Experimentieren: Jeder hat so seine Idee und versucht, mal zu sehen, wie die wirkt. Wenn die Leute das hinnehmen, Vodafone damit erfolgreich ist, wird’s ganz schnell Nachahmer finden. Wenn die Leute es nicht hinnehmen und es einen Einbruch bei der Nutzung gibt, dann wird auch Vodafone das ganz schnell wieder ändern. Also das ist so ein bisschen alles im Fluss. Macht’s aber spannend natürlich. "

In den USA werden bereits seit zwei Jahren erbitterte Debatten um die Netzneutralität geführt. In 25 Städten gab es sogar schon Demonstrationszüge. Anlass waren Internet-Provider, die ihren Kunden den häufigen Download sehr großer Dateien verwehrt hatten. Sechs Gesetzesinitiativen wurden dazu auf den Weg gebracht, fünf sind bereits an widerstreitenden Lobbyinteressen gescheitert. Es geht um sehr viel Geld, nämlich um die Frage, wer die Milliarden für den dringend erforderlichen Ausbau der Glasfaserkabel und Internetknoten bezahlen soll. Würden Großanbieter wie Google oder Youtube dafür zur Kasse gebeten, müssten sie Nutzungsgebühren für ihre Dienste erheben. Christoph Meinel sähe darin durchaus Vorteile.

" Das ist in allen Bereichen der Gesellschaft: Je hochwertiger das Produkt ist, desto mehr müssen Sie bezahlen. Und je hochwertiger Sie’s bekommen, umso mehr sind Sie auch bereit, es zu bezahlen. Es wäre auch schlimm am Ende, wenn all diese tollen Inhalte nur über Werbung finanziert würden, denn der Werbemarkt ist endlich. Aber das Potenzial dieser Angebote: Kulturell, Teaching, Unterhaltung, Kino – also das ist einfach viel zu groß, als dass das am Ende nur über Werbung finanzierbar ist."

Internet-Pionier Vinton Cerf ist zwar strikt gegen Leitungsgebühren, die je nach Inhalt unterschiedlich hoch ausfallen. Trotzdem wünscht auch er sich eine möglichst schnelle Einführung des neuen IPv6-Standards. Denn der ist die Voraussetzung für seinen Traum von einem Internet der Dinge, in dem möglichst viele Geräte miteinander vernetzt werden. Bisher ist die Zahl der IP-Adressen auf 3,4 Milliarden begrenzt, mit den neuen Regeln im Datenverkehr ist Platz für 340 Sextillionen Netzanschlüsse. Das ist eine Zahl mit 37 Nullen.

" Jeder von uns wird Dutzende Apparate mit Internetanbindung haben – einige im Büro, einige zu Hause, einige im Auto, einige werden wir an unserem Körper tragen. Und wenn Sie das alles zusammenzählen, also 6,5 Milliarden Menschen multipliziert mit 20, 30, 40 solchen Geräten, dann wird das eine sehr große Zahl. Aber die künftige Zahl der IP-Adressen ist noch viel größer und reicht garantiert bis nach meinem Tod. Und dann ist das nicht mehr mein Problem."