Neu im Kino: "Pawlenski – Der Mensch und die Macht"

Schmerzhafte Aktionskunst

Der russische Aktionskünstler Pjotr Pawlenski protestiert mit zugenähtem Mund im Juli 2012 vor der St. Petersburger Kazan Kathedrale gegen die Verhaftung von Pussy Riot.
Der russische Aktionskünstler Pjotr Pawlenski protestiert mit zugenähtem Mund im Juli 2012 vor der St. Petersburger Kazan Kathedrale gegen die Verhaftung von Pussy Riot. © Imago/Eastnews
Von Bernd Sobolla · 13.03.2017
Die Aktionskunst des 33-jährigen Pjotr Pawlenski ist blutig und schmerzhaft, aber keineswegs so abstrakt, wie es russische Regierungsvertreter gern darstellen. Sie diffamieren ihn als verrückt. Was er wirklich ist, zeigt nun ein neuer Film.
Er lässt sich in Stacheldraht einwickeln, protestiert mit zugenähtem Mund gegen die Inhaftierung der Punkband Pussy Riot oder sitzt nackt auf dem Roten Platz, wobei er mit einem langen Nagel, der durch seinen Hodensack gestoßen wurde, auf der Straße fixiert ist.
Ja, die Aktionskunst des 33-jährigen Pjotr Pawlenski ist schmerzhaft, aber keineswegs so abstrakt, wie es russische Regierungsvertreter darstellen. Sie diffamieren ihn einfach als verrückt. Doch Pawlenski demonstriert mit seiner politischen Kunst gegen die Unterdrückung des Denkens und die Erstarrung der Gesellschaft. Dabei studierte Pawlenski ursprünglich Wandmalerei, bevor er Aktionskünstler wurde.
"Das war 2012. Damals versuchte der Machtapparat die Kunst zu instrumentalisieren, was zwar ständig in Russland passiert, aber noch nie so offensichtlich wurde: An den Kunsthochschulen habe ich erlebt, wie die Studenten das ganze Jahr über eine Gehirnwäsche erlebten. Ich habe beobachtet, wie aus Künstlern Bedienungskünstler wurden. Und beim Prozess gegen Pussy Riot sah ich, dass es noch darüber hinausging. Weil ich mich als Künstler verstehe und als Künstler weiter leben wollte, musste ich etwas unternehmen. Es wäre für mich keine Perspektive gewesen, der Propaganda als Stellschraube zu dienen."
Wobei Pawlenskis Kunst auch darin besteht, dass er die Polizei zu einem Teil seiner Performance macht: So zeigt der Film, wie die Vertreter der Macht anrücken und nicht wissen, wie sie reagieren sollen, wenn sie den Künstler im Stacheldraht erblicken oder festgenagelt auf dem Roten Platz.
"Der hat sich selbst festgenagelt. Guck dir das an! Wie sollen wir den festnehmen?"

Menschen in Stacheldraht gewickelt

Außerdem: Weswegen könnte er angeklagt werden? Oder wie soll man einen Mann verhören, dessen Mund zugenäht ist - geniale subversive Akte.
"Es geht um Menschen, die sich wie in einem Stacheldraht des gesetzgebenden Systems befinden. Damit sind nicht die Beamten gemeint, die Teil des Systems sind. Ich wollte das repressive System zeigen, in dem sich die Menschen wie in einem Pferch befinden und nicht herauskommen."
Pjotr Pawlenski nagelte 2013 seinen Hodensack auf dem Roten Platz fest.
Pjotr Pawlenski nagelte 2013 seinen Hodensack auf dem Roten Platz fest© imago/Eastnews
Ende 2013 erlebt Pawlenski, wie Hunderttausende Ukrainer auf dem Maidan in Kiew protestieren und ist fasziniert. Am 23. Februar sammelt er mit Helfern im Zentrum von St. Petersburg Reifen. Sie zünden sie an, schlagen mit Eisenstangen auf Metallplatten und einer schwenkt die ukrainische Flagge. Pawlenski nennt die Aktion Swoboda - "Freiheit".
"Der 23. Februar ist der Hauptfeiertag des Militärs in Russland. Der sogenannte Tag 'der Verteidiger des russischen Vaterlandes'. Wir haben die Menschen dazu aufgerufen, einem anderen Feiertag zu folgen, dem Maidan-Feiertag, dem Feiertag der Freiheit. Wir haben versucht, die Menschen aufzuwecken. Doch leider ist uns niemand gefolgt."

