Naturraum

Ex-Todesstreifen als grünes Mahnmal

Das Grüne Band an der früheren innerdeutschen Grenze
Das Grüne Band an der früheren innerdeutschen Grenze ist 1400 Kilometer lang, 177 Quadratkilometer groß und bietet mehr als 1200 gefährdeten Tier- und Pflanzenarten eine Heimat. © picture alliance / dpa
Von Lutz Reidt · 03.11.2014
Wo früher Stacheldraht, Wachtürme und Minenfelder die Grenze markierten, hat sich die längste Biotop-Kette Europas mit seltenen Tier- und Pflanzenarten entwickelt. Fast 1400 Kilometer schlängelt sich das "Grüne Band" durch Deutschland.
Gespenstisch ist die Stimmung in den Hochlagen der Rhön. Eisige Böen und bleischwere Wolkenfronten fegen über grün bewaldete Kuppen und braungefärbte Gräser hinweg. Die Kälte kriecht förmlich durch die Kleidung, hier oben am Grabenberg, in fast 800 Metern Höhe, am Dreiländereck von Thüringen, Bayern und Hessen, in Sichtweite des kleinen Dorfes Birx.
Die düstere Silhouette eines verlassenen Wachturmes thront finster auf dem Gipfel des Grabenberges. Der Biologe Thomas Norgall nähert sich Resten einstiger Sperranlagen, die als Mahnmal stehen geblieben sind:
"Ja, das ist diese Befestigungsanlage, der hohe Zaun, vier, fünf Meter hoch, mit Stacheldraht bewehrt, so dass er eben überhaupt nicht überwunden werden kann. Sie können in diesen Zaun nicht hinein greifen (schlägt gegen den Zaun, es ertönt ein metallisches Vibrieren), er ist sehr fest und sollte verhindern, dass die Bewohner der damaligen DDR eben in den Westen gingen. Es wurde regelmäßig patrouilliert und sehr frei gehalten, so dass sie hier auch immer das berühmte Schussfeld hatten, das berüchtigte."
Fast 30 Jahre lang war dieser "Eiserner Vorhang" deutsch-deutsche Realität: Mit Stacheldraht und Sperrgräben, mit Selbstschussanlagen und Minenfeldern. Doch ausgerechnet dorthin hatten sich viele seltene Tier- und Pflanzenarten zurückziehen können:
"Und hier waren dann irgendwann die ersten Anzeichen da, dass sie oben auf diesen Zäunen dann auch irgendwann diese Warten hatten von Greifvögeln oder von kleinen Insektenfängern, die dann völlig unbehelligt von der Geschichte und der Dramatik rund herum plötzlich Ruhepunkte hatten, um dort zu leben."
59 bedrohte Vogelarten registriert
Welche Artenfülle im ehemaligen, fast 1400 Kilometer langen Grenzstreifen überdauern konnte, wollten Biologen vom BUND, dem Bund für Umwelt und Naturschutz, dann genauer wissen. Nach der Wende machten sie die erste Inventur. Die Biologin Dr. Liana Geidezis fasst die Ergebnisse zusammen:
"Da wurde festgestellt, dass zum Beispiel 130 Vogelarten allein in diesem Grenzbereich vorkommen, von denen 59 von der Roten Liste sind: Braunkehlchen oder auch so seltene Vögel wie der Schwarzstorch, der eben sehr viel Ruhe braucht, wurde gefunden; Ziegenmelker, Neuntöter, Raubwürger, alles solche Arten, die in der intensiven Agrarlandschaft nicht mehr bestehen konnten, haben sich in den Grenzstreifen zurückgezogen."
Unablässig pfeift ein kalter Nordwind über das fahle Braun der Gräser hinweg. Für Thomas Norgall vom hessischen Landesverband des BUND ist der ehemalige Todesstreifen ein grünes Mahnmal, das zwar an die Vergangenheit erinnern, dabei aber auch Menschen und Landschaften in Deutschland zusammenführen soll:
"Die Idee, die wir mit der ganzen Sache verbinden ist eben, dass diese ehemalige Grenze heute etwas sehr Verbindendes wird, die auch verbindet die Geschichte des Landes mit der Natur, die man quer durch das Land finden kann. Wo Menschen sich daran entlang bewegen können, quer durch die ganze Republik, verschiedene Landschaften kennenlernen, die Natur kennenlernen, aber auch immer wieder den Rückblick zur Geschichte haben."
Boden Jahrzehnte mit Herbiziden getränkt
Helmut Kohl: "Wenn die Menschen hier bereit sind, hart zu arbeiten - das werden sie tun; und wenn wir insgesamt - auch wir, die bisher in der Freiheit der Bundesrepublik leben konnten - unseren Beitrag der Solidarität leisten, dann werden diese Landschaften, dann werden Sachsen und Sachsen-Anhalt und Thüringen und Brandenburg in drei, vier, fünf Jahren blühende Landschaften in Deutschland sein. Warum auch nicht? Das ist die Frage, die ich ganz einfach stelle."
Blühende Landschaften hatte Bundeskanzler Helmut Kohl damals versprochen.
Thomas Norgall blickt am Grabenberg über den einstmaligen "Spurensicherungsstreifen". Jahrzehntelang tränkten DDR-Grenzer den Boden mit Herbiziden, damit kein Kräutlein sprießen und jeder Fußabdruck eines vermeintlichen Republikflüchtlings erhalten bleiben konnte.
Blühende Landschaften - hier wurden sie Realität:
"Hier in den Hochlagen der Rhön wächst jetzt - bei den hohen Niederschlägen, da wachsen die Saalweiden auf, als Pioniergehölze. Und es entwickelt sich eben eine sehr urige kleine Wildnis hier. Wir haben hier die Schmallippigen Weidenröschen vor uns. Eine Pflanze, die ganz typisch ist für eine Situation, wo praktisch Vegetation 'losbricht'. Wir haben dann gelb das Labkraut da drin stehen. Wir haben die blaue Farbe, die ganz typisch ist für den Wiesenstorchschnabel."
Eine solch bunte Blütenpracht sprießt an vielen Stellen entlang des knapp 1400 Kilometer langen Grünen Bandes. Eine Grenze, die früher die Menschen im Osten von denen im Westen trennte, verbindet heute als Biotop-Kette die unterschiedlichen Lebensräume miteinander, zwischen der Ostsee bei Lübeck bis hinunter ins Vogtland, am Dreiländereck von Bayern, Sachsen und Böhmen.
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