Neue Technologien und Menschlichkeit

Ist unsere Würde in Gefahr?

Artikel 1 des Deutschen Grundgesetzes . Die Wuerde des Menschen ist unantastbar . Kunstwerk Grundgesetz 49 des israelische Kuenstlers Dani Karavan an den Buerogebaeuden des Deutschen Bundestags . Berlin , Deutschland .
Artikel 1 des Deutschen Grundgesetzes. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Kunstwerk von Dani Karavan © imago stock&people/Thomas Koehler
Carl Friedrich Gethmann im Gespräch mit Christian Möller · 01.07.2018
Bedrohen die neuen Technologien die Würde des Individuums? Und wie diskutiert der Deutsche Ethikrat darüber? Carl Friedrich Gethmann über Hirnimplantate, dritte Augen und die menschliche Würde.
Schon jetzt werden technische Geräte in menschliche Hirne implantiert, CRISPR-CAS revolutioniert die Möglichkeiten der Gen-Therapien bei Menschen und die Entwicklungen im Feld der Künstlichen Intelligenz sind geradezu explosiv. Was aber bedeuten die neuen Technologien für die menschliche Würde? Diese Frage hat der Deutsche Ethikrat diese Woche auf seiner Jahrestagung vielstimmig diskutiert. Und damit einen Wert ins Zentrum der Diskussion gestellt, der bedeutsamer, aber auch unschärfer kaum sein könnte.
Wenn die gegenwärtige Gen-Technik zum Beispiel dafür eingesetzt wird, Erkrankungen zu heilen – steckt dann in den neuen Technologien nicht ein großes Potenzial im Sinne der menschlichen Würde? Die Heilung von Patienten ist moralisch natürlich immer erst einmal zu empfehlen, meint Carl Friedrich Gethmann, renommierter Philosoph auf dem Feld der angewandten Ethik und langjähriges Mitglied des deutschen Ethikrats.

Warum nicht künstliche Chip-Gedächtnisse implantieren?

Als entscheidende Frage stellt er aber heraus: Wo ist die Grenze in diesen sehr kleinteiligen Entwicklungen? Man könnte sich zum Beispiel fragen, so Gethmann weiter: "Warum bauen wir dem menschlichen Gehirn nicht einen ganz normalen Speicher ein, wie ihn jeder PC heute hat, damit alles schön abgespeichert wird? Das kann man mit Chips machen, die man an die Nervenstränge eventuell anschließt – das ist keineswegs mehr Science Fiction, sondern daran wird gearbeitet. Wird da aber nicht bereits eine Schwelle überschritten? Ist das Vergessen-Können nicht ein spezifisch humanes Phänomen? Und ist nicht vielleicht auch das Uminterpretieren von Erinnerungen etwas sehr Humanes, das wir auf diese Weise verlieren würden?"
Inwiefern aber wären derartige Manipulationen des menschlichen Hirns eine Verletzung unserer Würde?

Worin besteht die menschliche Würde?

"Der Schutz und die Achtung der Menschenwürde ist die Spitze der Normpyramide des deutschen Grundgesetzes", formuliert Carl Friedrich Gethmann. Das Grundgesetz macht sich den Schutz der Würde in Artikel 1 zum obersten Prinzip.
Sein Geist, erklärt Gethmann, geht dabei auf Immanuel Kant zurück: "Wenn man in die Angebote der Philosophiegeschichte blickt und sich überlegt, wer macht uns denn das beste Angebot, um den Bürger gegen Willkür und Bevormundung zu schützen, dann fällt in der Tat sofort Kant ins Auge. Denn die Würde ist bei Kant eine Größe, die unterschiedslos für alle gilt; es ist eine universelle Kategorie – es steht in Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes nicht 'Die Würde des deutschen Staatsbürgers ist unantastbar', sondern eben 'die Würde des Menschen'. Das heißt, es ist eine kosmopolitische Kategorie, und sie ist nach Kant nicht abwägbar – das heißt, man kann nicht dem einen mehr, dem anderen weniger Menschenwürde zuweisen oder sagen: Je höher die Verdienste sind, die jemand um das Gemeinwesen hat, desto höher seine Menschenwürde – nein, solche Abwägungsprozesse lehnt Kant ab". Mit diesem Würde-Konzept wollte Kant, so Gethmann weiter, die Möglichkeitsbedingungen für ein selbstbestimmtes Leben sichern: "Jemand erkennt einem anderen Würde genau dann zu, wenn er für ihn das Instrumentalisierungsverbot akzeptiert." Man erkennt dann also an, dass ein Mensch ein Selbstzweck ist und dass kein Mensch bepreisbar sein darf, das heißt nicht zum Gegenstand des Handels werden darf. "Es ist nicht das Ziel des Würde-Gedankens Kategorien des guten Lebens zu etablieren. Denn gutes Leben, das hat man mehr oder weniger. Es ist nicht das Ziel der Würde, dass alle in gleich guten Verhältnissen leben, sondern nur, dass sie selbst nicht so weit herabsinken müssen, dass sie vollständig instrumentalisiert werden für die Zwecke anderer", sagt Gethmann.

Krieger ohne Angst – was heißt die Würde schützen?

Auch manchen neue Technologien wohnt zumindest die Möglichkeit inne, den Würde-Grundsatz zu brechen – also Menschen wie Mittel zu behandeln: "Man könnte zum Beispiel das Hirn derart manipulieren, dass Angst zum Erlöschen kommt. Wir können heute durch Antidepressiva sogar Angstzustände sehr stark zurückdämmen. Das ist also ein Feld, das medikamentös ziemlich gut beherrscht wird.
Aber wir könnten noch weiter in die Gehirnfunktionen eingreifen und sagen: Wir züchten durch Interventionen einen Menschen, der keine Angst mehr hat und aus diesen rekrutieren wir unsere Armeen. Damit sie vor dem Gegner nicht weglaufen, sondern furchtlos kämpfen. Das heißt, ich unterwerfe solche Menschen meinen Zwecken. Das wäre ein Fall von Instrumentalisierung und hätte man mit dem Menschen-Würde-Begriff ein Kriterium, um gegen solche Gedanken einzuschreiten und sie für verwerflich zu erklären".

Was aber, wenn der Nutzen einer Technologie ihre Gefahren übersteigt? Welche Gefahren liegen in der Fusion von Informations- und Gentechnik? Was ist wichtiger: Würde oder Glück? Denn könnte die Manipulation unserer Berufs- und Partnerwahl unser persönliches Glück nicht sogar fördern? Auch über diese Fragen haben wir mit Carl Friedrich Gethmann diskutiert.

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