Neue Helfer in der Krebsvorsorge

Moderation: André Hatting · 26.10.2012
Bei dem Projekt "Discovering Hands" wird der Tastsinn sehbehinderter Menschen zur Verbesserung der Brustkrebs-Früherkennung genutzt. In Deutschland gibt es derzeit 17 Praxen, die dieses Untersuchungsverfahren anbieten, erklärt Frank Hoffmann, der Gründer des Sozialunternehmens.
André Hatting: Blinde Menschen fühlen mehr, ihr Tastsinn ist deutlich besser ausgebildet als bei Menschen ohne Sehbehinderung. Genau darum geht es bei dem Projekt mit dem Namen "Discovering Hands", also so viel wie findige Hände. Es nutzt den überlegenen Tastsinn blinder und sehbehinderter Menschen zur Verbesserung der Brustkrebs-Früherkennung.

Aus Anlass des 100. Geburtstages des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes will ich mit Frank Hoffmann über "Discovering Hands" sprechen. Hoffmann ist Gynäkologe, arbeitet in Mülheim an der Ruhr und hatte die Idee zu diesem speziellen Unternehmen. Guten Morgen, Herr Hoffmann.

Frank Hoffmann: Guten Morgen, Herr Hatting.

Hatting: Was genau steckt hinter dem Unternehmen "Discovering Hands"?

Hoffmann: "Discovering Hands" ist ein Sozialunternehmen, welches die Ausbildung von blinden Frauen zu spezialisierten Brust-Tastuntersucherinnen ermöglicht, dabei gleichzeitig die Tätigkeit dieser Medizinischen Tastuntersucherinnen, abgekürzt MTU, im Markt, also in den Praxen begleitet und dafür sorgt, dass diese innovative Leistung möglichst vielen Frauen in Deutschland zur Verfügung gestellt wird.

Hatting: Wie sind Sie auf die Idee gekommen?

Hoffmann: Ich selbst bin Gynäkologe. Krebsvorsorge ist ja eines unserer Hauptthemen in den Praxen. Und die Brustkrebs-Früherkennung stützt sich im Wesentlichen auf die Tastuntersuchung. Erst ab 50 steht Frauen die Mammografie als Screeningverfahren zur Verfügung, was wertvoll und gut ist.

Trotzdem ist für Frauen unter 50 eben nur die Tastuntersuchung vorgesehen. Für Frauen zwischen 40 und 44 ist aber Brustkrebs die häufigste Todesursache und von daher gesehen war ich auf die Idee gekommen, eine optimierte Tastuntersuchung in die Praxis zu bringen und dafür eben den optimal trainierten Tastsinn von blinden Frauen nutzbar zu machen.

Hatting: Wie genau sieht diese spezielle Ausbildung aus?

Hoffmann: Es ist ein Kurrikulum, das sich über einen Zeitraum von neun Monaten erstreckt. Sechs Monate werden die Ausbildungskandidatinnen in spezialisierten Zentren in Düren, in Halle, in Nürnberg und in Mainz auf ihre Tätigkeit vorbereitet. Im Wesentlichen geht es natürlich um die Tastuntersuchung selbst, aber es werden auch alle Inhalte, die man zur Brustgesundheit und zur Erkrankung der Brust wissen muss, vermittelt.

Und ein ganz wesentlicher Ansatz ist noch das Kommunikationstraining. Über 200 Stunden Kommunikationstraining erfahren die MTUs in ihrer Ausbildung.

Hatting: Warum ist das Kommunikationstraining dabei so wichtig?

Hoffmann: Die MTU hat über 30 Minuten Zeit, mit der Patientin sich zu beschäftigen. Die Tastuntersuchung an sich wird sehr genau und sehr präzise ausgeführt. Aber in dieser Zeit steht eben auch ganz viel Raum zur Verfügung, mit der MTU als Fachfrau für Brustgesundheit zu sprechen. Und es hat sich herausgestellt, dass die Angst vor dem Brustkrebs bei den Frauen häufig so tief verwurzelt ist und so tief sitzt, dass da ein ganz wichtiger Aufklärungsbedarf auch besteht, und den leisten die MTUs hervorragend.

