Neudeck: Korrupte Eliten stecken Entwicklungshilfe in eigene Tasche

Moderation: Joachim Scholl · 18.05.2007
Vor dem Hintergrund des G8-Gipfels in Heiligendamm hat der Vorsitzende des Friedenskorps Grünhelme e.V., Rupert Neudeck, dazu aufgerufen, die Entwicklungshilfe nicht auf alle afrikanischen Staaten zu verteilen. Man solle mit den wenigen anfangen, die sich als nicht korrupt gezeigt hätten wie Uganda, Tansania, Mosambik, Ghana und Mali.
Joachim Scholl: Auf dem letzten G8-Gipfel im schottischen Gleneagles haben die Industrienationen ein massives Hilfsprogramm für Afrika und seine Probleme aufgelegt. Inwieweit es gefruchtet hat, dazu haben sich prominente Vertreter von Nichtregierungsorganisationen in dieser Woche geäußert: Rockstars wie Bono von U2, Bob Geldof, der Sir der Live-Aid-Konzerte und Herbert Grönemeyer. Das erzeugt natürlich immer große Öffentlichkeit, aber wie viel Vernunft steckt hinter diesen Forderungen eigentlich. Am Telefon ist jetzt Rupert Neudeck, bekannt und schon legendär, kann man sagen, als Mitbegründer und früherer Leiter der Hilfsorganisation Cap Anamur, jetzt ist er Vorsitzender des Vereins Internationales Friedenskorps Grünhelme, guten Morgen, Herr Neudeck!

Rupert Neudeck: Ja, guten Morgen!

Scholl: Die Bundesregierung hinke mit ihren Finanzzusagen hinterher, hieß es in den vergangenen Tagen. Heute wurde bekannt, dass Deutschland also bis 2011 jetzt doch die Entwicklungshilfe beträchtlich aufstocken wird, das "Handelsblatt" schreibt von zwei bis drei Milliarden – da müssten sich alle Kritiker eigentlich freuen. Sie auch?

Neudeck: Nein! Weil das nicht das Entscheidende ist in der jetzigen Situation. Ich kenne nun dieses leidige Thema seit – heute, seit diesem Jahr, 27 Jahre. Ich habe in einem Land angefangen, in Afrika zu arbeiten, das es heute auf der Landkarte gar nicht mehr gibt, das heißt nämlich Somalia, das gibt es überhaupt nicht mehr, das ist ein Fall, der eigentlich in der Weltgeschichte nicht vorgesehen ist. Und wir wissen, dass es nicht an den Summen von Geldern gelegen hat. Médecins Sans Frontières, die französische Organisation Ärzte ohne Grenzen, hat in Paris im letzten Jahr herausbekommen, dass in den letzten 30 Jahren 1400 Milliarden US-Dollar nach Afrika gegangen sind. Das heißt, es hat nicht an der Quantität der Gelder gefehlt, sondern es hat daran gefehlt, dass wir dort nicht Regierungen haben, die für ihre Völker alles rausholen wollen, die ehrgeizig sind in dem Plan, für ihr Volk etwas auf dem Weltmarkt herauszuholen, sondern wir haben dort – ich muss es ganz drastisch sagen – wir haben bis auf ganz wenige Ausnahmen korrupte, nichtsnutzige, machtgierige Eliten in Afrika, die nichts weiter im Sinn haben, als sich selbst alles in die Tasche zu holen, und wenn dann ein Putsch kommt, auch direkt nach Europa, nach Genf oder in eines der Länder, in denen es gute Banken gibt, zu verschwinden. Das ist die Situation. Dazu kommt eben, dass wir in Europa völlig heuchlerisch weiter die Agrar-Subventionen durchführen, die dazu führen, dass heute in Kenia, in dem Land, in dem viele von uns Urlaub machen, irische Butter gegessen wird, obwohl in Kenia – ich kann es Ihnen und den Hörern versichern – gibt es eine hervorragende Landwirtschaft, aber da diese Preise der importierten Butter aus dem Europäischen- Union-Raum so viel billiger sind, machen wir dort die eigenen Märkte, die Landwirtschaft, kaputt, das tun wir absichtlich, ausdrücklich und das tun wir seit 30 Jahren.

Scholl: Herr Neudeck, lassen Sie uns das Problem der Agrar-Subventionen noch mal kurz zurückstellen und bei der Entwicklungshilfe noch mal bleiben. Ein zweiter Punkt der Forderungen, die immer wieder gestellt werden, ist auch Entschuldung. Auch das hat gefruchtet, wenn man so will, nach Gleneagles sind etliche Staaten – zu 100 Prozent teilweise – entschuldet worden. Ist das eine gute Strategie, der Schuldenerlass?

