Neu im Kino

Verdächtige Verstrickungen

Szene aus dem Kinofilm "Der blinde Fleck": Benno Fürmann alias Ulrich Chaussy sitzt an einem Tisch und schreibt.
Der Schauspieler Benno Fürmann als Ulrich Chaussy im Kinofilm "Der blinde Fleck" © dpa / picture alliance / Ascot Elite
Von Hans-Ulrich Pönack · 22.01.2014
Beim Attentat auf dem Oktoberfest 1980 kamen 13 Menschen ums Leben. Der Spielfilm "Der blinde Fleck" stellt die damaligen Ermittlungen als politisch gesteuert dar und offenbart Parallelen zur NSU-Mordserie.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mir kommt es gefühlte hundert Jahrzehnte vor, dass sich ein deutscher Spielfilm einmal an ein politisches Spannungsthema aus unserem Land wagt. "Messer im Kopf" von Reinhard Hauff (1978) oder "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" von Volker Schlöndorff (1975) von annodunnemal - aber ansonsten? Dies hier ist der Debüt-Spielfilm des 1983 in München geborenen Daniel Harrich, der Betriebswirtschaft in London und Film in Los Angeles studiert hat. Sein Erstling beißt packend in wahre deutsche Zeitgeschichte und erzählt von einem längst vergessenen bayerischen Terror-Ereignis aus dem Jahr 1980. Und erinnert dabei in seiner aufregenden Unruhe und wütend machenden Konsequenz an vergleichbare französische oder italienische Polit-Thriller aus den mutigen Siebzigern ("Der Richter, den sie Sheriff nannten" von Yves Boisset/1977 oder "Die Macht und ihr Preis" von Francesco Rosi/1975, 1976).
Wir müssen in der deutschen Zeit zurückrudern. In die BRD des Herbstes 1980. Der Bundeswahlkampf ist in vollem Gange. Der bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß will unbedingt Bundeskanzler werden und prollt heftig-deftig gegen den Konkurrenten und Amtsinhaber Helmut Schmidt,der angewidert zurückpolemisiert. Am Freitag, den 26. September 1980, neun Tage vor der Wahl zum neunten Deutschen Bundestag, explodiert um 22:19 Uhr in einem Papierkorb am Haupteingang des Münchner Oktoberfestes eine Rohrbombe. 210 Menschen werden verletzt, 68 von ihnen schwer, zwölf Menschen sterben (der Nachspann nennt die Namen). Das Oktoberfest wird nicht abgebrochen.
Auf dem rechten Auge blind
Die ermittelnden Behörden, Polizei, Bundesanwaltschaft, Politik, finden ganz schnell einen mutmaßlichen rechtsextremen Einzel-Attentäter: Gundolf Köhler, 21, der bei der Explosion ums Leben kam. Den Journalisten Ulrich Chaussy, 1952 in Karlsruhe geboren, überzeugt das baldige und endgültige Ermittlungsabschlussergebnis von der definitiven Einzeltäterschaft nicht. Er stellt eigene Recherchen an und entdeckt immense Widersprüche. Dabei im Blick- und Mittelpunkt: Ministerialdirigent Dr. Hans Langemann (Heiner Lauterbach): "Hinter den Kulissen bin ich nach dem Ministerpräsidenten der stärkste Mann in Bayern. Und ich bleibe das auch." Er sorgte offensichtlich dafür, dass die Presse vor der Polizei am Wohnort von Gundolf Köhler eintraf und für Wirbel sorgte, so dass Mitwisser, Mitmacher, gewarnt waren; und er hatte möglicherweise Interesse daran, das Terror-Ereignis politisch für "seinen" Ministerpräsidenten, für die bevorstehende Bundestagswahl, zu (be-)nutzen, sozusagen als Strippenzieher hinter den Kulissen ("Manchmal muss man eben ein bisschen tiefer bohren, um an die Wahrheit zu kommen").
Zeugen werden mehrmals befragt, unter Druck gesetzt, infrage gestellt, wenn sie nicht zustimmend aussagen. Protokolle erscheinen manipuliert. Schließlich hatte der mächtige Boss klar und deutlich den Auftrag erteilt: "Lassen Sie sich gefälligst etwas einfallen!" So kam es, dass die damals seit Jahren unbehelligt in bayerischen Wäldern übende rechtsextreme "Wehrsportgruppe Hoffmann" nicht ins Ermittlungsumfeld geriet, weil ja sonst die These von der Einzeltäterschaft nicht aufrecht zu erhalten gewesen wäre. Und weil man sonst hätte zugeben müssen, auf dem rechten Polit-Auge blind zu sein. Offiziell ist der Fall aufgeklärt, aber höchst unbefriedigend und unlogisch. Der investigative Journalist Chaussy (Benno Fürman) stößt bei seinen Recherchen auf immer neue Ungereimtheiten. Die Aufklärung des Oktoberfestattentats wird ihm zur Lebensaufgabe.
Er, der am Drehbuch zum Film mitschrieb wagt heute die These, dass es bei guter Aufklärung der damaligen Hintergründe möglicherweise die brutalen NSU-Morde nicht gegeben hätte. "Der blinde Fleck" ist ein verstörender, ein aufwühlender deutscher Polit-Thriller, der übrigens auch für die bevorstehende Berlinale (6.-16.2.2014) als ein heißes deutsches Wettbewerbseisen eigentlich sehr gut geeignet gewesen wäre.

"Der blinde Fleck" von Daniel Harrich (Deutschland 2012, 99 Minuten) mit Heiner Lauterbach, Benno Fürman

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