Naturschutz

Patagoniens bedrohtes Wildwasser

Wildwasser-Kajak Allgemein, 30.04.2004
Wildwasser-Kajak © picture-alliance / ASA / Leo Himsl
Von Peer Vorderwülbecke  · 13.08.2014
Futaleufu heißt in der Sprache der Mapuche-Indios "großer Fluss". Kajakfahrer lieben den Fluss in den chilenischen Anden wegen seiner unglaublichen Wasserwucht und den gigantischen Stromschnellen. Allerdings könnte ein Staudamm-Projekt die einmalige Natur gefährden.
"Okay, go!"
Ein kurzes Kommando vom Steuermann, dann paddeln sechs Männer und Frauen in den wilden Futaleufu. Das Wasser schäumt und brodelt, die Wellen schwappen über das sieben Meter lange Schlauchboot. Auf der berüchtigten Strecke von Brücke zu Brücke lauern auf acht Kilometern so viele Stromschnellen wie auf kaum einem anderen Fluss der Welt, der Schwierigkeitsgrad liegt zwischen vier und fünf.
Sechs gilt als unfahrbar. In dem Schlauchboot tragen alle Helme, Schwimmwesten und darunter Neoprenanzüge. Das Wasser ist acht Grad kalt. Mal klatscht einem ein Eimer Wasser ins Gesicht, mal scheint es eine ganze Badewanne zu sein. Nach dem Abenteuer ist der Adrenalinpegel immer noch sehr hoch.
"Hervorragend!"
"Großartig, ich liebe es!"
"Genial!"
"Beeindruckend!"
Ein Mekka für Wassersportler
In dem Örtchen Futaleufu spürt man nichts vom Adrenalin des gleichnamigen Flusses. Hier, mitten in Patagonien, ist der Rhythmus eher gemächlich. Die Anden ragen fast 2000 Meter in die Höhe, manche Gipfel sind auch im Hochsommer noch schneebedeckt. Ein paar hundert Menschen leben in dieser Idylle, jedes Haus hat einen Garten mit Obstbäumen und irgendwo gackern immer ein paar Hühner.
Im Sommer verdoppelt sich die Bevölkerung, dann ist Futaleufu das Mekka für Wassersportler, ohne allerdings viel von seinem beschaulichen Charme zu verlieren. Hier und da sieht man ein paar bunte Kajaks hinter dem Gartenzaun, am Straßenrand stehen Anhänger mit den großen bunten Schlauchbooten. Noch eindrucksvoller als im großen Schlauchboot ist der Futaleufu im kleinen, wendigen Wildwasser-Kajak. Der Pionier in der Region war der Amerikaner Chris Spelius. Anfang der 80er-Jahre kam er mit seinem Kajak auf Ladefläche eines Lastwagens in Futaleufu an und war so begeistert, dass er geblieben ist:
"Da ist ein Traum wahr geworden für einen Typen wie mich. Hier gab es alles, was ich mochte. Eigentlich sah es für mich aus wie ein Nationalpark. Die Landschaft war einfach wunderbar. Wie konnte es sein, dass ich noch nie von diesem Ort gehört hatte? Ich wusste von der Schönheit Nepals oder Neuseelands – aber ich hatte noch nie vom Futaleufú gehört."
Unglaubliche Wassermassen drängen sich in tiefe Schluchten
In der Sprache der Ureinwohner heißt Futaleufu schlicht großer Fluss. Unglaubliche Wassermassen drängen sich durch tiefe Schluchten, die Stromschnellen gehören zu den größten der Welt. Ein Paradies für einen Kajakfahrer wie Chris Spelius. Mit acht Jahren ist er das erste Mal einen Fluss hinab gepaddelt, später wurde er Mitglied der amerikanischen Kanu-Nationalmannschaft, war bei den Olympischen Spielen 1984 dabei, ein paar Jahre später hat er eine Medaille bei der Weltmeisterschaft im Wildwasser-Rodeo gewonnen. Er ist in seinem Leben so viele Flüsse gepaddelt, dass er das Zählen aufgegeben hat. Seine Einschätzung zum Futaleufu hat sich in den letzten 30 Jahren nicht geändert:
"Für mich ist das der beste Fluss, auf dem ich je gewesen bin. Und wenn es einen besseren gibt, dann muss man den mir erst mal zeigen. Es ist einfach die Kombination: Es gibt Teile des Futaleufú, die einem Angst machen. Aber der Fluss ist auch sehr verspielt. Und das Wasser ist so schön und so kraftvoll. Der Fluss hat einfach alles, wovon ich je geträumt habe."
