Neuanfang im Radsport unwahrscheinlich

Von Jonas Reese · 27.10.2012
Dass sich nach dem tiefen Fall des Lance Armstrong im internationalen Radsport etwas ändern wird, ist nicht zu erwarten. Es sitzen noch dieselben Funktionäre an der Spitze wie zuvor und keiner hat ein Interesse an dopingfreiem Sport, meint Jonas Reese.
Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte. In Bezug auf den Radsport könnte man dieses Sprichwort abwandeln in: Ein Blick in die Siegerliste der Tour de France sagt mehr als 1000 Worte. Dort wo der Name Lance Armstrong einst sieben Mal zu finden war, prangen nun Leerstellen und verdeutlichen - mehr als 1000 Worte - den Zustand des Radsports in den vergangenen Jahrzehnten.

Lance Armstrong, der einstige Held und Goldesel des Sports ist des "ausgeklügelsten, professionellsten und erfolgreichsten" Doping-Systems überführt. Seine sieben Tour-Titel wurden ihm aberkannt UND keiner der nach ihm Platzierten wird für unbedenklich gehalten, um nachzurücken. Deshalb die gähnende, bestürzende Leere in der Siegerliste.

Die Leerstellen in den Siegerlisten, sie werden nun als eine Art Mahnmal dienen.

Nach den großen Dopingskandalen von 1998 und 2006, nehmen viele die Aufdeckungen um Lance Armstrong zum Anlass, um mal wieder von einem verheißungsvollen Neuanfang zu träumen. Doch wer die Ereignisse verfolgt hat, die bislang nach den Veröffentlichungen der US-Amerikanischen Anti-Doping-Agentur (USADA) eingetreten sind, der muss diese Hoffnung schnell wieder begraben.

Okay, mehrere ehemalige Radprofis und heutige Sportdirektoren haben in diesem Zuge ebenfalls ihr systematisches Doping zugegeben und sind zurückgetreten oder wurden entlassen. Zahlreiche Sponsoren haben Armstrong den Rücken gekehrt, ihm drohen außerdem Schadensersatzklagen in Millionenhöhe. Einer der größten und treuesten Haupt-Sponsoren des Radsports, die niederländische Rabobank, steigt nun nach 17 Jahren Engagement aus.

Ja, das ist schon was und wenn man bedenkt, dass Armstrong im Zuge eines möglichen Verfahrens gegen seinen langjährigen Teamchef Johan Bruyneel bald vor Gericht aussagen müsste, und dass der Branche auch durch die italienische Justiz weitere Erschütterungen durch Enthüllungen um den Doping-Arzt Michele Ferrari drohen, dann könnte man sagen: Es ist doch schon weit gekommen mit der Aufarbeitung.

Wenn man aber sieht, was alles nicht passiert ist in den vergangenen Tagen, dann muss man zu einem anderen Schluss kommen: Noch immer sitzen an der Spitze des Radsport-Weltverbandes die Männer, unter denen dieses ausgeklügelte Dopingsystem möglich war. Unter denen es möglich war, Kontrolleure an der Nase herumzuführen und sich über sie lustig zu machen, wie es in dem USADA-Bericht zu lesen ist.

Pat McQuaid, der aktuelle Weltverbands-Präsident, bezeichnete die ehemaligen Teamgefährten Armstrongs, die gegen ihn ausgesagt haben, als - Zitat - "Drecksäcke". Noch immer ist mit Hein Verbruggen, ein ehemaliger Weltradsport-Chef Ehrenmitglied, der noch immer behauptet, Lance Armstrong habe nie gedopt.

Noch immer hat bislang nur ein Mitgliedsverband harsche Kritik an der Führungsriege des Weltverbandes geäußert - nämlich der luxemburgische Vertreter Regenwetter. Vom Präsidenten des Deutschen Verbandes, dem ehemaligen Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping, hört man bislang nur politische Floskeln.

Und noch immer werden schon bereits des Dopings überführte Radprofis wie Helden gefeiert. Siehe Alberto Contador bei der Vorstellung der 100. Tour de France. Zwei Tage nach dem UCI-Urteil gegen Armstrong wurde die Jubiläums-Tour vorgestellt. Und auch für sie gilt: Noch immer ist die kommende Frankreich-Rundfahrt körperlich anstrengender und spektakulärer als alle ihre Vorläufer.

Nein, die Zeichen auf einen Neuanfang im Radsport, sie sind kaum zu sehen. Vielmehr werden sie von den Zeichen des "Weiter so" überschattet. Doch es ist auch nicht verwunderlich: Denn ein Neuanfang wird nicht kommen, weil ihn keiner will.

Nicht die Athleten im Wettkampf um das Gelbe Trikot, nicht die Funktionäre im Kampf um ihre Posten und nicht die Sponsoren, im Kampf um das größte Spektakel. Selbst der Zuschauer nicht, obwohl er im Endeffekt der Einzige ist, der das zu entscheiden hätte. Doch er will sehen, wie die Sportler Unmenschliches leisten. Er will sehen, wie sie nach L'Alpe d'Huez hinaufsprinten. Und dabei ist es ihm nicht so wichtig, ob Siegerlisten von Leerstellen gesäumt sind.
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