Neudeck: Das ist nur dann eine gute Strategie, wenn man diesen Ländern und diesen Regierungen sofort sagt, wie der Bundespräsident Köhler das einmal ganz mutig gesagt hat bei einem Afrikabesuch: Das ist eine einmalige Aktion, das ist kein Abonnement! Diese Regierungen meinen aber, das sei ein Abonnement! Die Verschuldens-Konferenzen, die purzeln übereinander her, jedes Jahr wird irgendwie in Paris wieder über neue Entschuldungsstrategien gesprochen, und dann kriegen sie wieder ihre leckeren Sachen reingewürgt – nein! Es muss eine einmalige Strategie sein, weil das Entscheidende muss doch hinter der Entschuldung sein, was nach der Entschuldung kommt. Und wenn wir da nicht eine ganz neue Strategie entwickeln, dann haben wir verloren.

Scholl: Jetzt sind ja aber Zahlen zum Beispiel veröffentlicht worden mit durchaus positiven Ergebnissen, also 20 Millionen Kinder in Afrika könnten jetzt auch wieder in die Schule gehen, das hat mit der Entschuldungspolitik in den verschiedenen Ländern zu tun gehabt – also da haben die Regierungen dann schon etwas gemacht. Ich meine, alle Regierungsorganisationen, also jetzt auch die Bundesregierung betont ja auch immer wieder, dass das sozusagen ein Netz der Verbindung sein muss, also Entwicklungshilfe muss sich also auch mit "good governments", das heißt eben einer guten Regierungspolitik, gegen die Korruption richten, das sozusagen das nicht nur monokausal ist. Eigentlich haben die Politiker doch da schon eigentlich ein gutes Ohr dafür!

Neudeck: Ja, das gute Ohr führt aber noch nicht zu realen Taten und es gilt weiterhin der Grundsatz von Erich Kästner, dass es nichts Gutes gibt, außer man tut es! Das heißt, die Erkenntnisse, ich kann Hundert Bücher hier Ihnen vorzählen, in denen das alles schon steht. Aber wir haben es nicht durchgeführt. Und wir haben es wirklich nicht erreicht, dass irgendwo eine korrupte Regierung wirklich gefallen ist. Wir machen weiter die Politik so, als ob wir es mit souveränen, guten Regierungen zu tun haben. Und das haben wir nicht!

Scholl: Das Thema Afrika auf dem kommenden G8-Gipfel, darüber sprechen wir hier im Radio-Feuilleton mit Rubert Neudeck. Herr Neudeck, im März haben 40 NGOs, also so genannte Nichtregierungsorganisationen – darunter Greenpeace, die Heinrich-Böll-Stiftung, Germanwatch – ein Positionspapier mit einem Forderungskatalog an die G8-Staaten vorgelegt, bei Afrika heißt es da: " … werden konkrete Finanzierungsprobleme der Weltbank und des IWF angemahnt." Nächste Woche tagt in Berlin das Deutsche Weltbankforum, da geht es auch um Strategien, gerade was die Finanzen und die Investitionskraft Afrikas angeht. Wo sehen Sie da das Problem?

Neudeck: Das Problem ist, dass wir bescheidener sein sollen. Wir sollen nicht weiter versuchen, als Staat Bundesrepublik Deutschland oder als EU-Behörde in Brüssel mit 50 Regierungen und souveränen Staaten zu meinen, dass wir die richtig geregelt bekommen in Zusammenarbeit mit ihnen. Wir müssen anfangen, mit ein, zwei, drei Staaten – die müssen auch verteilt werden – der ehemalige Weltbankchef Calderisi für Afrika, der hat das in einem neuen, wirklich sensationell guten Buch mal durchgeführt: Es gibt wahrscheinlich fünf Staaten, die den Ansprüchen auf Staatlichkeit und Regierungsführung überhaupt nur standhalten, annäherungsweise. Das ist Uganda, Tansania, Mosambik, Ghana und Mali. Bei allen anderen geht Geld sofort durch den Rost und in die Taschen der Kleptokraten, das heißt, der Verbrecher, die das Land aussaugen zu Lasten der Bevölkerung. Wir müssen endlich begreifen, dass wir es mit einzelnen Staaten … Wir müssen versuchen, einzelne Staaten fähig zu machen in dieser globalisierten Welt, die unser Schicksal ist, auf dem globalisierten Weltmarkt standzuhalten. Das schafft man nur, wenn man das mit ein, zwei, drei Staaten dort macht, sonst haben wir verloren für die Zukunft ganz Afrikas.

