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Bayern
Rätsel um zerstörte Gipfelkreuze

Seit dem Frühjahr stehen die Bergwachtler, Bewohner und Gemeinden im Tölzer Land vor einem Rätsel: Mehrfach wurden Gipfelkreuze umgehackt. Ist es blinde Zerstörungswut oder geht es um das christliche Symbol auf einem Berg?

Von Susanne Lettenbauer | 08.11.2016
    Ein "neues" Kreuz steht am 06.09.2016 auf dem Gipfel des Schafreiters bei Vorderriss in der Nähe von Lenggries (Bayern) hinter den Überresten des zerstörten alten Gipfelkreuzes. Das alte Gipfelkreuz wurde in der Nacht zum 04.09.2016 von einem Täter mit einer Axt zerstört.
    Gipfelkreuze sind auf allen höheren Bergen der Alpen zu finden. Sie stehen für den Erfolg – einer Wanderung, einer Klettertour oder einfach einer Erstbesteigung. (picture alliance / dpa / Matthias Balk)
    In der Nacht hat es noch einmal kräftig geschneit am Scharfreiter. Von Lengries aus sieht man die mächtige Spitze des imposanten Berges - ganz in Weiß. Der Winter hat Einzug gehalten im Karwendelgebirge. Hier an der Grenze zwischen Bayern und Österreich steht auf jedem Gipfel ein Kreuz, einige über 100 Jahre alt, mit Bergsteigersprüchen oder ohne. Auf dem Scharfreiter steht jetzt noch nicht einmal mehr ein Kreuz:
    "Jetzt bei der dritten Aktion habe ich erst mal gar nichts gedacht. Da war ich einfach fassungslos. Warum? Warum macht diese Person das?"
    Zum dritten Mal liegt ein abgehacktes Kreuz auf dem Gipfelplateau
    Paul Schenk vom Tölzer Alpenverein fehlen die Worte. Erst am 9. Oktober war das neue Eichenkreuz bei einer Bergmesse gesegnet und eingeweiht worden. In Anwesenheit der Anwohner, der Bergbauern, des Bürgermeisters von Bad Tölz, des Priesters und zahlreicher Bergwanderer. Ein Monat später liegt das Kreuz abgehackt auf dem Gipfelplateau. Und die Spurensuche gestaltet sich schwierig.
    "Persönlich empfinde ich das als einen ganz feigen Anschlag, da ist sich einfach an fremdem Eigentum vergangen worden und diese Person, die hat ja irgendein Problem, dass sie das macht. Da geht man ja nicht einfach mal schnell so rauf, das sind zwei bis drei Stunden. Der muss sich ja das vornehmen und aus irgendeinem Grund das machen", sagt Schenk.
    Mitglieder der "Identitären Bewegung" instrumentalisieren den Vorfall
    Derzeit geht niemand mehr auf den Scharfreiter, auch wenn das abgehackte Gipfelkreuz Schaulustige anlockt, aber ohne schneetaugliche Bergsteigerausrüstung geht auf dem 2102 Meter hohen Berg in diesem Jahr nichts mehr, sagt Schenk. Auch nicht für seine Mitglieder der Tölzer Alpenvereinssektion.
    Im August war es das erste Mal passiert, dann im Oktober und jetzt.
    Auszubildende der Tölzer Berufsschule hatten das dritte Kreuz gebaut, nachdem eine Gruppe der "Identitären Bewegung", also rechtsgerichtete Jugendliche den Fall für sich instrumentalisiert hatten und auf eigene Faust ein provisorisches Kreuz auf den Gipfel trugen. Für den Alpenverein eine schwierige Situation. Das Kreuz gehöre einfach zur Tradition, das werde man sich auch von keinen Extremisten nehmen lassen:
    "Nein, also das ist ein Stück der bayerischen Tradition und diese Tradition werden wir auch weiter aufrecht erhalten und wir lassen uns jetzt dadurch nicht ins Bockshorn jagen."
    "Der liebe Gott hat ja diese Bergwelt erschaffen, dass man das halt symbolisiert mit dem Kreuz."
    "Wer vor so einem Kreuz keine Achtung hat, das ist ja Wahnsinn."
    "Also ich muss sagen, dass das einfach eine Sauerei ist."
    Die Bevölkerung im Tölzer Land ist erschüttert und wütend. Es geht um Tradition und dass gerade jetzt, wo über Leitkultur und europäische Traditionen politisch debattiert wird, jemand offensichtlich vorsätzlich ein christliches Zeichen entfernt, das empfinden die Bewohner als unglaublich.
    Ermittlerteam wurde aufgestockt
    1703 wurde zum ersten Mal im bayerischen Alpenraum ein Bergkreuz aufgestellt, in Mittenwald. Als Zeichen der Segnung des Wanderers, sagt die Leiterin der Kulturabteilung des Deutschan Alpenvereins in München Friederike Kaiser.
    "Es ist etwas, was zum katholischen Glauben dazu gehört und sicherlich auch etwas, was mit dem Land Bayern und einem gewissen Patriotismus zusammenhängt, jedenfalls so die alten Quellen. Jetzt wegen dieser Taten diese Tradition einzustellen ist sicher nicht die richtige Herangehensweise. "
    Bernhard Gigl, der Leiter der zuständigen Polizeiinspektion Bad Tölz tappt mit seinem Ermittlungsteam im Dunkeln. Man habe nach dem ersten Kreuzfall bereits ermittelt, aber nun, nach dem dritten Mal, sei die Ermittlungsgruppe aufgestockt worden. Doch der einsetzende Winter dürfte die meisten Spuren mittlerweile vernichtet haben, so Gigl:
    "Also wir haben die Ermittlungen jetzt personell intensiviert. Wir hoffen auch noch und sind angewiesen auf Hinweise aus der Bevölkerung. Es ist nicht so, dass dieser Täter krampfhaft versucht, unentdeckt zu bleiben. Also es gibt schon Leute, die ihn gesehen haben."
    Bergsteigerlegende Reinhold Messner hat sich mittlerweile auch zu dem Fall geäußert, aber anders als es sich die Lenggrieser erhofft hatten:
    "Heute sollten wir so vorsichtig sein und mit der weiteren Bekreuzigung der Gipfel etwas zurückstecken. Erstens bin ich der Meinung braucht es eine Genehmigung. Zweitens darf man sich nicht wundern, wenn andere Lebenshaltungen das Gleiche tun und den Gipfel besetzen für ihre Lebenshaltungen. Ich betone: Ihre Lebenshaltungen."
    Für Paul Schenk vom Tölzer Alpenverein bleibt jetzt nur eines: Abwarten und auf das Frühjahr hoffen. Dann wird er mit seinen Burschen wieder zum Scharfreiter gehen:
    "Das wird dann jetzt geplant. Jetzt haben wir erst mal viel Zeit, der Winter ist da und dann werden wir sehen, auf welche Ideen wir kommen, dass wir dann wieder den Scharfreiter, der auch der höchste Berg hier im Landkreis ist, wieder ein entsprechendes Zeichen setzen: Ich bin droben, ich habe meinen Frieden und es ist schön."