Neu im Kino: "Cemetery of Splendour"

Der Bildmagier aus Thailand

12.01.2016
Er hat den kompliziertesten Namen, den man sich vorstellen kann. Apichatpong Weerasethakul ist derzeit der wichtigste Künstler Thailands. In "Cemetery of Splendour" leiden Soldaten an der Schlafkrankheit. Nachts fahren die Geister der Vergangenheit in sie.
Es waren Bilder, die vor fünf Jahren die meisten Kritiker bei den Filmfestspielen von Cannes ganz kalt erwischten. Da sahen wir eine antike Thai-Prinzessin, die sich in einem Teich von einem Fisch befruchten lässt. Am Abendbrottisch einer Familie erscheint plötzlich der im Bürgerkrieg gestorbene Sohn als haariges Bigfoot-Wesen mit glühend roten Augen. Er setzt sich an den Tisch, alle bleiben ruhig, niemand hat Angst, keiner schreit.
"Onkel Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben" hieß dieser seltsame Film. Und als dann noch die Jury um Regisseur Tim Burton genau dieses Werk mit der Goldenen Palme auszeichnete, wurde aus einem jungen thailändischen Regisseur, der Eingeweihten als Geheimtipp galt, ein Autorenfilmer ersten Ranges.
Apichatpong Weerasethakul, Jahrgang 1970, geboren in Bangkok, aufgewachsen im nord-östlichen Khon Kean, studierte Film in Chicago und begann Ende der 1990er mit seinen Arbeiten den Grenzbereich zwischen Installation und klassischem Kino auszuloten. Zentrale Motive seines Werks sind Transformation und Erinnerung. Damit spürt er der traurigen, kriegsgebeutelten Vergangenheit seines Landes nach, mischt Mythen und Legenden ganz selbstverständlich mit gegenwärtigen Szenen aus einem Thailand in dem das Militär eine zentrale Rolle im Alltag spielt. Eine Erfahrung, die alle Thais gemeinsam haben, erzählt Weerasethakul:
"Soldaten und das Militär sind weiterhin ein Teil des täglichen Lebens in Thailand. Und so natürlich auch der Politik. Als ich aufwuchs war das noch stärker. Sie waren überall. Und ich war als Teenager selbst beim Militär, weil ich musste. Jeder Hochschüler musste in Thailand einmal die Woche zum Militärtraining. Und sie brachten uns das Schießen bei mit Waffen und Granaten. All diese Killermaschine, wissen Sie, rückwirkend betrachtet schockiert mich das noch heute. Und ich versuche zu begreifen, wie das passieren konnte, dass das Militär so ein präsenter Teil unserer Politik wurde. Mein Blick auf diese Institution ist daher eine Mischung aus Wut und Traurigkeit. Aber gleichzeitig bin oder war ich selber Teil dieser Gewalt."
Wie wirkt so etwas auf den Menschen? Welche Fluchtmöglichkeiten hat man, wenn die Realität einen überfordert? Apichatpong Weerasethakul forscht diesen Wegen in seiner Kunst nach. Nicht nur im Kino. Auch in seinen Installationen, die mittlerweile von Tokyo über London bis nach New York gezeigt werden. Er ist Stammgast bei der Kunst-Biennale in Venedig.

Geisterbeschwörung in der Ausstellung "Primitive"

In Deutschland zeigte 2009 das Haus der Kunst in München sein Werk mit dem Titel PRIMITIVE. Fotos und Videos von Dorfkindern, die in der gespenstischen Dämmerung ein UFO bauen. Dann sieht man sie mit einem seltsamen Feuerball spielen.
Geisterbeschwörung und Reinkarnation spiegeln sich auch in den Fotos von Menschen, die an einer Lichtüberempfindlickeit leiden und als Nachtwesen nur noch die Sterne haben. Ob Film oder Installation, die Themen bleiben gleich. Der Unterschied liegt für den Thailänder vor allem in der Art das Publikum in den Bann zu ziehen.
Apichatpong Weerasethakul: "Meine Arbeiten kommen alle aus der gleichen Welt, aber sie sind gleichzeitig komplett andere Wesen, andere Tiere. Im Kino geht es ja vor allem darum, das Publikum zu hypnotisieren und auf eine andere Reise mitzunehmen. Andererseits ist die Explosion unterschiedlicher Ausdrucksmomente in der Installationskunst für die Betrachter eine komplett andere Art der Erfahrung. Das Publikum ist dann weniger passiv, wird aktiviert, sie können umherwandern und ihre Aufmerksamkeitspanne wird so fragmentiert. Es geht mir also darum, die gleichen Themen und Motive auf unterschiedliche Weise auszudrücken."
"The Importance Of Telepathy" - Großskulptur der thailändischen Künstler Apichatpong Weerasethakul und Chai Siri in der Kasseler Karlsaue bei der 13. Documenta 2012. 
"The Importance Of Telepathy" - Großskulptur der thailändischen Künstler Apichatpong Weerasethakul und Chai Siri in der Kasseler Karlsaue bei der 13. Documenta 2012. © picture alliance / dpa / Uwe Zucchi
Auf der Documenta 13 stellte er eine weiße Geisterstatue in den Kassler Auepark. Sonst nichts. Das Wesen stand da, wie eine in Stein gefasste Seele. Ein Mahnmal für die Toten der Militärdiktatur, sagte er damals.

Sich der düsteren Vergangenheit der Heimat entledigen

So funktioniert sein ganzes Werk: still, leise, simpel. Auch sein neuster Film "Cementary of Splendour". Soldaten leiden da an einer Schlafkrankheit. In ihre schlaffen Körper fahren nachts durch angebrachte Neonröhren die Geister der Vergangenheit. Es wird klar: Dies ist kein Schlaf der Gerechten. Bitter politisch laden sich die traumwandlerischen Bilder auf und vermitteln Trauer und Hilflosigkeit gegenüber der Gegenwart Thailands.
Apichatpong Weerasethakul: "Zum einen ist der Schlaf eine Möglichkeit, der Realität zu entfliehen. Zum anderen kann es auch ein Symbol der Macht- und Kraftlosigkeit sein. Ich würde wohl eher zur ersten Sichtweise tendieren. Ich habe, wie Sie ja auch, Lebensenergie. Doch ich will sie häufig umleiten. Sie in einen anderen Raum und eine andere Zeit schicken. Aber ich weiß nicht, wie viel ankommt. Und das ist erschöpfend. So denke ich auch über mein Verhältnis zu Thailand. Ich will es lieben, aber es kommt immer weniger zurück. Da hilft es vielleicht, sich in den Schlaf zu flüchten.
Vielleicht begreift man seine Arbeiten, wie schon die Geisterstatue in Kassel, als eine Art Exorzismus der sich der düsteren Vergangenheit seiner Heimat entledigen will. Kleine Zaubersprüche eines Künstlers für eine bessere Zukunft. Wobei man nicht unterschlagen sollte, dass Weerasethakul selbst seine Arbeiten n i c h t als politische Statements begreift.
Apichatpong Weerasethakul: "Ich liebe das Leben und sehe meine Kunst als eine andere Form des Tagebuchschreibens an. Und wenn ich dann erlebe, wie sehr sich Thailand in den letzten zehn Jahren verändert hat, wie sehr die Politik in unser Privatleben hineinfunkt, dann wird die Politik auf sehr natürliche Weise auch Teil dieses Tagebuchs."
Mehr zum Thema