Nazi-Schergen im Biergarten

13.09.2007
Ludwig Bemelmans, aus Regensburg in die USA emigriert, wurde dort in den 30er Jahren durch sein Kinderbuch um die Pariser Göre Madeline bekannt. Mit "An der schönen blauen Donau", 1945 erstmals publiziert, kehrte er zurück in die Heimatstadt seiner Mutter. Darin schildert er ironisch das Provinzleben in der Zeit des Nationalsozialismus und karikiert Mitläufer und Opportunisten.
Gut dass es vor 100 Jahren nicht einmal das Wort Intensivtäter gab. Unter dem Etikett wäre er sonst wohl verschwunden, dieser Bengel aus zerrütteter Ehe, aufsässig, unerziehbar, gewalttätig. Der Vater, Maler aus Belgien, lässt Frau und Sohn sitzen, die Mutter, Tochter einer Regensburger Brauereidynastie, zieht mit ihm aus Österreich in ihre Heimatstadt. Er schmeißt mit 14 die Schule und beendet mit 16 den familiären Resozialisierungsversuch - die Lehre im Hotel eines Onkels - durch einen Schuss auf einen schikanösen Chef. 1914 schickt man ihn in die Wüste. In seinem Fall ist das Amerika. Er wird, würde man heute sagen, New Yorker mit Migrationshintergrund. Nur ist so was da kein negatives Etikett, sondern heißt: Mach was draus!

Und Ludwig Bemelmans macht. Er kellnert, fliegt raus, weil er mit zwei verschiedenen Schuhen aufkreuzt, geht zur Army, schreibt Tagebuch, wird Amerikaner, Illustrator, Restaurator, Reisereporter, schreibt und zeichnet 1934 sein erstes Kinderbuch und 1939 schließlich das erste eines halben Dutzends Bücher um die anarchistische Pariser Göre "Madeline". Damit wird er weltberühmt und sogar in Deutschland ein bisschen bekannt.

1945 erscheint in den USA ein schmaler Roman, der 62 Jahre braucht, um im deutschsprachigen Raum ankommen zu dürfen, "An der schönen blauen Donau". Dabei ist er ein Juwel jener echten Heimatliteratur, die gerade in der Gegend blüht, in der er spielt: hinterfotzig, punktgenau, virtuos wie Polt, die Biermösl Blosn, Willy Astor, biestig wie alle bayerischen, oberpfälzischen und fränkischen Aufrührer zusammen.

Bemelmans' Regensburg im letzten Jahr unterm Naziregime hat zwei Epizentren - einen Biergarten und eine Insel mitten in der Donau. Die ist natürlich nicht blau.

Katasterkorrekt gibt es die Insel gar nicht. Aber auf ihr wohnen der Fischer-Anton, seine Schwestern Martha und Anna und Nichte Leni, bewässern sie mühselig, um den besten Rettich der Welt anzubauen, und verkaufen den in der Stadt. Unter anderem in jenem Biergarten, der dem alten Anton einst gehörte. Hier hocken auch die bösartigen Nazi-Knallschergen, die Bemelmans zu einem grandiosen Bestiarium deutschen Autoritarismus' verdichtet. Und hier hält Anton seine Brandrede an die Angepassten, quasi out of the blue Danube, wider "das Zittern vor Angst - das ist eure alte Krankheit." Bevor er den Obernazi ohrfeigt und vorerst verschwindet: Bis "die lange Nacht" vorbei ist, deren Licht, wie es am Ende heißt, "von außen kommen musste - denn diejenigen innerhalb der Mauer, die Mut und Witz hatten, waren zu wenig, zu alt und viel zu sentimental."

Die von außen kamen dann zum Glück. Den anderen, den stillen, störrischen Rebellen, hat Bemelmans mit seinem so wehmütigen wie komischen Roman ein Denkmal gesetzt. Auf Englisch, aber das merkt man nicht, so ursprünglich klingt die deutsche Fassung mit den zarten oberpfälzischen Einsprengseln. Kein Wunder - Florian Sendtner, der die Übersetzung und ein reichhaltiges Nachwort besorgt hat, ist selbst einer dieser Regensburger Aufrührer, die selbstverständlich ihren Bemelmans immer schon kannten.

Rezensiert von Pieke Biermann

Ludwig Bemelmans: An der schönen blauen Donau
Roman. Übersetzung und Nachwort von Florian Sendtner, Vorwort Eva Demski
Insel-Verlag, Frankfurt/Main 2007
172 S., geb., 17,80Euro