Gerüchte über Goldvorkommen
Und er ist eingebettet in die traumhafte Berglandschaft Patagoniens, mit dichten unberührten Wäldern, Bergen, Gletschern, Seen und eben Flüssen wie dem türkis-grünen Futaleufu. Der Traum könnte für Naturliebhaber wie Chris aber zu einem Alptraum entwickeln, denn die Fortschritt droht sich seinen Weg auch ins abgelegenen Patagonien zu bahnen. Es gibt Pläne, den Futaleufu aufzustauen und zwar mit drei Dämmen. Damit wäre der Fluss praktisch verschwunden. Dazu gibt es Gerüchte über Goldvorkommen am Espolon, das ist der größte Zufluss des Futaleufu. Chris hat schon in den Vereinigten Staaten für Flüsse gekämpft. Dasselbe tut er auch in seiner neuen Heimat in Patagonien.
Ein Teil seiner Strategie besteht darin, den Menschen zu zeigen, wie schön die Region um den Futaleufu ist – und zwar im Kajak. Auf dem Wasser demonstriert Chris grundlegende Techniken und lässt seine Schüler diese dutzende Male an der selben Stelle wiederholen. Und gibt jedem einzelnen ein Feedback. Mitch soll mehr mit dem Becken arbeiten, um sein Kajak beim Hineinfahren in die Strömung besser kontrollieren zu können:
"Versuch es noch einmal damit im Hinterkopf. Selber Ausgangspunkt – Verlust des Winkels kontrollieren – nutze Deine Muskeln im Becken!"
Irgendwann ist genug trainiert und die Gruppe paddelt gemächlich den blau leuchtenden Fluss hinunter. Der Espolon hat Trinkwasserqualität. In der Region wohnen nur knapp 50 Familien, die meisten leben von Landwirtschaft und ein paar Schafen und Kühen. Auf einer Kiesbank hält Chris an und deutet in Richtung eines Berges:
"Da ist ein Stollen, dort oben. Sie suchen nach Gold, Kupfer oder wonach auch immer. Der Süden ist vom Bergbau bisher verschont geblieben, weil die Vorkommen abgelegen sind und schwer zugänglich, aber nicht, weil es sie nicht gibt. In der Wüste sind sie wahrscheinlich leichter zugänglich."
Der Bergbau ist das Rückrat von Chiles Wohlstand. Das langgestreckte Land zwischen Anden und Pazifik ist der größte Kupferproduzent der Welt. Auch die Goldvorkommen sind riesig. Aber selbst bei Goldminen in der Atacama-Wüste gab es Proteste wegen der der massiven Umweltbelastungen, die der Goldabbau mit sich bringt. Deshalb macht sich Chris auch Sorgen um das Naturparadies rund um den Futaleufu:
"Eine Goldmine wäre desaströs. Man sieht dieses reine Wasser und man weiß, was Goldminen anrichten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie Rückhaltebecken bauen können, die den Wassermassen standhalten können, die hier im Winter die Berge hinabfließen. Diese drei Flüsse in diesem Tal sollten das Wahrzeichen für schöne, wilde Flüsse sein."
Einnahmen vor allem aus dem Tourismus
Statt dessen läuft der Espolon Gefahr, verschmutzt zu werden. Dass Touristen zum Fliegenfischen oder Kajakfahren den Fluss nicht mehr nutzen könnten, wäre fast nebensächlich. Das komplexe Ökosystem in Südpatagonien würde Schaden nehmen. Aber mittlerweile formiert sich Widerstand. Die internationale NGO Riverkeeper ist in Futaleufu aktiv, Maria José Ortiz ist die erste hauptamtliche Flusswärterin in ganz Patagonien.
