Natur und Kultur im Brandenburger Schlaubetal

Wildromantisch und verwunschen

14:35 Minuten
Laubblätter treiben auf der Schlaube im Naturpark Schlaubetal in Brandenburg, Sonnenstrahlen fallen auf das Wasser.
Seltene Naturerlebnisse und Kultur: das Schlaubetal liegt nahe dem Spreewald, ist aber viel weniger überlaufen. © picture alliance / dpa-Zentralbild / ZB / Patrick Pleul
Von Vanja Budde · 19.10.2020
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Eher Ausflüge statt langer Reisen ist derzeit die Devise. Buchenwälder, Sümpfe, Seen, Eisvögel und Seeadler gibt es im brandenburgischen Schlaubetal - ein Bachtal südöstlich von Berlin. Noch trifft man hier nur auf wenige andere Wanderer.
"Gucken Sie mal: Dieser umgekippte Baum da drüben mit diesem Wurzelteller unten dran, bietet die optimale Möglichkeit für ihn, eine Brutröhre anzulegen", sagt Mario Marschler, Ranger und Gebietsleiter der Naturwacht im Naturpark Schlaubetal, mit Blick auf den Eisvogel. "Sehen Sie dort dieses tennisballgroße Loch? Zwei sogar. Ja, der probiert dann öfters mal, eine Brutröhre anzulegen, wo es optimal ist, gräbt er natürlich weiter."
Viele Leute hätten den Eisvogel noch nicht gesehen, weil sie nicht wüssten, wie er piepst, so Marschler. "Dieses Piepen muss man sich einprägen! Wenn man das draufhat und hier unterwegs ist, an der Schlaube: Konzentrieren! Er kommt gleich vorbei."
Bis zu sechs Eier legt der Eisvogel in seiner Brutröhre ab, erzählt Mario Marschler, während er das zarte Stimmchen des kleinen, herrlich blau-türkis schimmernden Vogels vom Rekorder abspielt. Mit Marschler und seinem Kollegen Nico Brunkow bin ich unterwegs am Ufer der Schlaube, dem Grand Canyon Brandenburgs: Bis zu 30 Meter tief liegt das Bachbett hier in einem hügeligen Buchenwald.
"Das Schlaubetal ist schon relativ alt", erklärt Ranger Nico Brunkow. "Als die Eiszeit übers Land gegangen ist und hier große Eismassen lagen, hat die jetzige Schlaube als Abwasserrinne nach Süden entwässert, in den jetzigen Spreewald." Erst als das Eis zurück getaut ist, sei das nächste Urstromtal frei geworden. Dann sei die Schlaube über Berlin in die Nordsee geflossen. "Und über die vielen, vielen Jahrtausende hat sie sich immer weiter eingeschnitten ins Land. Und so haben wir teilweise Bereiche, die baumhoch tief im Tal sind."
Riesige Findlinge ließen die Gletscher zurück, als sie sich heimwärts nach Gotland schoben. Im nahen Braunkohle-Tagebau Jänschwalde fördern die Bagger sie bis heute zutage. Gesammelt werden sie in einem Findlingspark, ein beliebtes Ziel von Geologen, sagt Nico Brunkow. Er stammt ursprünglich aus Frankfurt (Oder), ist aber schon seit 20 Jahren Ranger im Naturpark Schlaubetal. Wir laufen einen schmalen Weg am sumpfigen Ufer des friedlich dahinfließenden Baches entlang.
"Der geht von Müllrose, dem Ende des Schlaubetals bis zum Wirchensee, dem Anfang des Schlaubetals. Da kann man 27 Kilometer direkt an der Schlaube entlang wandern, hat Fischteiche zwischendurch, man hat Moore, die man so am Wegesrand sieht, man hat diese Buchenwälder, man hat auch mal Kiefern, die bis ran reichen." Und wenn man zur Jahreszeit hier sei, in der die Orchideen blühen, könne man sogar direkt am Wanderweg auch Orchideen finden."