Hatting: Wie groß ist die Nachfrage? Wie viele blinde Frauen haben sich bislang für diese Fortbildung interessiert?

Hoffmann: Wir haben zurzeit 17 Praxen und davon zwei Kliniken in Deutschland, die dieses Untersuchungsverfahren anbieten. Wir sind ganz am Anfang eigentlich, werden aber in den nächsten fünf Jahren etwa 60 MTUs für den Einsatz in der Praxis ausgebildet haben, und hoffen, dass es natürlich auch danach kräftig weitergeht.

Wir sind jetzt gerade dabei, sowohl interessierte Kolleginnen und Kollegen anzusprechen, die eine MTU beschäftigen möchten, wie auch blinde Frauen zu motivieren, sich für diese Ausbildung anzumelden. Das ist ganz wichtig, auch darauf hinzuweisen, dass es diese Möglichkeit gibt, denn ohne entsprechende Ausbildungskandidatinnen kann es ja nicht weitergehen.

Hatting: Was kostet diese Untersuchung die Patientinnen, oder übernimmt das die Krankenkasse?

Hoffmann: Wir haben glücklicherweise inzwischen etwa 5,5 Millionen Frauen in Deutschland, die aufgrund ihres Versicherungsstatus Anrecht auf diese Untersuchung haben. Da sind die Kassen bereits bereit, die Kosten für die Untersuchung zu übernehmen. Es sind also mehrere größere Kassen, die sich dazu bereit erklärt haben, die Kostenübernahme auszusprechen. Ansonsten ist es eine Leistung, die als individuelle Gesundheitsleistung 46,50 Euro für die Patientin kostet.

Hatting: Mit wie vielen Arztpraxen in Deutschland arbeitet "Discovering Hands" mittlerweile zusammen?

Hoffmann: Zurzeit sind es 17. Wir sind gerade dabei, den Kreis zu erweitern, und hoffen, das auch in relativ kurzer Zeit leisten zu können.

Hatting: Sie haben ja sogar innerhalb kurzer Zeit den Kreis schon sehr erweitert. Wie weit war denn der Weg von der Idee zu einem richtigen Unternehmen?

Hoffmann: Der war recht lang, denn wesentlicher Teil war ja auch überhaupt die Formulierung der Ausbildung, die Prüfungsordnung, das Assessment, die Ausbildungskandidatinnen müssen auf ihre Eignung für die Ausbildung getestet werden.

Wir haben dann den Schritt Anfang 2012 gewagt, mit einem Sozialunternehmen, einer gemeinnützigen Unternehmergesellschaft dieses Thema jetzt aufzunehmen und dann in eine Marktbegleitung hineinzubringen, denn es nützt ja nichts, wenn ausgebildet wird und dann die Praxen fehlen, die MTUs einstellen würden. Und das hat sich gewaltig verändert.

Hatting: Welches Potenzial hat das Unternehmen noch? Wo wollen Sie noch hin?

Hoffmann: Ich glaube, dass diese Idee, die scheinbare Behinderung zu einer Begabung zu machen und letztendlich dann zum Nutzen anderer Menschen einzusetzen, etwas ist, was nicht nur in Deutschland funktioniert, sondern was auf der ganzen Welt seine Berechtigung hat.

Wir sind zurzeit in Gesprächen mit österreichischen Partnern und werden voraussichtlich 2013 dieses "Discovering Hands"-Modell auch nach Österreich transportieren. Weitere Länder haben angefragt. Ich glaube, dass insbesondere da, wo die Apparatemedizin nicht so vertreten ist und wo vielleicht auch der Anteil von blinden Menschen in der Bevölkerung größer ist als hier, "Discovering Hands" ganz besonders große Chancen hat.

Hatting: Das war Frank Hoffmann. Er ist Gynäkologe und hat das Unternehmen "Discovering Hands" gegründet. Es nutzt den Tastsinn Blinder für die Brustkrebs-Früherkennung.

Auf www.discovering-hands.de finden Sie weitere Informationen. Ich danke für das Gespräch, Herr Hoffmann.

Hoffmann: Herzlichen Dank!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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