"Ich persönlich glaube, dass der Bergbau das Tal verschmutzen und zerstören würde. Das gilt auch für das ganze Wasser. Der Espolon ist der wichtigste Zufluss des Futaleufu. Die Verschmutzung würde also auch den Futaleufu betreffen und alles, was unterhalb kommt, am Ende bis zur Mündung ins Meer."
Die 28-Jährige ist kein Ranger, der durch die Natur streift und die Flüsse überwacht. Mit ihrer buntgetupften Sonnenbrille und dem modischen Schal sieht sie eher wie ein überzeugter Großstadtmensch aus. Aber der Eindruck täuscht. Maria Jose hat ihr ganzes Leben zwar in der Hauptstadt Santiago verbracht, aber im letzten Jahr hat sie ihr Leben aufgegeben und ist in die Provinz gezogen, um die Natur zu schützen:
"Am Anfang war es schon schwierig, weil die Leute natürlich mitbekommen haben, dass wir zu einer internationalen Organisation gehören – und damit waren wir eine Gringo-Organisation. Aber mit der Zeit haben die Leute im Dorf dann gemerkt, dass wir mit ihnen arbeiten wollen und ihnen nichts vorschreiben wollen. Mittlerweile haben wir viel Unterstützung von wichtigen Leuten im Dorf."
Dazu gehört auch Arturo Carvallo. Der Bürgermeister residiert in dem nagelneuen Gebäude aus Holz und Glas, das erst vor kurzem an den zentralen Dorfplatz gebaut wurde. Es ist Bürgermeisteramt und gleichzeitig ein Teil der Provinzregierung. Viele Beamte mussten mit üppigen Zulagen in das abgelegene Patagonien gelockt werden. Arturo Carvallo dagegen lebt schon seit 40 Jahren in Futaleufu und fühlt sich mit der Region eng verbunden. Und er weiß ganz genau, dass die Schönheit der Natur ein handfester Wirtschaftsfaktor ist:
"Der Tourismus sorgt für die größten Einnahmen in dieser Kommune. Aus offensichtlichen Gründen: Wir haben unberührte Natur, wir haben mit dem Futaleufu einen wundervollen Fluss. Ich betone immer wieder die unberührte Natur, denn es gibt nicht mehr so viele Regionen in der Welt, wo der Mensch noch nicht eingegriffen hat und alles zerstört hat."
Aber der Bürgermeister weiß auch, dass viele Menschen in der Region sich von Staudammprojekten und den Minen Fortschritt versprechen: neue Straßen, größere Geschäfte und nicht zuletzt gut bezahlte Arbeit. Allerdings gibt es in der Region praktisch keine Armut. Deshalb kann es sich der Bürgermeister leisten, auf den naturnahen Tourismus zu setzen. Ein Problem ist eher die Gesetzgebung in Chile, ein Erbe der Militärdiktatur. Ihre Wirtschaftspolitik war extrem neoliberal ausgerichtet, alles wurde zu einem Produkt gemacht – auch das Wasser. Wer wollte, durfte kostenfrei die Wasserrechte eines jeden Flusses beanspruchen, um zum Beispiel Kraftwerke zu bauen.
Die Wasserrechte in Patagonien liegen nach verschiedenen Übernahmen beim italienisch-spanischen Konzern Enel Endesa. Bill Horvath, der wissenschaftliche Berater der NGO Riverkeeper hat die Situation um die Wasserrechte genau recherchiert:
"Im Jahr 2005 wurde das Wassergesetz geändert. Wer seine Wasserrechte bis dahin nicht genutzt hat, der sollte eine Strafe zahlen. Und zwar für jedes Jahr das die Flüsse nicht genutzt werden. So wollte die Regierung den Druck auf die Firmen erhöhen, damit Staudammprojekte umgesetzt werden. Für den Futaleufu gab es eine Ausnahme bis 2013. Jetzt sind wir also an dem Punkt angekommen, von dem ab Endessa für die nicht genutzten Wasser-Rechte zahlen muss."