Einmalige Landschaft und seltene Tiere

13 Orchideenarten gibt es im Schlaubetal, mehr als 1000 Pflanzenarten insgesamt. Fast 200 Vogelarten leben im Naturpark, darunter die seltenen See- und Fischadler, Uhus und Eisvögel, Schwarzstörche und Schreiadler, Sumpfschildkröten und Bachforellen. Fischotter jagen hier, Fledermäuse huschen durch die Dämmerung, 700 Großschmetterlingsarten wurden gezählt. Weil das Bachtal abseits der großen Verkehrsströme liegt und die Natur hier noch relativ unberührt ist, erklärt Nico Brunkow und zeigt auf einen über die Schlaube gestürzten Baumstamm.
"Jetzt ist er relativ frisch rüber gefallen, da sind ja noch die restlichen Blätter dran. Jetzt hat man die ersten Moose drauf, dann kommen ein paar Farne, ein paar Flechten. Dann sackt er peu a peu rein, dann versprudelt da das Wasser und dort das Wasser: Also es ist ein Lebensraum an sich."
Doch das Schlaubetal hat noch mehr zu bieten als lauschige Bachbetten und lichte Buchenwälder, Feuchtwiesen und Moore: Um die Vielfalt der Landschaft auf relativ kleinem Raum zu zeigen, fahren die beiden Ranger nun in die Reicherskreuzer Heide. Beim Ort Henzendorf blüht sie violett auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz.
Die Heide blüht am späten Abend kurz vor Sonnenuntergang im Naturschutzgebiet der Reicherskreuzer Heide.
Hier gibt es Tiere, die sonst nicht vorkommen: in der Reicherskreuzer Heide auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz.© picture alliance / dpa-Zentralbild / ZB / Patrick Pleul
"Und hier ist 100 Jahre lang weder Dünger noch Pflanzenschutzmittel hingekommen. Wir haben hier 3000 Hektar Natur. Und hier haben sich auch seltene Arten bei den Heuschrecken erhalten, die Italienische Schönschrecke beispielsweise. Das ist eine besondere Landschaft, so etwas ist einmalig", schwärmt Nico Brunkow und bückt sich nach einem unscheinbaren, kleinen, braun-grauen Geschöpf zu seinen Füßen, das erschrocken davon hüpft.
"Die Gefleckte Keulenschrecke! Die braucht so trocken-warme Lebensräume, das hier war ein Männchen, die sich auch im Sommer richtig aufheizen, das finden die toll. Und die gibt es in Brandenburg auf Truppenübungsplätzen und auf Kiesflächen. Ansonsten kommen die sonst nicht weiter vor."
Ganz in der Nähe der Heidelandschaft liegt am Ende eines Feldweges auch der Henzendorfer Findlingspark. Künstler haben viele der großen Steine bearbeitet, ein Gruppe Touristen ist neugierig und lässt sich auch vom Regen nicht abhalten, der eingesetzt hat. In bunten Regenjacken streben sie zu den Zeugen der Eiszeit.
"Jetzt gerade durch die Coronazeit sind es viele Leute, die diese Eckchen in Deutschland mal kennen lernen wollen. Deutschland ist extrem vielfältig, und das finde ich so schön. Wir sind mit der Kutsche durchs Schlaubetal gefahren. Das ist einfach mal auch sehr entspannend."

"Hier aufzuwachsen, war ein kleines Paradies"

Reisende suchen hier die Ruhe und Abgeschiedenheit, aber für junge Leute ist es nicht leicht, sich im Schlaubetal eine Zukunft aufzubauen. Die beiden Zwillingsschwestern Cynthia und Tabea Matthies sind im nahen Dörfchen Reicherskreuz aufgewachsen. Die Häuser sind aus Feldsteinen gebaut, viele liebevoll saniert, was dem Heimatort der beiden 20-Jährigen einen besonderen Charme verleiht.
"Wir haben das Dorfleben hier immer sehr wertgeschätzt, wussten aber, dass man von hier aus kaum mobil ist. Wir hätten mit dem Auto fahren müssen und wir hätten nicht weit weg gekonnt von hier. Ich bin auch nach Weimar studieren gegangen und da war es klar, da muss ich auf jeden Fall wegziehen. Und es war auch der Plan, mal ein bisschen weiter raus hier aus der Gegend. Aber für mich zumindest war es auch schon immer der Plan, wieder zurück aufs Dorf. Weil die Qualitäten wirklich sehr, sehr hoch sind", sagt Tabea.
Cynthia ergänzt: "Freunde aus Berlin, die hierherkommen, das erste was auffällt ist: Wow! Es ist einfach grün und ruhig. Dann wenn es später wird: ‚Wow, so viele Sterne am Himmel habe ich ja noch nie gesehen.‘ Es ist total viel wert, diese Zeit hier draußen verbringen zu können."
"Hier aufzuwachsen, war schon so ein kleines Paradies. Was wir unseren Kindern auch wünschen."
"Und es wäre super schön, wenn gerade so Dörfer wie hier, auch diese jungen Leute dazu bekommen, die Lust haben, hier etwas zu starten. Ich selbst studiere auch Stadtplanung und habe auch schon lange überlegt, dass ich später eher in Richtung Regionalplanung gehe, dass man genau solche Sachen hier im ländlichen Raum wieder mehr unterstützen kann, dass Projekte hier stattfinden, dass die Leute sich wieder engagieren."

