Naturnahe Tierhaltung

Freut sich das Schwein, muss der Bauer wohl Idealist sein

Eine Sau und ihre Ferkel liegen im Dreck unter Apfelbäumen.
Dass Schweine im Freien gehalten werden, ist in Deutschland selten. © Ernst-Ludwig von Aster
Von Ernst-Ludwig von Aster · 05.02.2019
Die Schweine vom Potsdamer Sauenhain leben so, wie Fleischliebhaber es bei Befragungen immer wünschen: Sie haben viel Platz, frische Luft, gutes Futter, Kontakt miteinander. Trotzdem muss der Landwirt um sein Auskommen bangen.
Eine Gruppe Bentheimer Sauen wühlt zwischen alten Apfelbäumen. Entspannt liegt ein Eber im Stroh. Dutzende Ferkel zischen – unter kniehohen Elektrozäunen hindurch – zwischen drei Koppeln hin und her.
"Diese Art von Schweinehaltung sehe ich jetzt auch das erste Mal, jetzt auch in der Größenordnung." Amüsiert beobachtet Stefan Heidrich das tierische Treiben. Clemens Stromeyer steht daneben und nickt.
"Ich finde es erst einmal toll. Ich sehe auch, wieviel Spaß die miteinander haben." Schweine-Spaß im Potsdamer Sauenhain. Heidrich ist Tierarzt und Brandenburgs Tierschutzbeauftragter. Clemens Stromeyer einer der wenigen Freiland-Schweinehalter in Deutschland.
"Die Sache mit den Tieren selbst, jetzt mache ich das schon drei Jahre, die habe ich ganz gut in Schwung, sind ja dann doch immer die gleichen Abläufe. Und Schweine sind ja sehr dankbare Tiere, in dieser Hinsicht."

"Produkte produzieren, die anderen gut schmecken"

Vier Hektar Apfelplantage, ein paar Hektar Weide, zwölf Sauen, ein Eber – das ist Stromeyers Geschäftsgrundlage. Der schweinische Nachwuchs das Produkt, aufgezogen im Freiland, geschlachtet und direkt vermarktet in der Region. Soweit die Idee.
"Das war so eine Mischung aus mal was ganz anderes zu machen und Lust daran, Produkte zu produzieren, die anderen Leuten gut schmecken. Sachen zu produzieren, wie man sie selber gerne essen würde. Aber auch so ein bisschen: heiß geredet und dann nicht mehr rausgekommen aus der Sache."
Aus der Sache mit den Schweinen. Der Geograf Stromeyer machte Praktikum bei einem der wenigen Schweine-Freilandhalter, pachtete zusammen mit einem Kompagnon den alten Apfelhain, kaufte seine ersten Tiere bei einer Bauernhofauflösung. Robuste Schweine aus dem Stall, die nun den Boden in der Natur unermüdlich bearbeiten:
Tierarzt Heidrich: "Das Verhalten, was sie, wenn sie naturnah gehalten werden, drei Viertel des Tages ausüben: Suchen, wühlen, mit der Rüsselscheibe, das ist das, was sie eigentlich machen und brauchen."

Gesunde, robuste Tiere dank Freiland-Haltung

Die Tiere sind anspruchslos. Ein Veterinär muss hier nur selten vorbeischauen. Die schützenden Unterstände nutzen die Tiere nur wenig. Einige Tage vor dem Geburtstermin bauen die Sauen ein Nest. Acht Ferkel hat der durchschnittliche Wurf. Zehn Wochen bleiben die Tiere bei der Mutter. Die Sterblichkeit liegt unter zehn Prozent, sagt Stromeyer. Und damit deutlich niedriger als bei der Stallhaltung.
"Die wachsen halt robuster auf und sind weniger anfällig dann. Und ich habe auch diese Ammenhaltung, wenn eine Sau nur fünf hat und eine andere acht: Die Ferkel säugen überall und teilen sich dann auch auf."

Bei der Kastration der männlichen Ferkel braucht die Tierärztin doppelt so viel Narkosemittel wie bei Stallschweinen, erzählt Stromeyer. Freilandpower. Die Tiere bewegen sich hier mehr, wachsen langsamer und leben gut doppelt so lange wie ein durchschnittliches Stallschwein. Nach einem Jahr bringen sie 150 Kilo auf die Waage. Dann geht es zu einem kleinen Bio-Schlachthof. Drei Tiere pro Woche liefert Stromeyer ans Messer. Und dann wird es schwierig:
"Auf der vertrieblichen Seite ist das viel aufwändiger, als ich mir vorgestellt hatte. Ich dachte Online-Shop-Freilandschwein gibt es ja nicht so oft, wird schon laufen. Aber die Kunden heutzutage sind halt nicht beständig."
Der Schweinebauer steht neben einem seiner Schweine.
Mensch und Tier im Obstbaum-Hain: Clemens Stromeyer mit einem seiner Schweine.© Ernst-Ludwig von Aster

