Neil Gaiman: "Nordische Mythen und Sagen"

Ein mitreißender Sagenschatz

Der britische Fantasyautor Neill Gaiman und sein Buch "Nordische Mythen und Sagen"
Der britische Fantasyautor Neil Gaiman und sein Buch "Nordische Mythen und Sagen" © Eichborn Verlag / dpa/picture alliance/Daniel Bockwoldt
Von Elena Gorgis · 12.04.2017
Die nordische Sagenwelt bildet den Fundus für viele Fantasystoffe. Aber Rechtsextreme vereinnahmen die alten Mythen für sich. Mit "Nordische Mythen und Sagen" legt der britische Autor Neil Gaiman eine Nacherzählung vor, die von ideologischem Ballast befreit und auch noch witzig ist.
"Nordische Mythen und Sagen" heißt das neue Buch von Neil Gaiman schlicht und man möchte sagen: na endlich! Der britische Fantasy-Autor ist mit Romanen und Comics berühmt geworden, die durchdrungen sind von Motiven der nordischen Sagenwelt. Ein Buch aber, mit dem er sich auf die Ursprünge der von ihm immer wieder aufgegriffenen Mythen besinnt, fehlte bisher.
Es war keine leichte Aufgabe. Denn es handelt sich um Geschichten, die fast vergessen sind. Von den reichen mündlichen Erzähltraditionen der nordischen Völker ist wenig geblieben, im Wesentlichen nur die Lieder-Edda und die Prosa-Edda - zwei schwer zugängliche, alt-isländische Texte aus dem im 13. Jahrhundert, die im Deutschland des 19. Jahrhundert zur Projektionsfläche für den aufkommenden Nationalismus wurden und später dann für die Nationalsozialisten und ihre Rassenideologie. Nach 1945 waren die nordischen Mythen für ein aufgeklärtes Bildungsbürgertum tabu – von einigen Motiven in Wagneropern einmal abgesehen. So können Rechtsextremisten die Stoffe bis heute ungestört für sich vereinnahmen.

Ein ideologisch befreiter Einstieg

Neil Gaiman ist jetzt ein wunderbarer Ausweg aus diesem Dilemma gelungen: ein ideologisch befreiter, einfacher und unbefangener Einstieg in die alten Geschichten. Er schmückt nichts aus und hält sich strikt an den Kern der Sagen. Eine wissenschaftlich korrekte – und damit eventuell wieder schwer zugängliche Adaption ist "Nordische Mythen und Sagen" trotzdem nicht. Als Thor, "Gott des Donners, Mächtigster aller Asen, Tapferster und Stärkster in jeder Schlacht" morgens noch halb verschlafen merkt, dass sein geliebter Hammer Mjöllnir verschwunden ist, macht Thor das, was er – in Gaimans Lesart - immer macht, wenn etwas schief geht: "Als erstes fragte er sich, ob Loki dahintersteckte. Dieser Gedanke kam ihm auch jetzt. Doch er glaubte, dass nicht einmal Loki es gewagt hätte, seinen Hammer zu stehlen. Also tat er, was er stets als Zweites tat, wenn etwas schiefging: er machte sich auf, um sich Lokis Rat zu holen." Eine Reminiszenz an den amerikanischen Comickünstler Jack Kirby und seinen "The Mighty Thor" aus den 60er Jahren ist dieser nicht besonders helle, von Kraft strotzende Gott, der ohne seinen – durch ein Missgeschick des Schmieds auch noch zu kurz geratenen – Hammer nicht klar kommt.
Neil Gaimans "Nordische Mythen und Sagen" erscheinen kurz vor dem Start der ersten Staffel von "American Gods", der Fernsehverfilmung von seinem erfolgreichsten, gleichnamigen Roman. Man kann nur hoffen, dass die Serie die Aufmerksamkeit auf sein neues Buch lenkt. Dieser Sagenschatz, ist viel zu faszinierend, viel zu mitreißend, als dass wir ihn den Rechtsextremisten überlassen sollten. Und so witzig Gaiman seine Geschichten auch beginnt: Am Ende steht immer die Rache. Eine Rache, die den Göttern nichts nützt, die sie nur immer weiter ihrem Untergang entgegen treibt.

Neil Gaiman: Nordische Mythen und Sagen
Aus dem amerikanischen Englisch von André Mumot
Eichborn Verlag, Köln 2017
253 Seiten, 22 Euro

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