Nazis auf dem Vormarsch in die Jugendzimmer

Von Almuth Knigge · 01.12.2005
Neonazis versuchen verstärkt, mit Musik, lebensnahen Themen und Freizeitangeboten Nachwuchs zu rekrutieren. Die NPD hat es so geschafft, junge Leute nicht nur in Wahlen, sondern auch als Mitglieder an sich zu binden. Durch eine kulturelle Strategie ist es ihr gelungen, Anschluss an die rechte Jugendkultur zu finden, die sich vor allem im Osten in vielen Orten ausgeprägt hat.
Alle drei Monate haben die Menschen in Vorpommern eine Zeitung in ihren Briefkästen - den Inselboten. Herausgegeben in einer Auflage von 30.000 Exemplaren. Die jungen Leute, die das Blatt verteilen, fallen nicht weiter auf. "Opa war in Ordnung" - steht auf den T-Shirts. Was soll daran falsch sein? In Stralsund organisieren Sie ein Kinderfest und verteilen Würstchen - kostenlos. Und sammeln Unterschriften für "Schöner Wohnen" - ja warum denn nicht?

Auf den Volksfesten in Vorpommern wird gerne auch der "Heimatbund Vorpommern" eingeladen. Der hat eine Kulturgruppe und die Jugendlichen tanzen alte Volkstänze vor. Ist doch schön, dass Tradition lebendig gehalten wird?

Aber Opa war ein Wehrmachtssoldat, mit dem T-Shirt hat die rechtsextreme Szene gegen die Wehrmachtsausstellung in Peenemünde demonstriert, die Unterschriften für das "Schöner Wohnen" sind gegen Asyl- und Flüchtlingsheime. Die rechte Szene will gesellschaftsfähig werden, greift in ihren Zeitungen aktuelle politische Themen auf, unterwandert Bürgerinitiativen. All das macht den Kampf dagegen so schwer, meint Lars Bergemann vom Präventionsrat in Vorpommern.

"Also, es hat ein Wandel stattgefunden, das sie nicht mehr wie Mitte der 90er Jahre, dass sie so offensichtlich im öffentlichen Erscheinungsbild - dass man sagen konnte - jawohl, das sind die Rechten, das findet nicht mehr statt. Sie haben sich Strukturen gewählt, wo sie normale Biedermänner geworden sind."

Wie sehr sich die rechte Szene in Mecklenburg-Vorpommern etabliert hat, zeigen die Ergebnisse, die die NPD bei der bundesweiten Schülerwahl U 18 hier erreicht hat. Zweistellige Ergebnisse für die NPD sind an vielen Schulen keine Seltenheit. Was verraten die Zahlen über die Teenies und ihre politische Einstellung? Oder wollen Sie nur ihre Lehrer schocken?

"Es sind Jugendliche, von denen man sicherlich sagen kann, dass sie kein geschlossenes rechtsextremes Weltbild haben, wenn es so was denn gibt, "

erklärt Kurt Hirschler von der Akademie für Politik in Schwerin. Die Jugendkultur scheint eine andere Sprache zu sprechen. Hier ist die völkische, ausländerfeindliche Kultur fast zur Normalität geworden. Man trägt die heimlichen Insignien der rechten Szene. Turnschuhe mit einem N - für National. Denn man ist nicht rechts sondern national.

Verwaltungen sind hilflos, wenn es gilt, rechte Konzerte zu verbieten, auf denen Bands spielen, die "Rache für Rudolf Hess" heißen. Eltern und Lehrer wissen nicht, was sie den Neonazi-Argumenten entgegensetzen sollen, wenn sie sie denn überhaupt erkennen.

Hirschler: " Was man da tun kann, dafür gibt es keine Patentrezepte. Es wird vielfach über die schlechte Jugendarbeit gesprochen, das trifft zum Teil zu, da kann man sicherlich auch da Elemente festmachen, wo eigentlich das Feld der Jugendarbeit offen steht und rechtsextreme Gruppen da hineingehen und Jugendliche für sich gewinnen können, einfach indem sie ihnen was anbieten."

Aber Hirschler weiß auch:

" Man gewinnt Jugendliche nicht allein damit, das man Sportveranstaltungen für sie organisiert. Dadurch werden Jugendliche nicht demokratisch."

Sondern Präsenz - das ist das, was Günter Hoffmann vom Netzwerk für Demokratie und Toleranz in Vorpommern seit Jahren predigt.

"Wir haben im Prinzip hier überhaupt keinen Wahlkampf der demokratischen Parteien gehabt. Die einzige, die einen Straßenwahlkampf gemacht hat, war die NPD, wir haben hier nichts von SPD, CDU oder PDS wahrnehmbar gehabt, in den Briefkästen war fast ausschließlich Informationsmaterial der NPD zu finden, da muss ein Umdenken stattfinden, dass man mit politischen Inhalten wieder in die Offensive geht."

"Rechts ist out! Die ostdeutsche Jugend lehnt Gewalt ab", das belegt dagegen eine neue Studie des Archivs für Jugendkulturen. Das Gespräch zum Thema mit Klaus Farin, Leiter dieses Archivs, können Sie bis zu sechs Wochen nach der Sendung in unserem Audio-on-Demand-Angebot hören.