Scholl: Rupert Neudeck, Sie haben vorhin das Thema schon angesprochen, die Agrar-Subventionen der Europäischen Union. Ich habe hier ein entsprechendes Papier der Bundesregierung vorliegen: Wachstum und Verantwortung, das Leitmotiv der deutschen G8-Präsidentschaft, heißt es, und ein zentrales Leitmotiv in diesem Papier heißt: Stärkung der Investitionskraft und der Eigenverantwortung und auch – zumindest hat Bundeskanzlerin Merkel es angekündigt – die Marktregulierung soll beim G8-Gipfel zum Thema gemacht werden. Sehen Sie da Chancen oder ist die EU mit ihrer bislang so abgeschotteten Agrarpolitik ein monolithischer Block, der eigentlich nicht aufzubrechen ist?

Neudeck: Also, seit Willy Brandt – der war ja nun wirklich ein ganz großer Kämpfer für die Rechte der Menschen in der Habenichtse-Welt Afrika – seit Willy Brandt wissen wir, dass dieses das katastrophalste Mittel ist, mit dem wir Afrika kaputt machen. Und ich kann einfach die Bemühungen auch von Bundeskanzlerin Merkel nur von Ferne bewundern: Ich muss Taten sehen, ich kann nicht Papiere sehen. Wenn ich Papiere sehe, wird mir schlecht. Ich kann auch nicht mehr ruhig zuhören, wenn ich höre, dass Frankreich nur dafür verantwortlich ist, weil Frankreich besteht auf den Subventionen für seine Landwirtschaft. Da muss eben ein Land vorangehen und muss sagen: Wir verzichten darauf. Was ich gehört habe in den letzten Jahren ist, dass sich unsere Politiker, auch unsere Ministerin für Entwicklungshilfe, damit brüsten, dass für Baumwolle jetzt alles aufgehoben worden ist an Subventionen. Ja, ich meine, wo in Deutschland, wo in Berlin, wo in Potsdam, wo in Brandenburg, wo haben wir denn Baumwolle? Das ist doch alles ein ziemlicher Witz. Wir brüsten uns immer mit Nicht-Taten, mit heuchlerischen Dingen, die wirklich nicht dazu führen, dass die Habenichtse und die Schmuddelkinder, denen es verdammt dreckig geht in Afrika … 150.000 Frauen müssen jährlich sterben, weil sie keinen Kaiserschnitt kriegen können in irgendeiner Klinik. Das ist einfach die Wahrheit. Und wenn wir nicht anfangen, konkret die Dinge zu machen und vielleicht auch mal eine Konferenz der G8-Staaten woanders stattfinden zu lassen als in großen Hotels, sondern mal vielleicht in der Elendswüste von Mauretanien oder vom Senegal oder von der Elfenbeinküste, dann erst wird vielleicht eine Einsicht kommen bei denen, die uns in Europa das durchsagen.

Scholl: Ich wollte Sie gerade fragen, Herr Neudeck, also, Prominente jetzt wie Bono oder Bob Geldof, die ja nun natürlich sehr in den Medien präsent sind, die gehen sehr positiv mit ihrem Engagement um: Wir sind für Globalisierung, die gut ist, wir sind gegen eine Globalisierung, die schlecht ist, so sagt es also der Ire, und unterhält sich dann, wie man hört, ganz angeregt mit Herrn Steinmeier. Was würden Sie – jetzt haben Sie es schon ein wenig vorweggenommen, Herr Neudeck – in drei Wochen den Regierungschefs erzählen? Was würden Sie versuchen, ihnen als Erstes klarzumachen?

Neudeck: Ich würde anfangen, diese fünf Länder, die ich eben genannt habe, die ausschließlich zu belohnen mit so einen Mitteln, die wir jetzt erhöhen wollen. Ich würde alle anderen radikal streichen die Mittel. Weil nur das ist eine Bestrafung – ich nenne das jetzt ausdrücklich so – nur das wäre eine Bestrafung, die bei diesen korrupten Regierungen wirken könnte. Ich weiß nicht, ob sie wirken kann, aber dadurch würden einige Länder Inseln der Prosperität werden, in die hinein man vielleicht sogar flüchten könnte anstatt auf die kanarischen Inseln. Wenige Länder … Ich würde die Bundesrepublik ermuntern, mit einem Land ganz große Beziehungen zu machen. Ich würde Frankreich ermuntern, mit einem Land zu machen, nicht mit 52, weil dann verläppert sich das wieder und die Mittel gehen wieder in die Taschen der korrupten, fetten Katzen.

Scholl: Vorschläge von Rupert Neudeck, einst der Mann der Cap Anamur, heute beim Friedenskorps Grünhelme aktiv, hier im Radio-Feuilleton. Ich danke Ihnen, Herr Neudeck, für das Gespräch.

Neudeck: Danke auch.