Neu im Kino: "Leto" von Kirill Serebrennikow

Ein Manifest für die Freiheit der Kunst

Schwarzaufnahme eines asiatischen Schauspielers, der Zigarette rauchend am Strand steht und nachdenklich über seine Schulter blickt.
Teo Yoo als Wiktor Zoi in Kirill Serebrennikovs Film "Leto". Der russische Titel bedeutet auf Deutsch "Sommer". © Hype Film/Kino Vista/Weltkino Verleih
Von Patrick Wellinski · 07.11.2018
Mit "Leto" ist Kirill Serebrennikow ein mitreißendes, herrlich surreales Porträt des in der Sowjetunion populären Musikers Wiktor Zoi gelungen. Bitterer Beigeschmack: In seiner russischen Heimat steht der Regisseur gerade unter Hausarrest.

Worum geht es?

"Leto" spielt im Leningrad der 1980er Jahre. Der 26 Jahre alte Rockmusiker Mike Naumenko versucht sich mit seiner Band an den großen Vorbildern des Westens wie Talking Heads, Blondie, David Bowie oder Lou Reed zu orientieren, aber die staatliche Zensur verhindert den Durchbruch.
Dann begegnet Mike dem charismatischen Wiktor Zoi, dessen lakonische Texte die Band bereichern und sie zu einem absoluten Geheimtipp der Rockszene machen. Doch auch dieser Versuch der musikalischen Rebellion wird durch die tristen politischen Umstände der späten Sowjetunion klein gehalten.

Wer war Wiktor Zoi?

In Sowjetrussland wurde der Rockmusiker Wiktor Zoi gefeiert, in Deutschland ist er kaum bekannt. Olga Hochweis erklärt uns im Gespräch, was es mit Wiktor Zoi und seiner kultischen Verehrung auf sich hat:

Was macht den Film aus?

Der unter zwielichtigen Umständen angeklagte russische Regisseur Kirill Serebrennikow macht aus "Leto" ein eindrückliches Denkmal für den in Russland immer noch verehrten Rockmusiker Wiktor Zoi, der mit seinen Texten den Soundtrack zur kurz bevorstehenden Perestroika lieferte. In wundervollen Schwarz-Weiß-Aufnahmen wirft sich die Kamera in die jungen Leben der Musiker hinein, zeigt ihre Träume und Sehnsüchte. Wir sehen wie sehr die Band doch gerne mit ihren großen Vorbildern aus dem Westen musizieren würde.
Erfolg und Karriere erscheinen da nur sekundär. In Wahrheit geht es ihnen um die freie Entfaltung als Künstler. In herrlich surrealen Szenen baut Serebrennikov ganze Musik-Clips in die Handlung ein, die den grauen und tristen Alltag der Sowjetunion zum Happening machen. Es wirkt wie ein grausamer Witz, dass die Bilder so auch zu einem Spiegel für Serebrennikovs gegenwärtige Situation werden.

Bewertung?

"Leto" ist ein beeindruckendes Porträt der Sehnsüchte einer jungen Generation im Wartezustand. Leidenschaft und Zorn entladen sich und großartigen Musiksequenzen, die nicht nur die westliche aber auch die sowjetische Musik feiern, werden zum Rhythmusgeber dieser Geschichte. "Leto" ist ein Manifest für die Freiheit der Kunst und des Künstlers. Und wer könnte da nicht an den Regisseur selber denken, dessen Hausarrest gerade bis ins Frühjahr 2019 verlängert wurde.
Online-Bonus: Hier ein Eindruck des wirklichen Wiktor Zoi auf der Bühne:
Aktuell: Der russische Regisseur Kirill Serebrennikow hat heute in einem Untreueprozess in Moskau alle Vorwürfe zurückgewiesen:
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