Neue EU-Regeln für Kaffeemaschinen

Gefahr für die Kaffee-Kultur?

Soziologe Herbert Kalthoff im Gespräch mit Christopher Ricke · 03.01.2015
Das Aus für stromfressende Kaffeemaschinen durch neue EU-Vorgaben bedrohe nicht die Kaffee-Kultur, sondern sei Teil einer Revolution der Kaffeekultur, meint der Soziologe Herbert Kalthoff. Die neue Regelung könnte aber die Nachfrage nach älteren Maschinen etwa auf Flohmärkten steigern.
Seit dem 1. Januar 2015 ist nach der Öko-Design-Richtlinie der EU bei Kaffeemaschinen die Warmhaltefunktion begrenzt. Die Kaffee-Kultur und Produktivität in deutschen Unternehmen ist durch die Vorgaben aber nicht in Gefahr, meint der Kaffeekultur-Experte Herbert Kalthoff.
"Das ist ja nicht das Ende der Geschichte, sondern nur ein Modernisierungsschub", erklärte Kalthoff im Deutschlandradio Kultur angesichts der neuen EU-Anforderungen zur maximalen Warmhaltezeit von Kaffeemaschinen. Auch bei automatischer Abschaltung der Warmhaltefunktion habe der Kaffeetrinker "die Substanz, die er dann zu sich führt, weiter verfügbar," so der Professor für Soziologie an der Universität Mainz.
Suche nach Kaffeemaschinen aus früheren Jahren
Soziologisch gesehen habe es im Bereich des Kaffeekonsums in den vergangenen 20 Jahren eine Kulturrevolution gegeben. Und die Entwicklung neue Technologien schreite ständig voran: "Es sind Prototypen auf dem Markt, die nicht nur die Bohnen mahlen, sondern überhaupt erst zuhause rösten," erklärte Kalthoff. Die Gesetzesänderung könnte sich aber durchaus in der Suche nach Kaffeemaschinen aus früheren Jahren bemerkbar machen: "Man sucht dann Flohmärkte auf, und kauft dann all diese alten Maschinen."
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Das Interview im Wortlaut:
Christopher Ricke: Es gibt selten den Fall, aber manchmal gibt es ihn, da fließen Kultur und Politik, Sozialwissenschaft, Ökonomie und Ökologie perfekt zusammen. Das passiert in der Ökodesign-Richtlinie der Europäischen Union. Die regelt seit Anfang des neuen Jahres die Kaffeemaschinen in der EU. Und da steht zum Beispiel: „Wenn der Kaffee in eine Thermoskanne gefiltert wird, muss die Maschine fünf Minuten später abschalten." Verstehe ich, der Kaffee ist ja dann auch seit fünf Minuten in der Thermoskanne. Die Glaskanne, die normale, die darf 40 Minuten warm gehalten werden, um Strom zu sparen, Geld zu sparen und die Umwelt zu schonen. Und vielleicht ist es ja so gut für die Kaffeekultur, wenn das Aroma nicht stundenlang ausdampft. Ich spreche jetzt mit dem Mainzer Soziologieprofessor Herbert Kalthoff. Die Soziologie des Kaffees ist eins seiner Themen. Guten Morgen, Professor Kalthoff!
Herbert Kalthoff: Guten Morgen!
Ricke: Ich war gerade im Internet und habe Ihr Kaffeesoziologie-Seminar aufgeschlagen, da lese ich: Von Interesse sind die sozialen und ökonomischen Dimensionen des weltweiten Kaffeehandels, der techniksoziologische Blick auf die Kaffeemaschine und der kultursoziologische Blick auf das Café. Also zumindest im Bereich der Techniksoziologie kriegen wir ja eine Weiterung jetzt dank EU. Sind Sie vorbereitet?
Kalthoff: Ja, wir bekommen eine Erweiterung, und zwar in technischer Form. Die Geräte, die neuen Geräte sollen sich ja automatisch in den Standby-Modus begeben um, wie Sie schon gesagt haben, Energie einzusparen.
Ricke: Bin ich dann als Kaffeebrüher fremdbestimmt, zwangserzogen? Was sagt der Soziologe?
Kalthoff: Also es gibt ja viele technische Geräte, technische Apparaturen, technische Dinge, die uns bestimmte Dinge, bestimmte Handlungen vorgeben, und das wird, denken Sie etwa an den berühmten Berliner Schlüssel, der Anfang des 20. Jahrhunderts in Berlin erfunden wurde, ...
Ricke: Den muss man, glaube ich, außerhalb Berlins erklären: Den kriegt man nur raus, wenn man wirklich zuschließt.
Kalthoff: Den kriegt man nur raus, wenn man zuschließt, genau, und so wird auch ... Bestimmte Dinge geben uns einfach vor, wie wir sie benutzen müssen, und das wird bei diesen neuen Kaffeemaschinen, die ja erst sukzessive in den Markt eingeführt werden, auch der Fall sein.
Ricke: Jetzt werde ich von der Technik also da bestimmt. Ist das jetzt aus Ihrer Sicht eher hinderlich, weil ich in meiner freien Willensausübung behindert werde, oder ist es vielleicht sogar förderlich, weil ich vielleicht herausgefordert werde, die Technik zu überlisten?
