"Natürlich ist das Kreuz ein religiöses Symbol"

Hilal Sezgin im Gespräch mit Andreas Müller · 27.04.2010
"Das Kreuz ist aus Sicht der CDU ein Symbol der Toleranz auch gegenüber anderen Religionen", sagt David McAllister, der CDU-Fraktionsvorsitzende in Niedersachsen. Dem widerspricht die Journalistin Hilal Sezgin: "Natürlich ist das Kreuz ein religiöses Symbol, das macht es nicht schlecht, aber das ist auch nicht kulturell neutral".
Andreas Müller: Christliche Symbole gehören nicht an staatliche Schulen. Dieser Satz in einem Interview mit der Zeitschrift "Focus" von Aygül Özkan, der bei Erscheinen des Blattes nur designierten Sozialministerin des Landes Niedersachsen, dieser Satz hat in ihrer Partei, der CDU, zu einem wahren Proteststurm geführt. Die niedersächsische CDU bemühte sich, die Debatte abzuräumen, wie Ministerpräsident Wulff sagte. Aber nach einer Fraktionssitzung gab der Vorsitzende, David McAllister, zu Protokoll, Kreuze seien an niedersächsischen Schulen erwünscht. Das Kreuz ist aus Sicht der CDU ein Symbol der Toleranz auch gegenüber anderen Religionen. Über den Streit um Deutschlands erste türkischstämmige Landesministerin spreche ich jetzt mit der Journalistin und Autorin Hilal Sezgin. Schönen guten Tag!

Hilal Sezgin: Guten Tag!

Müller: Ja, es gab also diese Fraktionssitzung der CDU in Niedersachsen, aus der trat der Vorsitzende McAllister und sprach, das Kreuz ist in den Schulen Niedersachsens erwünscht. Dass es ein klares Zurückpfeifen ist, ganz kurz vor der Vereidigung gesprochen, inzwischen ist sie ja vereidigt, ganz klar, aber das ist schon ziemlich peinlich, oder?

Sezgin: Ja, peinlich, wenn man der CDU vielleicht angehört, ansonsten ist es irgendwie auch ein bisschen komisch, finde ich, weil man erhält so ein bisschen Einblick darin, wie Politik funktioniert, wenn sie noch nicht so ganz getrimmt ist. Ich würde sagen, dass Frau Özkan von jetzt an vielleicht sozusagen ihre Interviews also jeweils autorisiert. Dann würde sie dann vielleicht das noch mal gegenlesen lassen von einem Pressesprecher, der würde sagen, oh Mensch, mach mal den Satz raus, ja, das geht gar nicht, ja, das ist viel zu heikel, und dann nimmt man ihn raus. Sie hat darauf gar nicht geachtet.

Sie hat das ja auch nicht von sich aus wirklich so gesagt, sondern der Interviewer hat sie explizit gefragt: Und gilt Ihre Ablehnung dann auch den Kruzifixen? Und dann musste sie in der Logik der Argumentation, die sie schon mal angefangen hatte, auch sagen, ja, dann auch keine Kruzifixe. Also da hat sie sich so ein bisschen reinmanövrieren lassen, hat zu ihrer Meinung gestanden, so ganz unbedarft, eigentlich auf eine sympathische Art und nicht berechnend. Und wutsch, jetzt hat sie dann den Denkzettel bekommen. Das passiert ihr vermutlich nicht noch mal.

Müller: Wobei sie hätte wissen können, dass das Kreuz in Klassenzimmern ein ziemlich neuralgischer Punkt der CDU ist.

Sezgin: Ja, aber trotzdem ist es ja sympathisch, wenn man irgendwie dann seine Meinung auch äußert. Also sie hat irgendwie, ja, zunächst wurde sie ja zu den Kopftüchern befragt. Da hat sie dann streng laizistisch argumentiert und hat auch die Türkei als Beispiel genommen, keine Kopftücher in all diesen öffentlichen Angelegenheiten. Und dann wurde sie gefragt, das gilt dann wohl auch für Kruzifixe. Ja, ehrlich gesagt, wie soll man sich da rausreden? Ich meine, die Position der CDU ist einfach etwas inkonsistent, verträgt sich nicht mal wirklich mit diesem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu dem Fall, und ich hätte da jetzt nicht gewusst, wie man da geschickt in dem Interview sagen soll, ja, eigentlich schon, aber meine Partei ist dafür, ich also auch. Ich meine, das musste sie jetzt sagen, aber ein bisschen inkonsistent ist das ja.

Müller: Es gibt diese heftige Kritik in der CDU, die CSU hat geradezu geschäumt, Frau Özkan hat nach diesem Interview sogar Morddrohungen erhalten. Woher kommt diese Schärfe?

