Neue Landlust in Rheinland-Pfalz

Unser Dorf soll schöner werden

08:05 Minuten
Barbara Schommer, ehemalige Ortsbürgermeisterin in Martinshöhe.
Barbara Schommer engagiert sich in Martinshöhe als „Kümmerin“ für den Dorfumbau. © Anke Petermann
Von Anke Petermann · 11.06.2019
Audio herunterladen
Zu wenige Anwohner und teure Unterhaltungskosten der Infrastruktur. Auch in Rheinland-Pfalz muss man mit der Landflucht klar kommen. Engagierte Bürger wie die ehemalige Ortsbürgermeisterin Barbara Schommer setzen dabei auch auf "Co-working-spaces".
Wenn Barbara Schommer die Küchentür öffnet, steht sie in ihrem Architekturbüro mit zwei großen Bildschirmen. Null Kilometer Arbeitsweg. Dabei liegt ihr Büro an der Autobahn. Einer sehr stillen allerdings, der Datenautobahn zwischen den Uni Kaiserslautern und Saarbrücken.
"Ich bin als freie Architektin angewiesen auf schnelles Internet, und wir haben seit ungefähr zehn Jahren schnelles Internet in Martinshöhe. Ohne diese technische Voraussetzung wäre es mir unmöglich, hier zu arbeiten. Und da wir schnelles Internet haben, sehe ich durchaus die Möglichkeit, dass sich andere freie Berufe oder kleine Büros hier im Dorf ansiedeln können."

Aus familiären Gründen hat die Sozialdemokratin vor einem Jahr das Amt als Ortsbürgermeisterin niedergelegt. Doch als "Kümmerin" bleibt sie engagiert für den Dorfumbau, kramt nach einem Flyer, der ihr neulich in die Hände fiel: Gemeinschaftsarbeitsräume, sogenannte "Co-working-spaces", auf dem Land können gefördert werden.

Neue Konzepte für alte Häuser

"Das ist ein Angebot vom Land Rheinland-Pfalz www.dorfbueros-rlp.de. Da geht’s darum, leere Gebäude und Räume zu nutzen, um gemeinsam drin zu arbeiten. Eine gewisse technische Ausrüstung, die man zusammen nutzen könnte. Und da könnte ich mir vorstellen, unser Dorfgemeinschaftshaus dafür zu nutzen. Denn wir haben im Moment ein Problem mit der Nutzung des Dorfgemeinschaftshauses, es ist nicht ausgelastet",
…erzeugt keine Einnahmen, braucht aber teuren Brandschutz. Weshalb der neue Ortsbürgermeister und der Gemeinderat überlegen, das Haus nur noch als Lagerraum zu nutzen. Damit aber wäre eine Nutzungsoption vertan, die digital geprägten Nachwuchs ins Dorf mit Bestlage an der Daten-Autobahn locken könnte. Was Dorfentwicklung hemmt, erzählt die Architektin beim Dorfrundgang: zerstrittene Erbengemeinschaften, Haus- und Grundbesitzer mit überhöhten Preisvorstellungen. Schommer deutet auf eine Bauruine aus den 1970er-Jahren, auf einem wunderschönen großen Grundstück. Endlich wird es nun verkauft und geteilt,
"Das Gebäude wird abgerissen und da werden zwei Familien hin bauen. Also, das was wir eigentlich mit unserem Projekt 'Kommune der Zukunft' wollten, haben wir jetzt hier an dieser wichtigen Straße erreicht, dass dieser Schandfleck wegkommt, und dass zwei Baugrundstücke entstehen auf einer Fläche."


Potential für die innerörtliche Entwicklung zu erschließen, war Haupt-Fokus des Modellprojekts "Kommune der Zukunft". Bis Ende des 19. Jahrhunderts waren pfälzische Dörfer zu 90 Prozent bäuerlich geprägt, heute zu zwei Prozent. Funktionslos Scheunen und riesige Bauernhäuser.
"Die stehen jetzt leer", beobachtet Julia Kaiser, freie Stadtplanerin vom Büro "Stadtgespräch" in Kaiserslautern. Um solche Höfe zu kaufen und zu sanieren, müsse man schon ein spezielles Faible dafür haben,
"…weil man da nicht so bauen und wohnen kann wie auf der grünen Wiese. Und es ist natürlich auch eine Kostenfrage."
Martinshöhe in Rheinland-Pfalz - bis 2014 war vor der Kirche ein hässlicher Schotterplatz.
Martinshöhe in Rheinland-Pfalz - bis 2014 war vor der Kirche ein hässlicher Schotterplatz. © Anke Petermann