Weiter Blick im Winter

Das grüne Schlaubetal lockt Wanderer und Radfahrer, es ist aber auch reich an Geschichte und Kultur. So steht in Deutschlands waldreichster Gemeinde Siehdichum – die wirklich so heißt - auf einer Anhöhe zwischen zwei Seen das Forsthaus Siehdichum. An dieser Stelle im Herzen des Schlaubetals hatte sich 1746 der Abt des Klosters Neuzelle ein Jagdhaus bauen lassen.
"Der Abt Gabriel, der erste, der hier gebaut hat, hat schon erkannt, dass das die schönste Stelle des Schlaubetals ist", sagt Andrea Maßmann, die seit 2011 zusammen mit ihrem Mann im Forsthaus ein Hotel und einen Gasthof betreibt.
"Weil Siehdichum ein bisschen auf dem Berg liegt, man einen schönen Blick auf den See hat. Wenn die Bäume Laub tragen, ist die Sicht nicht ganz so. Jede Jahreszeit ist schön hier, aber der Winter ist noch mal so schön, weil man so einen weiten Blick hat."
Eine Handvoll Häuser stehen an einem Seeufer, dahinter Wald, im Vordergrund Zweige: der Ort Siehdichum im brandenburgischen Schlaubetal, Blick über den Hammersee im herbstlichen Naturpark Schlaubetal.
Die schönste Stelle des Schlaubetals, finden manche: das Örtchen Siehdichum mit dem Hammersee.© picture alliance / dpa-Zentralbild / ZB / Patrick Pleul
Nach der Säkularisierung des Klosters hielten hier königlich preußische Forstmeister Hof, einige von ihnen, nebst ihren angeblich an Pilzvergiftung gestorbenen Ehefrauen, liegen auf einem kleinen Försterfriedhof nahe bei. Oberförster Wilhelm Reuter zum Beispiel.
"Ich habe mir erzählen lassen, die hatten einen eigenen Kutscher, eigene Zimmermädchen hier, die hatten - heute würden wir sagen – Auszubildende, es gab eine Schreibstube, es musste ja alles erfasst werden. Drüben gab es große Scheunen, die haben die Kiefernzapfen selber ausgeschlagen und ihren eigenen Samen produziert. Daher ist es doch ein etwas größeres Haus und eine größere Wirtschaftsanlage."

Drei Wolfsrudel im Revier

Gleich nebenan entsteht gerade ein neuer Waldfriedhof, für Menschen, die lieber unter einem Baum im Schlaubetal als auf dem Friedhof ruhen möchten. Die Beisetzungen wird dann auf Wunsch Kevin Lücke vornehmen: Er ist heute hier der Förster. Was er an seinem Revier mag?
"Die Abwechslung! Ich habe einmal eine riesengroße Gewässerfläche durch die Schlaube, durch die Seen. Ich habe dieses hügelige Relief; ich habe verschiedenste Baumarten hier: Ich habe die Kiefer; ich habe die Eiche; ich habe die Birke; Winterlinde; Hainbuche. Dieses Revier ist einfach unglaublich an seiner Vielzahl an Tier- und Pflanzen."
Drei Wolfsrudel gehören auch dazu. Die Täler oder Toteislöcher des Schlaubetals seien nie bewirtschaftet worden, erklärt der junge Förster. Zu unzugänglich und zu feucht.
"Dadurch konnten sich vieles hier wieder zurückziehen. Und dadurch ist das Schlaubetal so interessant für Naturwanderer oder auch für Biologen."

