Neu im Kino

Filme über Geldhaie, Hipster und Außenseiter

Bill Murray (l.) als Vincent und Jaeden Lieberher als Oliver in einer Szene des Kinofilms "St. Vincent".
Bill Murray (l.) als Vincent und Jaeden Lieberher als Oliver in einer Szene des Kinofilms "St. Vincent". © picture alliance / dpa / polyband / Sony Pictures
Von Christian Berndt · 03.01.2015
Diese Woche neu im Kino: "Süße Gier" erzählt eine düstere Parabel auf eine moralvergessene Gesellschaft, "Ich will mich nicht künstlich aufregen" handelt vom Leben und Arbeiten im modernen Kapitalismus und "St. Vincent" zeigt alternative Formen des Zusammenlebens auf.
"Heilige Scheiße, sieh Dir das an. Was meinst Du, wie viel Hektar das Anwesen hat."
Dino kommt aus dem Staunen nicht heraus, als er seine Tochter zum Landsitz der schwerreichen Familie ihres Freundes, den Bernaschis, fährt. Er ist so beeindruckt von dieser Welt des großen Geldes, dass sich der kleine Immobilienmakler spontan entschließt, Geld zu leihen und sich an Bernaschis Immobilienfonds zu beteiligen. Doch das geht schief:
"Dino, was ich sagen will ist, dass die Positionen deutlich eingebrochen und gesunken sind."
"Wie viel gesunken?"
"Naja, im Moment sind wir bei einem Verlust von 90."
"Prozent?"
Dino ist ruiniert. Aber eine unerwartete Rettungsmöglichkeit ergibt sich, als Bernaschis Sohn Massimiliano in Schwierigkeiten gerät – er soll betrunken einen Unfall mit Todesfolge verursacht haben. Anscheinend weiß Dinos Tochter etwas, und er beginnt nun, Massimilianos Mutter Carla auf schmierige Art zu erpressen:
"Also, sagen Sie mir, was Sie dafür haben wollen."
"900."
"Bitte?"
"980 Mille. 700, die ich investiert habe, und die 40 Prozent, die mir versprochen wurden, das ist doch ein fairer Handel. Und einen Kuss."
"Einen Kuss, wie meinen sie das?"
Der italienische Regisseur Paolo Virzi erzählt seinen Film "Süße Gier" als düstere Parabel auf eine krisenhafte, moralvergessene Gesellschaft und zugleich als Familientragödie, die sich zum verschachtelten Thriller entwickelt. Mit seiner wenig subtilen Darstellung habgieriger Kapitalisten gerät der Film als kritisches Zeitporträt zwar zu plakativ, aber als intensives Krimidrama mit einer hinreißend spielenden Valeria Bruni Tedeschi in der Rolle der unglücklichen Carla hat der Film erhebliches Spannungspotential.

"Die süße Gier"
Italien 2013, Regie: Paolo Virzì, Darsteller: Fabrizio Bentivoglio, Valeria Golino, Valeria Bruni-Tedeschi - 110 Minuten

Vom Leben und Arbeiten im modernen Kapitalismus handelt auch der deutsche Film "Ich will mich nicht künstlich aufregen". Die Kunstkuratorin Asta verliert die Unterstützung ihrer Geldgeber, nachdem sie sich in einem Radiointerview kritisch zur Kommerzialisierung von Film und Kunst geäußert hat. Mit den Kollegen diskutiert sie nun über Möglichkeiten, politisch relevante Kunst zu machen, und in kommuneartigen Runden entwickelt man gemeinsam mit gesellschaftlichen Randgruppen Gemeinschaftsgefühl:
"Herzlich Willkommen bei unserem Brecht-Yoga. Für die Neudazugekommenen noch mal zur Einführung: Bei dem Brecht-Yoga geht es darum, das, was im Alltag als Naturzustand verkauft wird, als Konstruktionsleistung zu begreifen. Schließt die Augen und versucht, die Gesellschaft geschichtlich zu betrachten."
Mit den dauerdiskutierenden Hipster-Kommunarden zitiert Regisseur Max Linz in bewusster Künstlichkeit das politische Kino Fassbinders und Godards. Und inszeniert mit seinem originellen Debütfilm eine verspielte Reflexion über den Berliner Kulturbetrieb, die Gentrifizierung des Innenstadtraums und die Rolle der Kunst im neoliberalen Zeitalter.

"Ich will mich nicht künstlich aufregen"
Deutschland 2014, Regie: Max Linz, Darsteller: Sarah Ralfs, Hannelore Hoger, Barbara Heynen, René Schappach, Daniel Hoevels, Franz Beil - 80 Minuten

Von alternativen Formen des Zusammenlebens erzählt auch der amerikanische Spielfilm „St. Vincent". Das Leben des finanziell dauerklammen Einzelgängers und Trinkers Vincent gerät durcheinander, als nebenan die alleinerziehende Maggie mit ihrem 12-jährigen Sohn Oliver einzieht:
"Sir?"
"Was denn?"
"Dürfte ich vielleicht mal Ihr Telefon benutzen?"
"Mein Telefon?"
"Ja."
"In meinem Haus?"
"Ja Sir. Ich muss meiner Mum sagen, dass ich nicht rein kann, weil.."
"Ich brauch nicht die ganze Geschichte zu hören. Ein Anruf."
Vincent, als übellauniger Kauz von Bill Murray gespielt, lässt den Jungen widerwillig in seine verwahrloste Bude. Und weil Maggie erst spät von der Arbeit zurückkommt, muss Vincent ihn auch noch einige Stunden bei sich beherbergen. Aber das bringt ihn auf eine Idee - er bietet Olivers Mutter an, gegen Bares nachmittags auf den Jungen aufzupassen. Maggie lässt sich darauf ein – ohne zu ahnen, wie sich Vincent das Babysitting vorstellt:
"Du gehst dahin, wo ich hingehe, Du tust, was ich sage, Hausaufgaben machst Du auf dem Weg. Aber am allerwichtigsten ist: Nerv mich nicht!"
Vincent nimmt Oliver mit in die Kneipe und zum Pferderennen. Er ist ein unmöglicher Babysitter, aber er hilft dem kleinen Außenseiter, der von den Mitschülern gequält wird, Selbstbewusstsein zu entwickeln – und findet selbst ins Leben zurück.
Theodore Melfi erzählt in seinem Regiedebüt "St. Vincent" zwar eine wenig überraschende und teilweise arg sentimentale Entwicklungsgeschichte, aber als charmant-witziges Hohelied auf die Solidarität von Außenseitern und mit einer Paraderolle für Bill Murray funktioniert die Komödie ziemlich gut.

"St. Vincent"
USA 2014, Regie: Theodore Melfi, Darsteller: Bill Murray, Melissa McCarthy, Naomi Watts - 102 Minuten