Sezgin: Also ich denke mal, die Morddrohungen werden wohl von irgendwelchen Islamhassern kommen, die jetzt hoffentlich nicht in der CDU zu suchen sind oder davon erst mal zu trennen sind, dies noch unabhängig davon übrigens, ob Frau Özkan selber Muslimin ist. Nach allem, was ich weiß, ist sie das jetzt nicht in einem strengeren Sinne. Sie hat gesagt, ja, die Eltern haben irgendwie die Feiertage begangen, aber sonst sie überhaupt nicht irgendwie so erzogen, sie hat den christlichen Religionsunterricht besucht. Sie schreibt auf ihrer Website, sie spielt Tennis und kocht gerne, von Islam ist da überhaupt nicht die Rede. Trotzdem wird sie von so Islamhassern angegangen, die wollen einfach keine, ja, muslimischen oder türkischstämmigen Minister.

Für die CDU, denke ich, und die CSU, ja, teilweise ist das denen auch ein Dorn im Auge, obwohl ich habe mir noch mal das Parteiprogramm heute angeschaut der CDU. Eigentlich steht da explizit, wir sind offen für alle, also auch für Nichtchristen. Die ideale CDU speise sich aus christlichem Hintergrund unter anderem, aber eigentlich ist es kein explizites CDU-Ideal, jetzt alle christlich also zu missionieren oder ein christliches Deutschland zu schaffen.

Müller: Frau Özkan hat heute in der Vereidigungszeremonie dann auch gesagt, so wahr mir Gott helfe, am Ende der Vereidigungsformel, dennoch, als Muslima, wenn sie denn aktiv eine wäre, könnte sie denn tatsächlich dann guten Gewissens in der CDU sein, oder ist das letztlich dann die falsche Partei für eine Muslima?

Sezgin: Ja, das hat mich auch bewegt, deswegen habe ich mir dieses Grundsatz ... – also Grundsatzprogramm hieß das auf der Website –, das habe ich mir deswegen noch mal angeschaut, wie christlich ist die CDU eigentlich? Und ich muss sagen, ich fand es schon ganz sympathisch. Also es ist so, sie sagen, ja, wir speisen uns aus christlichen Idealen und aus der Aufklärung und wir haben gelernt, aus den Ereignissen des 20. Jahrhunderts. Mit diesem Gepäck – also im positiven Sinne, ja –, mit dem im Hintergrund gehen wir jetzt sozusagen auf die Politik zu. Das ist jetzt nicht missionarisch christlich, das heißt auch nicht, wir wollen ein christliches Deutschland gestalten, sondern wir wollen mit unseren christlichen Idealen wollen wir Verantwortung übernehmen und so.

Das kann man ja, also das ist doch völlig legitim. Und ich könnte das, also wenn ich konservativer ansonsten gestrickt wäre, könnte ich das irgendwie auch tragen. Ich finde, das beißt sich überhaupt nicht mit dem muslimischen Glauben. Ob dann die einzelnen CDU-Parteimitglieder und vor allem die Vorsitzenden, ob die das dann nicht doch ein bisschen expliziter christlich verstehen, ist eine andere Frage, aber eigentlich so vom Credo der CDU her, finde ich, ist das okay.

Müller: Ich habe das eben einen Coup genannt, diese Berufung, die Ministerpräsident Wulff da tat mit Frau Özkan. Man könnte nun ein wenig spekulieren, dass man sich eine Exotin da ins Kabinett holen wollte, um sich zu schmücken ein wenig, um eben auch diese Offenheit zu dokumentieren und manifestieren, aber, ja dann soll diese Exotin sich aber doch offensichtlich doch sehr einfügen, die Migrantin, die eben dann keine eigenen Gedanken zu haben hat. Also hat Wulff dann vielleicht nicht verstanden, dass wir uns auch verändern in dem Moment, wo wir die Menschen integrieren wollen, wo die Migranten plötzlich dann eine Rolle spielen?

Sezgin: Also ich kann diesen Gedanken verstehen, den Sie da äußern, und ich teile den auch. Ich glaube, das stimmt für die CDU insgesamt vielleicht, aber – vielleicht auch für die SPD übrigens –, aber jetzt auf den Fall, finde ich, passt es nicht, weil ich finde, Frau Özkan hat einfach nicht aus einer muslimischen oder nicht mal aus einer spezifisch migrantischen Perspektive argumentiert, ja. Na ja, gut, vielleicht so einer türkischen, weil man einfach laizistischer ist in so manchen Kreisen, aber eigentlich hat sie einfach ein bestimmtes Argument zu Ende gedacht. Also eben dieses Argument, dass staatliche Neutralität eben auch ja staatliche Neutralität für alle und gegenüber allen heißen müsste.