Stasi-Mann hortete Millionen

Und für Hobbyhistoriker: Zu DDR-Zeiten ließ es sich Günter Wurm im Forsthaus Siehdichum wohl sein – Oberstleutnant des Ministeriums für Staatssicherheit, Leiter einer im Auftrag der Stasi gegründeten Firma namens Industrievertretung, die am offiziellen Außenhandel vorbei Geschäfte zwischen der Wirtschaft im Westen und DDR-Unternehmen vermittelte – gegen Provisionen. Wurm leitete das meiste in die eigene Tasche, hortete Millionen und kiloweise Gold. Das Forsthaus in Siehdichum ließ er luxuriös umbauen, was schließlich Verdacht erregte und Wurm auffliegen ließ. 1981 verurteilte ihn das Oberste Gericht der DDR zu 15 Jahren Haft. 1983 starb Günter Wurm im Gefängnis.
"Wo man immer sagt, die Staatssicherheit hatte alles im Griff. Aber selbst da war es möglich, so viel beiseite zu schaffen. Ist schon erstaunlich", meint Gastwirtin Andrea Maßmann. Sie hat sich gleich auf den ersten Blick in das Forsthaus im Wald verliebt.
"Ich denke mal, das ganz Besondere ist, dass mir immer wieder Gäste sagen, sie sind erstaunt, wie wenig Menschen sie unterwegs treffen. Wenn man jetzt den Schlaubetalwanderweg zum Beispiel geht, da kann es Ihnen schon passieren, dass man wirklich bloß eine Handvoll Leute unterwegs trifft. Aber was für mich ganz toll ist: Dass ich Gästen, die entweder des Wanderns müde sind oder einen Regentag erwischen, dass ich sagen kann: ‚Wir haben da noch etwas ganz Besonderes: Neuzelle, fahren Sie da hin, da kann man den ganzen Tag verbringen, egal, ob es draußen regnet oder nicht.' Das ist natürlich eine ganz tolle Sache, wenn man noch so etwas in der Hinterhand hat."
Ostansicht vom Klostergarten auf die Klosterkirche St. Mariä Himmelfahrt, Kloster Neuzelle, Brandenburg
Höhepunkt der Führung durch das Kloster Neuzelle: das "Himmlische Theater".© picture alliance / Andreas Gillner
Das Kloster Neuzelle: Anno 1368 gegründet, eine Perle des Barock, katholische Insel im protestantischen Brandenburg. Vor wenigen Jahren von einem halben Dutzend zurückgekehrter Zisterzienser-Mönchen wiederbelebt - 200 Jahre nach der Säkularisierung. Mehrmals täglich singen sie in der Klosterkirche St. Mariä Himmelfahrt voller Putten und Heiligenfiguren das Chorgebet. Weil in Neuzelle kein Platz und auf Grund von 100.000 Besuchern im Jahr auch zu viel Trubel ist, wollen die Zisterzienser auf einem Grundstück in der Nähe neu bauen: Die erste Klosterneugründung in Ostdeutschland.
Nach der Säkularisierung 1817 fielen die Klostergüter an den Staat. Nach der Wiedervereinigung rief dann das Land Brandenburg die Stiftung Stift Neuzelle ins Leben, die das Klostergelände verwaltet.

Geistiges und wirtschaftliches Zentrum

Kurt Reiner-Jantke bietet hier Führungen an.
Durch die Kirche und den spätgotischen Kreuzgang mit Refektorium und Flügelaltar, zum barocken Klostergarten mit seiner Orangerie und dem weiten Blick über die Oderwiesen bis ins Nachbarland Polen. Doch der Höhepunkt jeder Führung durch das einstmals mächtige Kloster ist heute das "Himmlische Theater": dramatische, fast lebensgroße Holz-Kulissen aus dem 18. Jahrhundert. Sie wurden mit Szenen aus der Passion Jesu bemalt und sind ein einzigartiges Zeugnis europäischer Kunst- und Kulturgeschichte, erklärt Kurt Reiner-Jantke im Innenhof, in dem ein Brunnen plätschert.
"Von 240 ehemals vorhandenen Teilen haben wir 229. Und restauriert sind insgesamt drei Bühnen mit drei Szenen im Moment. Sehen tun wir jetzt zwei Bühnen und zwei Szenen. Alles andere wartet noch auf Fördermittel. So, gehen wir mal rein, schauen."
Im eigens für das "Himmelstheater" eingerichteten Museum in einem Nebengebäude wird deutlich, dass die Klöster Jahrhunderte lang Kultur und Geschichte des heutigen Brandenburgs geprägt haben. 60.000 Hektar umfasste der Grundbesitz allein des Klosters Neuzelle: Der Abt herrschte über 38 Dörfer und eine Stadt. Das Kloster war nicht nur ein geistiges, sondern auch ein wirtschaftliches Zentrum. Heute ist Neuzelle ein Kristallisationspunkt der Glaubens- und der Landesgeschichte, am Rande des im abgeschiedenen Schlaubetals.
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