Neue Alben: Weltmusik

Ein Kontrabass wie ein federndes Kissen

Das Barcelona Gipsy Balkan Orchestra gibt im Juni 2017 ein kostesloses Solidarkonzert mit Roma in Rumänien beim "Jazz in the Park"-Festival in Cluj-Napoca.
Das Barcelona Gipsy Balkan Orchestra gibt im Juni 2017 ein kostesloses Solidarkonzert mit Roma in Rumänien beim "Jazz in the Park"-Festival in Cluj-Napoca. © imago/Cronos
Von Olga Hochweis · 30.04.2018
Spannende Bands und Ensembles, die sich dem Balkan und Mittelmeerraum auf bemerkenswert eigene Weise nähern: Unsere Rezensentin ist begeistert von gleich drei neuen Alben. Sie empfiehlt das Barcelona Gipsy Balkan Orchestra, Loxandra und Altin Gün.
Ein charmanter Gegenentwurf zum Wunsch vieler Katalanen nach Abgrenzung ist das Barcelona Gipsy Balkan Orchestra. Seine acht Mitglieder stammen aus diversen romanischen Ländern genau so wie aus der Ukraine oder Serbien. Sie machen in Barcelona ihr ganz eigenes Ding, jenseits von Grenzen und Nationalitäten.

Das vierte Album heisst "Avo Kanto" – ein Esperanto-Titel als Ausdruck für die Band-Vielfalt. Avo Kanto bedeutet: die Lieder der Großväter – die klingen hier allerdings nicht nach alten Männern, sondern nach der jungen Sängerin Sandra Sangiao. Mal lasziv, dann wieder ausgelassen – immer voller Hingabe – führt die Stimme der Katalanin durch eine Reise von Musiktraditionen der Iberischen Halbinsel bis zum Balkan. Volkslieder in Rumänisch und Romanés sind zu hören, in Spanisch und Mazedonisch. Doch nicht nur der beseelte Gesang und die vielen Sprachen überzeugen.
Im filigranen Zusammenspiel macht das Barcelona Gipsy Balkan Orchestra seinem Namen alle Ehre. Die dichten Arrangements auf "Avo Kanto" sind entzückend. Der Kontrabass klingt wie ein warm federndes Kissen, über dem sich Geigen, Gitarre, Akkordeon, Klarinette und diverse Perkussionen in schönste Extase spielen, aber auch intensive Gespräche führen können. Alter Wein in neuen Schläuchen? Sehr gern, wenn er so geschmackvoll daherkommt wie hier.

Barcelona Gipsy Balkan Orchestra, "Avo Kanto" (Satelite K, Vertrieb Galileo)

Wir bleiben auf dem Balkan und ziehen weiter ostwärts nach Griechenland. Das Ensemble Loxandra hat sich für sein kleines Comeback nach rund fünf Jahren Pause mit einem neuen Album zurückgemeldet: "In Transition"
Behutsame Übergänge zwischen Vergangenheit und Gegenwart suchen die Musiker aus Thessaloniki, deren Projekt vor mehr als 20 Jahren entstand und das nun mit überwiegend neuen Kollegen antritt: Zu regional einschlägigen Instrumenten wie Oud und Kanun – der orientalischen Kastenzither – gesellen sich Klarinette, Geige, Bass und viel Perkussion. Archaische Klänge treffen auf dezenten Bebop, Swing und Ska.

Neben Eigenkomposition versammelt das Oktett Lieder und Instrumentalstücke vornehmlich osmanischer Traditionen, darunter den Rembetiko – den griechischen "Blues" – aber auch populäre griechische Lieder aus den 1960ern. Über allem schwebend der betörende Gesang von Ria Ellinidou. "In Transition" markiert eine geglückte Neuerfindung von Loxandra. Hörenswert.

Loxandra, "In Transition" (Dalit Music, Vertrieb Soulfire Artists)

Von neugeborenen alten Hasen jetzt zu einem umwerfenden Debüt, das es der Rezensentin schwer macht, sich auf nur zwei von zehn Songs zu beschränken. Es trägt den Titel "On" und kommt von Altin Gün: ein Multi-Kulti-Sextett aus Amsterdam, das mit wunderbarer Frische türkische Liedklassiker mit Funk und psychedelischen Sounds verbindet.

Im Zentrum des Albums steht die Verbeugung vor Neset Ertas – 2012 ist er in Izmir gestorben. Der Mann, der schon mal als "Leonard Cohen der Türken" bezeichnet wurde, hat mit seinen poetischen Liedern die türkische Volksseele geprägt. Altin Gün erweisen ihm auf ganz eigene Weise die Ehre: hochenergetisch, trancehaft, voller Rhythmus und Groove, mit genialen handgemachten wie auch elektronischen Sounds. Nicht zu vergessen einer überzeugenden Sängerin nebst dem ebenfalls singenden Saz-Spieler. Zu hören ist in den wenigen ruhigeren Tracks, dass Altin Gün neben Power auch Poesie beherrschen. Der Bandname bedeutet übrigens: der goldene Tag – wobei sich auch Clubnächte mit diesem Erstling vergolden lassen. Dank der puren Droge Musik.

Altin Gün, "On" (Bongo Joe, Vertrieb: Broken Silence)

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