Neapel und Goethe

Begegnungen zwischen Nord und Süd

Blick über die Stadt und den Golf von Neapel in der italienischen Provinz Kampanien.
Blick über Neapel © dpa / picture alliance / Udo Bernhart
Von Jan-Christoph Kitzler · 10.06.2016
Goethes "Italienische Reise" trifft auf Italiens Wirklichkeit – Teil 5 unserer Serie führt uns nach Neapel. Hier lernen viele junge Menschen Deutsch, um ihrer Heimatstadt den Rücken kehren zu können.
Der junge Dichter war mehrmals zu Gast im Palazzo Sessa. Hier residierte William Hamilton, der britische Botschafter am Hof des Königreichs Neapel, der auch ein bedeutender Forscher der Antike war. Und hier traf Goethe die berühmte Lady Hamilton, die lebende Bilder, heute würde man sagen Performances aufführte, die ihre Zeitgenossen entzückten. Goethe stieß auch in Neapel auf die Gegensätze zwischen dem Norden und dem Süden. Heute ist der Palazzo Sessa ein Ort der Begegnungen zwischen Nord und Süd. Das Goethe-Institut hat hier seinen Sitz.
"Ich bin Maurizio Griffo. Ich studiere Deutsch am deutschen Institut, ich bin Niveau B1/2."
Elf Schülerinnen und Schüler sind heute im Unterricht. Eine gemischte Gruppe, manche kommen nur aus allgemeinem Interesse, andere lernen deutsch mit der Option auf eine Zukunft nördlich der Alpen wie Alessandra Laura.
"Wenn es nötig ist, woanders Arbeit zu finden, dann habe ich eine Chance mehr, etwas zu finden. Obwohl ich mit 46 nicht die jüngste bin. Ich habe hier Familie. Es ist natürlich nicht leicht, seine Sachen zu packen und zu gehen."

Fasziniert von Deutschland

Das Interesse an den Sprachkursen ist groß in Zeiten, in denen die Jugendarbeitslosigkeit in Italien über 40 Prozent liegt. Gerade im Süden haben viele Junge Menschen Schwierigkeiten, einen Job zu bekommen. Da wird dann Deutschland für manche fast zu einem Land, "wo die Zitronen blüh’n", zum Beispiel für die Studentin Noemi:
"Deshalb habe ich diese Sprache gewählt. Deutschland ist ein sehr entwickeltes Land. Ich war schon oft dort, mich fasziniert diese Zivilisiertheit, das Deutsche. In Italien ist es schwierig, seine Zukunft zu gestalten. Es funktioniert hier nicht sowie in anderen Ländern. Es gibt nur wenig staatliche Ordnung."
"Jugendliche wollen eine Arbeit finden, und deswegen gehen sie ins Ausland. Aber sie wollen auch zurückkommen. Es gibt Archäologen, Mediziner, Germanisten, sehr unterschiedliche Berufe. Viele wollen Deutsch lernen, weil sie eine Erfahrung im Ausland machen möchten, dass sie eine Arbeit suchen. Die Mobilität ist sehr groß, und es ich wichtig für die junge Generation, auch im Ausland gearbeitet zu haben. Aber nicht nur in Deutschland."

Glücklich werden kann man überall

Maria Carmen Morese leitet das Goethe-Institut. Sie ist selbst eine Pendlerin zwischen Nord und Süd. Sie hat in Deutschland studiert und ist immer noch regemäßig dort. Sie ist fasziniert davon, wie unterschiedlich Deutsche und Italiener mit manchen Themen umgehen:
"Ein Thema, das ich interessant finde, ist das Thema Angst. Wie geht man mit der Angst um? Wir sind in einer Epoche, in der wir große Ängste haben. Vor allem hat man in Deutschland Angst vor der Zukunft. Die Italiener haben weniger Angst. Nicht um die politische Zukunft, allgemein. Sie gehen anders mit der Angst um. Aber dass wir diesen Aspekt nie vergessen: auch das Schöne, die Lust für das Überflüssige und für das Schöne, das macht das Leben leichter."
Und wichtig ist, überhaupt unterwegs zu sein. Wie Goethe, der vor 200 Jahren seine Italienische Reise veröffentlicht hat. Und wie viele, die bis heute auf seinen Spuren wandern. Die Frage, wo es nun besser sei, in Deutschland oder in Italien, ist dabei gar nicht wichtig:
"Letzten Endes kann man überall glücklich werden. Es hängt nicht von Deutschland ab und auch nicht von Italien. Es hängt immer von der Einstellung des Einzelnen ab."
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