Kalthoff: Ja, beides ist denkbar. Man kann sich vorstellen, dass wir natürlich, in Anführungszeichen, fremdbestimmt sind dadurch, dass die Technik uns ein bestimmtes Verhalten vorgibt und dieses moralische Gesetz lautet: Spare Energie! Dieses moralische Gesetz ist sozusagen in die Technik eingelassen. Auf der anderen Seite wird man abwarten müssen, um dann zu sehen, wie Menschen in ihrem Büroalltag, in den Organisationen kreativ mit diesen neuen Technologien umgehen, ob sie sie vielleicht umgehen können. Das wird abzuwarten sein.
Kulturrevolution im Kaffee-Konsum
Ricke: Schauen wir uns noch mal die soziokulturelle Bedeutung des Kaffees im Jahre 2015 an. Kaffee hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten dramatisch verändert. Nach der Filtertüte kam der Vollautomat, Pads gibt es, Durchdrückkannen, Konzentrat in Aludosen, Latte Macchiato mit laktosefreier Sojamilch und so weiter, und so weiter, jetzt die neue Ökodesign-Richtlinie der EU. Was verändert sich?
Kalthoff: Es kommt drauf an, aus welcher Sicht man das betrachtet.
Ricke: Betrachten wir es aus der Sicht des Kaffeetrinkers.
Kalthoff: Aus der Sicht des Kaffeetrinkers ändert sich erst mal wenig, würde ich behaupten, weil er kann weiterhin seinen Kaffee brühen, auf welche Art auch immer, und hat in Kaffee dann diese Substanz, die er zu sich führt, die er einnimmt, weiter verfügbar. Da ändert sich also wenig.
Ricke: Und aus der Sicht des Wissenschaftlers?
Kalthoff: Aus Sicht des Wissenschaftlers, Sie haben es schon angesprochen: Man kann nur sagen, dass es im Bereich des Kaffeekonsums eine Kulturrevolution in den letzten 10, 15 Jahren gegeben hat, vielleicht sogar 20 Jahren, die unseren Geschmack grundlegend verändert hat. Man spricht in der Literatur mittlerweile nicht mehr nur von der sogenannten Second Wave, also der zweiten Welle, sondern sogar von der dritten Welle. Die Entwicklung der Maschinen geht ja weiter. Es sind neue Prototypen auf dem Markt, die nicht mehr nur die Kaffeebohnen mahlen, sondern die Kaffeebohnen überhaupt erst zu Hause rösten lassen. Diese Ökorichtlinie der EU mit diesen Verordnungen jetzt für das Jahr 2015, dem Standby-Modus – das ist ja nicht das Ende der Geschichte, sondern nur ein Modernisierungsschub auf diesen Märkten.
Ricke: Ich habe zu Hause einen Kaffeevollautomaten, das ist also eine Maschine, die mahlt. Beim Rösten bin ich noch nicht. Der hat schon eine EU-Richtlinie: Nach 20 Minuten, nachdem ich die letzte Kaffeetasse gezapft habe, reinigt sich diese Maschine und schaltet dann ab. Blöd bei mir ist: Wenn ich nach ungefähr 21 Minuten noch eine Tasse Kaffee trinken möchte, dann schalte ich das Ding wieder ein, das reinigt sich erst mal, und dann mache ich mir Kaffee. Das kostet zu Hause viel Zeit. Im Büro würde ich das nicht wagen, weil ich Angst hätte um meine Produktivität als Arbeitnehmer. Ist diese Angst berechtigt?
Kalthoff: Ich glaube, dass diese Angst nicht berechtigt ist, weil viele Organisationen wissen, dass der Konsum von Kaffee oder anderen Produkten, Tee gehört ja in ähnlicher Weise auch dazu, zum sozialen Frieden in den Organisationen, Unternehmen dazugehört. Wichtig ist ja, dass diese Kaffeemaschinen, egal, in welcher Weise sie in den Organisationen existieren, immer auch ein Ort sind, wo Menschen sich versammeln, wo sie sich finden, wo sie miteinander Dinge besprechen, die auch für den Ablauf in den Organisationen wichtig ist. Von daher sehe ich nicht so, dass man da Probleme haben müsste oder bekommen würde im Ablauf des Arbeitsalltags.
Suche nach Kaffeemaschinen aus früheren Jahren
Ricke: Man könnte ja diesem Ort der Kommunikation und der Organisation vielleicht auch noch etwas Konspiratives verleihen, das schweißt ja auch zusammen, indem man sagt, wir suchen jetzt nach alten Kaffeemaschinen, die sich nicht automatisch abschalten – so wie wir das ja mit den Glühbirnen auch schon erlebt haben.
Kalthoff: Ja, das ist denkbar. Man sucht dann Flohmärkte auf und kauft sich all diese alten Maschinen und nutzt sie dann. Auf diese Art und Weise des Handels mit alten Maschinen hat die EU-Richtlinie ja überhaupt keinen Einfluss und kann das auch nicht regulieren. Sie kann es eigentlich nur technisch regulieren, indem sie dann die Produzenten dazu verpflichtet, diesen Abschaltmodus technisch zu implementieren, und sie kann, was für uns Verbraucher vielleicht nicht ganz uninteressant ist, diese neuen Kaffeemaschinen mit einem Ranking oder Rating versehen, wo wir dann wissen, welcher Energieeffizienzklasse dieses Gerät, was wir erwerben möchten, zuzuordnen ist.
Ricke: Neue EU-Regeln für Kaffeemaschinen– ich sprach mit dem Mainzer Soziologieprofessor Herbert Kalthoff. Vielen Dank, Professor Kalthoff!
Kalthoff: Ja, ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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