Neonazi-Terror

Verdrängte Bedrohung von rechts

Szene aus dem Kinofilm "Der blinde Fleck": Benno Fürmann alias Ulrich Chaussy sitzt an einem Tisch und schreibt.
Der Schauspieler Benno Fürmann als Ulrich Chaussy im Kinofilm "Der blinde Fleck" © dpa / picture alliance / Ascot Elite
Moderation: Susanne Burg · 19.01.2014
Der Journalist Ulrich Chaussy hat 30 Jahre lang über das Oktoberfestattentat von 1980 in München recherchiert, bei dem 13 Menschen ums Leben kamen. Schon lange vor den NSU-Anschlägen seien deutsche Behörden auf dem rechten Auge blind gewesen, sagt er.
Susanne Burg: Christian Bernd über den Spielfilm "Der blinde Fleck", der am Donnerstag in die Kinos kommt. In einem Studio des bayerischen Rundfunks begrüße ich jetzt den Koautor des Drehbuchs, den Journalisten Ulrich Chaussy. Guten Tag, Herr Chaussy!
Ulrich Chaussy: Guten Tag, Frau Burg!
Burg: Ja, Sie beschreiben im Film - und Sie haben ja auch ein Buch über den Fall geschrieben - eine Kette an Merkwürdigkeiten im Fall des Oktoberfestattentats. Vielen Spuren, die darauf Gundolf Köhler nicht als Einzeltäter gehandelt hat, sind die Behörden nicht nachgegangen. Aus heutiger Sicht, Herr Chaussy, welche Rolle haben die bayerischen Staatsschützer gespielt? Wie stark haben sie einfach die Gefahr des rechten Terrors verkannt? Wie stark haben sie aber auch ganz aktiv Spuren verwischt?
Chaussy: Also, dass man die Gefährlichkeit des Rechtsextremismus unterschätzt hat, das hat eine Tradition, die die ganzen 70er-Jahre durchzieht. Das ist nämlich die Zeit, in der die Wehrsportgruppe Hoffmann zur größten paramilitärischen Miliz der Nachkriegszeit in unserem Land aufgestiegen ist in Bayern. Und das ist damals durchaus vermerkt worden, etwa von der SPD im Landtag, die quasi jährlich eine Anfrage gestellt hat, auf die dann entsprechend beschwichtigende Auskünfte der amtierenden Innenminister gekommen sind. Und das Ganze gipfelte eigentlich in der Stellungnahme des damaligen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß im März 1980, zwei Monate nach dem Verbot der Wehrsportgruppe durch den endlich auch zuständigen Bundesinnenminister Baum. Da hat sich der Strauß lustig gemacht und gesagt, dass man wegen eines solchen Idioten Hundertschaften von Polizei losschickt. Man solle doch solche Leute, wenn sie denn mit einem geschlossenen Battledress und verschweißten Gewehren im Wald herumrobben – man solle sie doch einfach machen lassen und sie nicht aufwerten, indem man ihnen Beachtung schenkt.
Burg: Nun gab es ja – das ist ja jetzt die Zeit vor dem Oktoberfestattentat. Da hat man offensichtlich den rechten Terror nicht erkannt. Dann fand das Attentat statt, und dann hat man gemerkt, auweia, da haben wir vorher wohl ein paar Fehler gemacht. Wie stark haben denn im Nachklapp dann die bayerischen Behörden Spuren verwischt oder an der Vertuschung dann mitgearbeitet?