Lokaler Bäcker plant in die Zukunft

Auch für die Familie Sprengard war es nicht einfach, ihre Backstube wie angestrebt zu erweitern. Jetzt konnten sie endlich etwas zukaufen und anbauen. Als Expansion versteht Junior Daniel Sprengard das allerdings nicht.
"Im ersten Schritt ging es nur mal um die Modernisierung vom vorhandenen Betrieb, im zweiten Schritt wollen wir schon 'n bisschen expandieren, klar, natürlich."
Selbst wenn der wissenschaftlich und politisch begleitete Zukunftsprozess von Martinshöhe keine Trendumkehr in der Einwohner-Entwicklung mit sich bringt. Echte Bäcker sind rar, deshalb stoppen bei Sprengards viele, die von Landstuhl nach Zweibrücken fahren.
"Mir backe' alles selbscht, frisch. Natürlich, das zieht, klar."
Sagt der Juniorchef, dessen Vorfahren 1920 einen Kolonialwarenladen eröffneten. Aus dem wurde die Bäckerei, später kamen wieder Lebensmittel dazu. In Sprengards Tante-Emma-Laden war früher mal Babykost der Renner, dann Hundefutter – den demografischen Wandel liest die Familie an Umsatzverschiebungen ab. Im Moment geht nichts mehr so richtig. Discounterpreise, die Kunden wollen, kann der Familienbetrieb nicht bieten.
"Die kaufen dann nur Sache', die sie woannersch vergess' han, davon kann man leider nicht leben."

Mit neuen Eigentümern – neuer Schwung

Wenn es mit der modernisierten Bäckerei gut läuft, eröffnen Sprengards Filialen im Umland, stellen aber das Lebensmittelangebot in Martinshöhe ein. Auch sieben zusätzliche innerörtliche Bauplätze dürften nicht ausreichen, damit das kleine Sortiment zahlungswillige Kundschaft findet. Immerhin: der abrissbedrohte historische Dreiseit-Hof am Ortsausgang bleibt erhalten. Das war Barbara Schommer in ihrer Zeit als Bürgermeisterin wichtig. Mit Hilfe neuer Eigentümer hat es geklappt.
"Die haben das Dach erneuert und innen drinnen wahnsinnig viel gemacht. Aber die Struktur des Gebäudes ist erhalten. Und das ist ein Vorzeige-Projekt",
… das begehrten Wohnraum schafft. Attraktion beim Tag des offenen Denkmals im vergangenen Spätsommer, zu dem die Gemeinde und die Eigentümerfamilie einluden.
"Die Leute haben denen die Bude eingelaufen, weil so viele sehen wollten, wie man ein altes Gebäude umbaut, saniert, energetisch saniert, aber auch damit umgeht, dass man sieht, es ist ein altes und kein neues Haus."
Erzählt Barbara Schommer auf ihrem Weg durch den Grüngürtel mit Obstwiese, gelegen zwischen Kita, Grundschule und Kirche. Bis 2014 ein hässlicher Schotterplatz, dann mit Mitteln der Dorferneuerung und Eigenarbeit umgestaltet.
"Insgesamt um die 2000 Stunden haben die Bürger geleistet, um den Platz hinzukriegen. Die Bepflanzung, die essbaren Hecken an der Seite haben wir alles selber gemacht."
"Ich finde es sehr schön gerade auf dem Land hier, die Kinder können ungestört draußen spielen. Es ist hier alles in der Nähe: Schule Kindergarten, Bäckerei, Arzt. Man kann zu Fuß alles unternehmen",
…sagt Nicole Shaw, selbst zugezogen. Ihr Mann wohnte zum Glück schon in Martinshöhe. Der eine Sohn radelt als Erstklässler allein zur Grundschule. Der andere fährt zum Gymnasium.
"Nach Zweibrücken, so eine halbe Stunde mit dem Bus."

Hoffen auf mittel- bis langfristige Erfolge

Mehr junge Familien wie die Shaws bräuchte Martinshöhe, um Kita und Grundschule langfristig auszulasten. Dass nach drei Jahren mühsamer Gespräche nur sieben innerörtliche Bauplätze bereitstehen – nicht genug. Verhängt die Gemeinde Zwangsmittel gegen Eigentümer dauerhaft leerstehender Immobilien, muss sie mit kostspieligen Klagen rechnen. Ein Neubaugebiet mit hohen Erschließungskosten kann Martinshöhe kaum bezahlen. Zum Glück vielleicht, denn oft verwahrlosen die Dorfkerne, wenn ein Neubaugebiet Geld und Aufmerksamkeit von den innerörtlichen Problemzonen abzieht. Auch Neubaugebiete werden alt und dann oft hässlich. Vielleicht bleibt Martinshöhe zumindest dieses Problem erspart. Wenn die Gemeinde dranbleibt,
"…werden sich mittel- bis langfristig Erfolge einstellen",
prognostiziert Julia Kaiser. In Rockenhausen-Marienthal, 60 Kilometer nordöstlich von Martinshöhe, sei das nach 15, 20 Jahren der Fall. Wenn alles nicht funktioniere, müsse man eine Schrumpfung klug steuern, sagt die Lauterer Stadtplanerin.
"Das heißt ja nicht sofort, dass man ein Dorf zumachen muss oder dass da keiner mehr wohnt. Es bedeutet nur, dass da über einen längeren Zeitraum einfach weniger Leute wohnen, aber dass das Leben in der Gemeinde immer noch lebenswert sein kann."
Eine gute Botschaft für Kümmerer mit langem Atem.
Mehr zum Thema