Ein Damm soll dort entstehen, wo der Fluss am schmalsten ist
Aus dieser Perspektive steigt die Wahrscheinlichkeit, das der Futaleufu in naher Zukunft aufgestaut wird. Der Staudamm würde nicht nur den Fluss und die Umwelt verändern, auch das soziale Gefüge der Region würde sich wandeln. Wie, das weiß man noch nicht so genau, weil in Patagonien solche Projekte noch nicht umgesetzt worden sind. Was ein Damm aber für einen traumhaften Fluss bedeutet, dass hat sich Bill 700 Kilometer nördlich angeschaut, am Biobio:
"Der Biobio ist wahrscheinlich der spektakulärste Wildwasserfluss in Chile gewesen, vergleichbar mit dem Grand Canyon in den USA. Außerdem war er zugänglich für die Bevölkerung. Dann haben sie den Staudamm gebaut und jetzt ist der Fluss für Wassersport ruiniert. Und das wäre die Zukunft des Futaleufu."
Unvorstellbar für Chris Spelius, der wegen dieses Flusses seine Heimat aufgegeben hat und seit 30 Jahren im Süden Patagoniens lebt. Fast jeden Tag ist er auf dem Fluss. Mit seiner derzeitigen Kajakgruppe hat er mittlerweile zwei weitere Trainingstage absolviert, jetzt geht es endlich auf den Futaleufu. Der große Fluss zeigt sich erstmal recht harmlos, aber Chris warnt die Gruppe schon mal, denn sie nähert sich der gefährlichste Stelle des ganzen Flusses.
Mehrere Paddler starben beim Bezwingen der Stromschnelle
"Es ist wie ein Z. Der Fluss biegt scharf nach rechts, knallt gegen die Felsen und biegt dann scharf nach links. Und dann kommt ein Nadelöhr, wie bei einem Gartenschlauch, den man zudreht, schießt das Wasser hier durch. Wenn man eine Stromschnelle entwerfen würde, die einem Angst einjagt, dann wäre das hier das beste Vorbild."
Der riesige Futaleufu ist an dieser Stelle nur vier Meter breit, mit unglaublicher Macht wird das Wasser durch die schmale Granitklamm gepresst. Mehrere Paddler sind bei dem Versuch gestorben, diese Stromschnelle zu bezwingen. Chris läßt die Gruppe mit gebührendem Abstand anlanden, die Stelle wird umtragen. Unabhängig davon ist der Ort aber einer der schönsten am ganzen Fluss. Man kann sich auf die großen Granitfelsen legen, die der Fluss über die Jahrtausende glattgeschliffen hat und das imposante Andenpanorama auf sich wirken lassen. Genau an dieser Stelle, wo der Fluss am schmalsten ist, soll einer der drei Staudämme gebaut werden. Chris genießt die Pause an der Schlucht, es ist offensichtlich, wie wohl er sich hier an seinem Fluss fühlt:
"Das ist ein Ort, der in Zukunft so wertvoll werden könnte, denn so etwas wird es nicht mehr geben. Energie kann man auch an anderen Orten gewinnen. Wasserenergie wird für Chile immer eine Energiequelle sein. Aber es gibt andere Flüsse die nicht diese weltweite Bedeutung haben für den Tourismus. Damit kann man Geld verdienen, das ist auf der Welt ziemlich einzigartig. Und ich glaube, den Leuten hier ist nicht bewusst, wie besonders dieser Ort ist."
Am Ende muss den Politikern in der Hauptstadt Santiago bewußt sein, dass dieser Fluss besonders ist. Zumindest hat die neue Regierung bislang nichts unternommen, um die Staudammprojekte am Futaleufu voranzutreiben. Eine Garantie für den Erhalt dieser einmaligen Naturlandschaft ist das natürlich nicht.
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