Chaussy: Wir müssen da über einen ganz bestimmten Zeitraum reden. Das Oktoberfestattentat geschah neun Tage vor einer sehr aufgeheizten Auseinandersetzung im Bundestagswahlkampf mit dem Herausforderer Franz-Josef Strauß von der CSU in Bayern und Helmut Schmidt, dem eisernen SPD-Kanzler und Bezwinger der RAF. Damals konnte Strauß das Thema, das die Sozialdemokraten und die Sozialliberalen also sozusagen den Laden nicht in Ordnung halten können und Extremisten nicht Einhalt gebieten können, nun wahrlich nicht spielen. Helmut Schmidt und seine Regierung waren ein starker Mann. Und dass dann nun ausgerechnet in diesen Tagen ein Anschlag geschieht, von dem Strauß zunächst glaubt, er käme von links, und dann, zwölf Stunden danach durch erste Erkenntnisse des Verfassungsschutzes gewahr werden musste, dass der Bombenleger jedenfalls genau aus der Ecke kommt dieser verharmlosten Wehrsportgruppe – das drohte zu einem ganz gewaltigen Bumerang zu werden und ihm furchtbar auf die Füße zu fallen.
Und man muss ja mal denken: Es war im August 1980, vier Wochen vor dem Anschlag in München, in Hamburg ein Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim verübt worden von den Deutschen Aktionsgruppen, und danach wurden die Aktivisten gefasst, und die packten aus. Und die wandten sich auch sogar über ihre Vernehmer an die Sonderkommission Theresien, die den Anschlag in München zu klären hatte, und gaben diesen Hinweis weiter.
Burg: Aber der taucht dann im Abschlussbericht vom Oktoberattentat überhaupt nicht auf.
"Es gibt jede Menge ungelöste Fragen"
Chaussy: Ich kann mir darauf keinen rechten Reim machen. Es gibt für mich auch jede Menge ungelöste Fragen. Ich kann nicht beanspruchen, diesen Anschlag aufgeklärt zu haben. Ich weiß, dass er so nicht abgelaufen ist, wie das offizielle Ermittlungsergebnis uns glauben machen will, und im Übrigen kann ich die Parade der verpassten Chancen benennen, was man hätte unbedingt tun müssen und nicht unternommen hat.
Burg: Das Oktoberfestattentat, das steht im Zentrum eines neuen Films, der in der kommenden Woche anläuft, "Der blinde Fleck". Ulrich Chaussy hat das Drehbuch mitgeschrieben, und er hat auch ein Buch über das Attentat geschrieben. Herr Chaussy, Sie haben ja schon an einem Dokumentarfilm mitgearbeitet; da war es unglaublich schwierig, die Menschen vor die Kamera zu bekommen. Das beschreiben Sie alles sehr ausführlich im Buch. Nun könnte man meinen, ein Spielfilm bietet jetzt den Vorteil, man muss sich nicht um Aussagen von anderen Menschen kümmern. Ist das so?
Chaussy: Der Vorteil des fiktionalen Spielfilms bei der Darstellung dieser Recherche ist eben, dass ich diese Personen schützen kann. Im Buch kann ich es nur dadurch tun, dass ich ihre Namen verfremde, beispielsweise. Und auch übrigens die Probleme und Schwierigkeiten und Zweifel, in die einer gerät, der wie ich hinter dieser Geschichte herrennt und eigentlich immer wieder gegen Mauern rennt.
Burg: was hat es denn eigentlich mit Ihnen angestellt über die ganzen Jahre, wenn Sie immer gegen Mauern gelaufen sind?
Chaussy: Das Gegen-Mauern-Laufen wird irgendwann zur Resignation. Und dass zum Beispiel dieses Buch, das ich jetzt neu geschrieben habe, das damals erstmalig erschien, "Oktoberfest. Ein Attentat", hieß es damals - dass es überhaupt keine Wirkung hatte. Die Wirkung, die ich mir erhofft hatte, war, dass die Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe sagt, okay, wir wollen uns dieser Dinge mal noch etwas genauer annehmen, wir wollen da Nachschau halten. Und das ist ja überhaupt nicht passiert. Es ist komplett versickert, eigentlich.
Und dann haben mich eigentlich die Reaktionen bestärkt: Es ging immer das Telefon bei den Jahrestagen. Es gab Briefe früher, es gibt E-Mails rund um den 26. September. Dinge, die mich immer wieder darauf gebracht haben, dass das, was als offizielle Wahrheit verkündet worden ist, einfach so nicht stehenbleiben darf. Und dann habe ich halt die Gelegenheiten ergriffen, die sich boten, weiterzumachen, wie zum Beispiel 2006 durch die Kollegen Frank Gutermuth und Wolfgang Schoen, die einen Dokumentarfilm machten und mich da engagierten.