Die Kunden wollen eher Edelteile

Bestellung online, Lieferung per Kurierdienst, in der Kühlbox. Das ist das Angebot. Am Anfang wollte er Mix-Boxen verschicken, von allem etwas, aber alles vom Weideschwein. Nicht nur Gulasch. Auch mal Bauchspeck. Die Kunden aber wollten eher Edelteile. Das Kilo Kotelett kostet hier 23 Euro. Der Mindestbestellwert liegt bei 50 Euro.
"Und da habe ich immer die Verfügbarkeiten für drei Tiere: Da habe ich dann zum Beispiel sechs Filets, sechs Oberschalen, sechs Unterschalen, so und so viele Koteletts. Und dann ist für den jeweiligen Termin auch nichts mehr verfügbar."

Rund 50 Stammkunden hat er, die meisten Leben in Berlin und Brandenburg, bestellen einmal im Monat. Geliefert wird per Öko-Kühlbox und Kurier, deutschlandweit. Doch die Stammkundschaft allein reicht nicht.
"Ohne die Gastronomie würde es auch nicht gehen. Und da habe ich ganz verschiedene Leute. Da habe ich sowohl Sterneköche, als auch ganz bodenständige Unternehmen, die Lust haben auf vernünftiges…" – Eine schwere Sau stupst den Schweinehirten von hinten. Der wankt, aber fällt nicht. – "Die einfach Lust haben auf vernünftiges Material."
Und was keinen Käufer findet, kommt in die Wurst. Fünf Stunden dauert die tägliche Schweinearbeit mindestens. Koppeln bauen, Tiere umsetzen, Löcher dichtmachen, Tierkontrolle, Wasser bereitstellen, Futter. Dazu noch einmal die Woche zum Schlachthof, dann Verpackung, Versand, Abrechnung. Ein hartes Geschäft. Stromeyers Kompagnon stieg dann auch letztes Jahr aus.
Bentheimer Ferkel spielen miteinander.
Dass Schweine im Freien gehalten werden, ist in Deutschland noch immer selten.© Carsten Rehder/ dpa

Bio-Zertifizierung kostet Geld

"Habe ich das richtig gelesen, dass sie auf genmanipuliertes Futter verzichten?", fragt Tierarzt Stefan Heidrich den Öko-Bauern. "Ja, klar. Ich bekomme zwar mein Futter von einer normalen Futtermühle, aber ohne genmanipulierte Getreidesorten oder irgendwelche Sojageschichten."
Der Schweine-Unternehmer füttert Gerste und Hafer, Sonnenblume und möglichst viel Heu und Grünfutter. Dazu gibt es auch noch Treber von der Brauerei, das macht die Tiere satt, aber nicht zu fett. Auf eine Bio-Zertifizierung hat Stromeyer ganz bewusst verzichtet. Zum einen honoriert sie nicht die Freiland-Aufzucht. Zum anderen kostet sie Geld. Und das muss der Unternehmer zusammenhalten:
"Es ist immer an der Grenze, wenn es so weiterläuft. Ich bin zuversichtlich, dass es irgendwann aufgehen könnte, wenn die Kunden, die ich jetzt habe, mir treu bleiben und noch ein paar andere dazukommen. Es geht aber zurzeit immer nur mit: hier und da eine Lücke zwischen zu finanzieren."

Nur etwas für Idealisten

Es geht vorwärts, aber langsam, sagt er. Ohne die Unterstützung von Freunden, die ab und zu aushelfen, würde es nicht funktionieren. Stefan Heidrich blickt nachdenklich: "Eigentlich machen sie ja genau das, was alle suchen, kleine Tierhaltung, outdoor, die Tiere haben Kontakt zueinander. Wir haben eine schöne Fläche hier, wir haben alten Baumbestand, alles wunderschön. Und dann könnte man sich nur wünschen: Sollen doch alle kommen."
"Ja, genau. Ich glaube, wenn man jetzt gelernter Landwirt wäre, würde man das so nicht anfangen. Dann rechnet man sich das durch und sagt: so ein Aufwand, so ein Quatsch. Mit den Apfelbäumen noch. Das macht man – glaube ich – nur, wenn man davon keine Ahnung hat und blauäugig sagt, so wie man es dann macht, müsste doch schön sein."
Da nickt Schweinewirt Stromeyer. Schön wäre es. Er wird auf jeden Fall weitermachen mit der Schweine-Arbeit, auch wenn sie schwerer ist als gedacht, weil sie ihm immer noch Spaß macht.
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