Dieser Gedanke ist eigentlich kein spezifisch muslimischer, und der hat trotzdem nicht so richtig seinen Platz in der jetzigen CDU-Linie. Deswegen, finde ich, ist es da gar kein spezifisches Migrantenthema, ja, also da gibt es tatsächlich auch noch andere Themen, die ... Wenn sie die aufgreifen würde als Sozialministerin, wenn sie, oder wenn sie für mehr Rechte sagen wir mal von Eingewanderten oder für das Ausländerwahlrecht anfangen würde zu streiten, das wäre dann vielleicht was anderes. Obwohl, auch dafür kann man als Deutsch-Deutscher sein, das sind ja auch allgemein demokratische Überlegungen.

Müller: Über den Streit um Deutschlands erste türkischstämmige Landesministerin Aygül Özkan spreche ich im Deutschlandradio Kultur mit der Journalistin und Autorin Hilal Sezgin. Kommen wir noch mal zum Kreuz selbst. Es gibt ja zwei ganz wichtige Grundsatzurteile – 1995 vom Bundesverfassungsgericht und im vergangenen Jahr vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte –, dass die Kreuze in staatlichen Schulen nichts zu suchen haben, trotzdem sind die immer noch da. Wie bewerten Sie das?

Sezgin: Hm, also ich habe keine Kinder, ich bin sozusagen in keinem praktischen Konflikt, dass meine Kinder jetzt unter dem Kreuz sitzen würden, und ich denke, das würden die auch überleben. Ja, es ist einfach ein klarer Verstoß, und ich denke, es ist, es entspricht so ein bisschen auf religiöser Ebene, also es ist so eine Art Lobbyismus einfach. Also was einfach mal da ist und wo eine Gruppe ihre Interessen einfach durchgesetzt hat, kriegt man die jetzt mit reinen Argumenten da nicht unbedingt wieder weg, also da muss man einfach ein bisschen Druck hinter setzen.

Und ob es das wert ist, also ich meine, richten diese Kreuze jetzt wirklich so viel Schaden an, das weiß ich nicht, ob man deswegen jetzt ein Riesenfass aufmachen muss. Aber es ist ein klarer Verstoß, ja, es ist ein Verstoß aus Gewohnheit, und diese Gewohnheit möchte man nicht aufgeben.

Müller: Es gibt ja inzwischen auch Stimmen, die sagen, na ja, das ist gar nicht mehr mal so eine Sache für eine Religion, für die christliche Religion, sondern das stehe für unsere Tradition und unsere Kultur, die eben, ja, judäisch-christlich geprägt ist.

Sezgin: Ja, also in so einem ganz weichen Kulturbegriff steht natürlich irgendwie alles für Kultur. Also dieses Argument, das jetzt neu aufgekommen ist, finde ich irgendwie geradezu absurd. Also ich habe übrigens Abitur an einer christlichen Schule gemacht, katholische Religion war mein Hauptprüfungsfach, und ich finde wirklich, also wer nicht versteht, dass das Kreuz ein ganz elementares grundsätzliches christliches Symbol ist, und wer nicht versteht, dass die Christologie in den Kern des Christentums gehört, der hat irgendwas über das Christentum nicht richtig verstanden. Natürlich ist das Kreuz ein religiöses Symbol, das macht es nicht schlecht, aber das ist auch nicht neutral, kulturell neutral.

Müller: David McAllister, der CDU-Fraktionsvorsitzende in Niedersachsen, sagt ja, Kreuze seien an niedersächsischen Schulen erwünscht. Zitat: "Das Kreuz ist aus Sicht der CDU ein Symbol der Toleranz auch gegenüber anderen Religionen." Was halten Sie von dieser Interpretation?

Sezgin: Also das finde ich putzig, also darüber könnte ich geradezu grinsen. Also gut, natürlich, jede Religion hat in ihrem Kern, in ihrem ethischen Kern eine Öffnung für alle und hoffentlich eine Güte und Toleranz auch für alle, klar. Aber wenn man jetzt sagt, das Kreuz ist ein Symbol für Toleranz, dann kann man das nur an die eigenen Leute richten. Ich gebe Ihnen mal ein umgekehrtes Beispiel: Ich kann sagen, hier der Koran steht auch für Toleranz. Das kann ich an meine Mitbrüder und -schwestern reden und so können wir das verstehen, ich kann aber doch nicht auf einen anderen zugehen und sagen: Hier, leg dir mal den Koran auf den Nachttisch, der steht doch für Toleranz. Also verstehen Sie, da muss man unterscheiden zwischen Außen- und Innenperspektive. An alle gerichtet ist natürlich das Kreuz ein spezifisches Symbol und steht jetzt nicht erst mal für Toleranz, sondern für bestimmte Inhalte. Auch nicht für Intoleranz, ja, aber eben für religiöse Inhalte.

Müller: Über den Streit um Deutschlands erste türkischstämmige Landesministerin Aygül Özkan sprach ich mit der Journalistin und Autorin Hilal Sezgin. Von ihr ist übrigens soeben bei DuMont der Roman "Mihriban pfeift auf Gott" erschienen. Vielen Dank!
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