Der Staat wirft ihm Vandalismus vor

Pawlenski wird wegen Vandalismus angeklagt, macht aber weiter: Im November 2015 setzt er die Türen des Inlandsgeheimdienstes FSB in Moskau in Brand, um gegen den "Staatsterrorismus" zu protestieren.
Das Foto der Aktion, das ihn vor der brennenden Tür mit dem Benzinkanister in der Hand zeigt, hat Ikonencharakter. Sieben Monate verbringt er in Untersuchungshaft. Seine Rechtsanwälte rechnen mit dreijähriger Haft. Aber dazu kommt es nicht. Denn, wie die Filmemacherin Irena Langemann erlebt: Das Medien-Interesse wird immer größer.
"Am Anfang waren es 30 Teams, dann waren es 40, 50, 60, zum Schluss waren es, also ich hatte den Eindruck, Hunderte standen da und haben gefilmt oder Radiointerviews gemacht oder auch für Printmedien gearbeitet. Ich denke, dieses massive Interesse in der Weltöffentlichkeit hat dazu gebracht, dass er so schnell raus gekommen ist."
Der russische Künstler Pjotr Pawlenski in einem Studio von Deutschlandradio Kultur
Im vergangenen Jahr war Pawlenski zu Besuch im Deutschlandradio Kultur© Deutschlandradio / Margarete Hucht
Der Dokumentarfilm "Pawlenski – Der Mensch und die Macht" zeigt Pawlenskis Aktions-Kunst, deren Kraft unter anderem darauf beruht, dass sich der Künstler zwar in die Öffentlichkeit begibt, aber ohne zu sprechen. Erst durch die Reaktion der "Macht" entfaltet seine Kunst ihre Wirkung.

Ein Künstler mit klarem Konzept

Der Film ist auch eine Charakterstudie des Künstlers, der ein klares Konzept hat und es mit unbeugbarem Willen verfolgt. Die Tatsache, dass ihn der Ermittler Pavel Jasman einst verhörte, seinen Job aufgab und ihn anschließend vor Gericht als Anwalt verteidigte, weil er von seiner künstlerischen Idee fasziniert ist, spricht Bände. Aber welche intellektuelle Schärfe hinter Pawlenskis Gesamtkonzept steht, kommt noch mehr in seinen Büchern zum Ausdruck. In "Der bürokratische Krampf und die neue Ökonomie der politischen Kunst" heißt es:
"Politische Kunst entsteht zwangsläufig aus dem Vorhandensein aller dieser sich ständig optimierenden Werkzeuge zur Unterdrückung und Steuerung der Persönlichkeit. … Der Staat will nicht, dass aus seinem Territorium Formen des freien Denkens entstehen und sich ausweiten. Denn jede dieser Formen bedeutet Unberechenbarkeit, und das heißt immer auch eine potenzielle Gefahr für das Regime."

Kinostart von "Pawlenski – Der Mensch und die Macht" ist an diesem Donnerstag. Kinotour-Termine mit der Filmemacherin Irene Langemann: Köln (15.3., Filmforum im Museum Ludwig), Düsseldorf (16.3., Bambi), Frankfurt (17.3., Harmonie), Leipzig (18.3., Passage), Berlin (19.3., International), Potsdam (19.3., Thalia), Hamburg (20.3., Abaton), Stuttgart (22.3., Delphi), Essen (25.3., Filmstudio), Karlsruhe (26.3., Schauburg), Mannheim (26.3. Atlantis).

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