Neu im Kino

Gewaltbereite Frauenrechtlerinnen

Abi Morgan (Drehbuch), Faye Ward (Prodktion) und Sarah Gavron (Regie) waren mit dem Film "Sufragette" zum 33. Filmfestival in Turin eingeladen.
Abi Morgan (Drehbuch), Faye Ward (Prodktion) und Sarah Gavron (Regie) waren mit dem Film "Sufragette" zum 33. Filmfestival in Turin eingeladen. © imago/ZUMA Press
Von Christian Berndt · 30.01.2016
Der Historienfilm "Sufragette", die Jäger-Doku "Grenzblock" und der Thriller "Mittwoch 4:45" - um Helden und Heldinnen, die mit Steinen, Sprengstoff und Gewehren ihren Zielen und Leidenschaften folgen, geht es bei den ausgewählten Neuerscheinungen diese Woche.
"Suffragette": Erstklassige Besetzung, aktuelles Thema, zu viel Schmalz
"Wahlrecht für Frauen, es liegt in eurer Hand!"(Gelächter)
"Das will keiner von uns hören, Süße."
England 1912. Vor der Großwäscherei, in der die junge Maud für einen Hungerlohn schuftet, agitiert eine Suffragette, eine Frauenrechtlerin. Doch ihre Ansprache findet wenig Interesse, auch Maud geht weiter. Die liebevolle Mutter und Ehefrau, eindrücklich gespielt von Carey Mulligan, stößt die Militanz der Suffragetten, die Schaufenster einwerfen und Briefkästen sprengen, ab. Aber ihre Arbeitskollegin Violet und die hilfsbereite Apothekerin Edith, gespielt von Helena Bonham Carter, wecken ihr Interesse.
"Sie sind eine Suffragette Mrs. Ellyn?"
"Ja, aber ich sehe mich eher als Soldatin an, Mrs. Watts."
Der britische Film "Suffragette" erzählt in akkurat historischer Kulisse eine klassische Verwandlungsgeschichte: Von der einfachen Arbeiterin zur heldenhaften Kämpferin. Maud besucht nun geheime Suffragetten-Treffen. Als sie bei einer Demonstration brutalste Polizeigewalt erlebt, gelangt sie zur Überzeugung, dass die Frauen für ihre Gleichberechtigung kämpfen müssen – und beteiligt sich an militanten Aktionen. Sie wird verhaftet und verhört:
"Wir werfen Fenster ein, wir brennen Dinge nieder. Denn Krieg ist die einzige Sprache, die Männer verstehen. Ihr habt uns geprügelt und betrogen, und uns bleibt nichts anderes übrig."
"Dann bleibt uns nichts übrig, als euch aufzuhalten."
"Was wollen Sie denn tun? Uns alle einsperren? Wir sind in jedem Haus, wir sind die Hälfte der Menschheit, Sie können uns nicht aufhalten."
Maud wird sozial geächtet und von ihrem Mann verstoßen. Sehr engagiert erzählt die britische Regisseurin Sarah Gavron in "Suffragette" mit erstklassiger Besetzung – unter anderem Meryl Streep – von diesem Kampf tapferer Frauen, und man fragt sich, warum das Kino dieses spannende Thema erst jetzt entdeckt hat. Aber leider ist "Suffragette" trotz eindrucksvoller Bildkulisse weniger spannend als pathetisch geraten. Untermalt von süßlicher Musik und mit Figuren in Schwarz-Weiß-Charakterisierung bleibt die nuancenarm erzählte Geschichte weit unter den Möglichkeiten, die das immer noch aktuelle Thema geboten hätte.

"Sufragette - Taten statt Worte", GB 2016
Regie: Sarah Gavron; Darstellerinnen: Carey Mulligan, Helena Bonham Carter, Meryl Streep ; 107 Min.

"Grenzblock": Langatmige Fachsimpelei unter Jägern
Von Pathos weit entfernt ist der Dokumentarfilm "Grenzbock" - auch wenn er fast weihevoll mit einer eindrucksvollen Kamerafahrt über den deutschen Wald beginnt:
"Der Wald. Unter den Wipfeln der Bäume durchkreuzen Jäger und Wild ihre Territorien. Und zeichnen mit ihrem endlosen Reigen aus Verfolgung, Eroberung, Flucht und Verlust eine unsichtbare Karte in die Landschaft."
Man erlebt in ruhigem Erzählfluss erhaben-schöne Bilder brandenburgischen Waldes und den alltäglichen Jagdbetrieb der reiferen Herren, die über die Schönheit des Rotwildes, die Gefahr des Wolfes und die Unwissenheit der Politiker reden. Leider beschränkt sich Regisseur Hendrik Löbbert darauf, das Geschehen weitgehend kommentarlos zu dokumentieren, über die Motivation der Jäger etwa erfährt man wenig. Stattdessen gibt es viel unverständliche Fachsimpelei, was "Grenzbock" zum eher langatmigen Vergnügen macht.

"Grenzbock", D 2016
Regie: Hendrik Löbbert; Dokumentation; 84 Min.

"Mittwoch 4:45": Mörderische Geschichte um Verrat und Lebenslügen
Im Gegensatz zum wohlgeordneten deutschen Wald ist die Welt des griechisch-deutschen Thrillers "Mittwoch 4:45" komplett aus den Fugen geraten. Es beginnt mit einem heiteren Abend, an dem Clubbesitzer Stelios eine neue Band ankündigt:
"Als ich mich vor 17 Jahren entschlossen habe, einen Life-Jazz-Club zu eröffnen, haben mich alle meine Freunde gefragt: Stelio-Junge, bist Du verrückt? Heute, 17 Jahre später, habe ich die Antwort gefunden: Ja, ich bin verrückt." (Gelächter)
Der Club lief immer gut, aber seit der Finanzkrise kommen nur noch wenige Gäste. Und nun will auch noch der rumänische Mafioso, der Stelios vor Jahren einen Kredit für die Renovierung des Clubs geliehen hat, sein Geld zurück:
"Er ist Geschäftsmann, aber vor allem ist er für seine Familie da. – Der Markt ist zusammengebrochen, keiner zahlt mehr bar. Mir schuldet man auch Geld."
Der Rumäne will trotzdem sein Geld - bis zum morgigen Mittwoch. Stelios zieht los, um Schulden einzutreiben, aber vergeblich – und so entspinnt sich eine mörderische Geschichte um Verrat und Lebenslügen.
Regisseur Alexis Alexiou inszeniert "Mittwoch 4:45" als düsteren Film Noir in wahrhaft apokalyptischer Atmosphäre. Überall im winterlichen Athen brennen Weihnachtsbäume, die wütende Demonstranten angezündet haben. Man sieht eine Welt ohne Halt, in der sich maßlose Brutalität Bahn bricht. Alexiou taucht das regenverhangene Athen in grandios-schillernd-düstere Farben – ein Film als atemberaubende Gesellschaftsparabel und weiteres Beispiel für die einzigartige Vitalität des gegenwärtigen griechischen Kinos.

"Mittwoch 4:45", GR/D/IL 2016
Regie: Alexis Alexiou; Darsteller: Stelios Mainas, Adam Bousdoukos; 117 Min.

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