Burg: Der Film "Der blinde Fleck" lief im letzten Sommer in München beim Filmfest. Da gab der bayerische Innenminister Herrmann zu, man hätte erkennen müssen, dass es sich um eine gefährliche Dimension des Terrors gehandelt hat beim Oktoberfestattentat. Man hätte die Reißleine ziehen müssen, auch was die Wehrsportgruppe Hoffmann angeht. Wie sehen Sie, Herr Chaussy, die Chancen darauf, dass jetzt das Vergehen von politischer Seite und vonseiten des Verfassungsschutzes auch aufgearbeitet wird?
Die Spurenakten könnten bei der Aufklärung helfen
Chaussy: Ich begrüße es, dass es bei dieser etwas zerknirschten Lage des Innenministers dazu gekommen ist, dass er der Aufforderung, die ich damals an ihn gerichtet hat, Folge geleistet hat. Ich hab ja gesagt, Sie brauchen nicht zerknirscht sein, es ist geschehen. Sie können was dafür tun, dass vielleicht die Vorgänge ums Oktoberfestattentat geklärt werden: Geben Sie endlich dem Anwalt der Opfer die Spurenakten des Anschlages – eine gewaltige Menge von Akten, die auch eine ganze Reihe von damals verworfenen Spuren enthalten können. Also Spuren, die nicht auf den Einzeltäter zielen.
Und tatsächlich, vor ungefähr einer Woche, Anfang des Jahres, sind jetzt Rechtsanwalt Werner Dietrich im Landeskriminalamt zum ersten Mal diese 29 Aktenordner Spurenakten auf den Tisch gestellt worden. Sie sind nicht geschwärzt, und er kann sie unbeschränkt einsehen.
Burg: Sie haben gesagt im Buch und auch im Film, es hätte in Deutschland nicht zu einer NSU-Mordserie kommen müssen, wenn man schon 1980, nach dem Anschlag auf das Oktoberfest damit begonnen hätte, die rechten Netzwerke genauer zu beobachten, anstatt die rechtsextreme Bedrohung zu verdrängen. Lehnen Sie sich da nicht ein bisschen weit aus dem Fenster, wenn Sie sagen, man hätte die NSU-Mordserie verhindern können?
Chaussy: Wenn wir diese Strukturen hätten erkennen können in den damaligen 70er-Jahren, dann hätte man gewusst, was sich da zusammenbraut. Das ist ja auch immer das Nette, diese wunderbaren positiven Begriffsfindungen: "Thüringer Heimatschutz" – na, das sind doch wirklich gute Leute, oder? Ich glaube also, dieses Sich-Einlullen-Lassen von solchen Begrifflichkeiten spielt da eine gewisse Rolle. In den 70er-Jahren hat man also den Bekundungen von Karl-Heinz Hoffmann, dass Wehrsport Charakterbildung und Sport sei - da hat man jedenfalls keinen Anlass gesehen im bayerischen Innenministerium, da irgendwie zu unterstellen, dass da gefährliche politische Miliz in der Entstehung begriffen ist. Diese Warnzeichen zu kapieren und früher einzuschreiten, als das im Fall NSU geschehen ist, das hätte man vielleicht lernen können.
Burg: "Der blinde Fleck", so heißt der Film zum Oktoberfestattentat, der in der kommenden Woche in die Kinos kommt. Daniel Harrich hat Regie geführt, Ulrich Chaussy hat das Drehbuch mitgeschrieben. Er hat seit 30 Jahren an dem Fall recherchiert, und im Christoph-Links-Verlag erscheint auch eine überarbeitete Fassung seines Buches zum Thema unter dem Titel "Oktoberfest – Das Attentat. Wie die Verdrängung des Rechtsterrors begann". Herr Chaussy, vielen Dank für das Gespräch und Grüße nach München!
Chaussy: Danke für die Einladung!
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