Nationale Klischees

Von Sabine Korsukéwitz · 31.05.2006
Europa wächst zusammen - dennoch sind die Bilder, die wir von unseren Nachbarn haben, oft von Stereotypen geprägt. Paradoxerweise entstanden viele dieser Vorurteile in der Zeit der Aufklärung und haben sich bis heute gehalten. Nur durch Begegnungen, durch gemeinsame Erfahrungen und Erlebnisse lösen sich diese Bilder langsam auf.
Lipowicz: "Ach, Sie sind eine polnische Botschafterin? Ich hatte eine polnische Putzfrau – sie war eigentlich ganz sauber."

Kowalski: "Das ist ja mal wieder typisch, deutscher Michel! Ein gebildeter und ordentlicher Pole muss euch wohl ins Erstaunen versetzen."

Michel: "Komm, Kowalski! Ihr habt doch auch so eure Klischees von uns Deutschen: Militärmusik und Arroganz."

Marianne: "Meine ‚erren, meine ‚erren, ich bitte Sie! So kommen wir doch nischt weiter! Immer rechauffer diese alten Kamellen..."

Michel: "Aber liebste Marianne! Zwischen Deutschland und Frankreich ist ja längst alles in Butter. Nur mit diesen Polen gibt es immer wieder Schwierigkeiten!"

Kowalski: "Und mit diesen Deutschen!"

Mit dem heutigen Datum endet offiziell das Deutsch-Polnische Jahr, ein Jahr, ausgerufen von den jeweiligen Außenministern, in dem zahlreiche Kultur- und gesellschaftliche Veranstaltungen helfen sollten, wie es hieß "die deutsch-polnische Freundschaft mit Leben zu erfüllen". Wie nötig das ist, zeigen die immer noch sehr präsenten, giftigen nationalen Stereotypen. Dabei sind nationale Klischeevorstellungen nicht einmal grundsätzlich negativ.

Paul: "Es ist eine Fremdheitsvorstellung. Sagen wir: Jemand war schon in Frankreich. Ein anderer war es noch nicht und fragt: Wie ist es denn gewesen. Und dann sagt der Beobachtende nicht: Ich habe Mr. Hulot getroffen, und der war folgendermaßen, sondern der sagt: Die Franzosen, denen ich begegnet bin, essen gerne, trinken gerne, sind ein fröhliches Völkchen, benehmen sich so oder so. Das ist eine persönliche und subjektive Begegnung, die ins Verallgemeinernde gewendet wird. Das ist der Schlüssel zu allem, was Stereotyp oder verallgemeinernd ist, eben ein Makro in unserem Gehirn."

Die Wissenschaftlerin Dr. Ina-Ulrike Paul forscht für die Gerda-Henkel-Stiftung über Herkunft und Funktion von nationalen Stereotypen.

Paul: "Alle Kreter lügen sagt ja Paulus. Die Kreter sind Lügner und faule Bäuche, das ist so alt wie die Menschheit selber."

Das, was für berichtenswert gehalten wird, wirft auch ein Licht auf den Berichtenden:

Michel: "Die Germanen, sagt Tacitus, 'gehen... in Waffen an ihre Geschäfte und nicht minder oft zu Gelagen. Tag und Nacht durchzuzechen ist für niemanden eine Schande. Streitigkeiten sind häufig (es handelt sich ja um Betrunkene); sie enden selten mit bloßen Schimpfreden, öfters mit Totschlag und Blutvergießen. – damit stellt er unsere Vorfahren zwar als Barbaren dar, aber als gefährliche Barbaren."

Marianne: "Will sagen: Es war gut, diese Wilden zu zivilisieren!"

Michel: "Aber die Römer mussten sich vor uns auch vorsehen. Wir waren gefährlich!"

Die frühesten Klischeevorstellungen von Gruppen oder Völkern knüpfen nahtlos an die Säftelehre der Antike, oder die so genannten "Charaktere". So wurden den vier Körpersäften Blut, Phlegma, schwarze und gelbe Galle bestimmte Temperamente zugeordnet. Je nach Klima sollten bestimmte Säfte und daraus folgend bestimmte Charaktereigenschaften überwiegen: heißblütige in warmen Regionen, phlegmatische in kalten und so weiter...

Paul: "Wir kennen das heute noch: Die Sanguiniker, die Lebhaften, die Phlegmatiker, die Langsamen, die Melancholiker, die eher Betrübten - jedenfalls diese Einteilung von Charaktertypen gilt ja nun im weitesten Sinne für alle Menschen. In späterer Zeit werden die verbunden mit (– zum Beispiel -) Deutschen und es gibt eine Regieanweisung sogar aus der Zeit des Humanismus, in der gesagt wird: Wenn du einen Franzosen auf die Bühne stellst, sollte er fröhlich und leicht sein, sollte er von Heiterkeit und Eifersucht geprägt sein, wenn du einen Spanier auf die Bühne stellst, sollte er gravitätisch sein und ernst, wenn du eine Engländerin auf die Bühne stellst, sollte sie frei und majestätisch sein- es ist wie eine Regieanweisung der Wahrnehmung und es antizipiert die Erwartungen der Zuseher, der Leser zunächst mal. Nationalcharaktere sind restlos fiktiv. Die ziehen einem Charaktertypus einen nationalen Mantel an. Aber sie sind glaubhaft - und das ist das, wo wir immer sagen: da ist ja doch was dran - ganz einfach: Weil ein Charaktertypus, den wir kennen, dahinter steht."

Marianne: "Deutsche Männer sind langweilig."

Michel: "Na hör mal, Marianne!"

Kowalski: "Italiener sind heißblütig – angeblich."

Michel: "Spanier sind stolz. Das ist doch blöd, oder?"

Marianne: "Car même – irgendwie muss man sich doch orientieren!"

In Zeiten, als nur sehr wenige Menschen reisten, schrieb einer immer vom anderen ab....

Paul: "Die allerersten Nationalstereotypen kann man finden in humanistischen Thesauri, das sind Listen von Begriffen, wie denn jemand sei, wie in der Literatur die Germanen oder die Angli, die Engländer oder die Galli, die Franzosen beschrieben werden, was in der Literatur üblich ist, ihnen als Eigenschaften beizusetzen. Und dann kann man sehr schön sehen, dass mit der Wiederentdeckung von Tacitus, die Deutschen eine neue Art von Beschreibung finden, nämlich die, die Tacitus ihnen gegeben hat. So etwa 1450 wird Tacitus wieder entdeckt, ab 1500 lässt es sich aber auch kein einziger Humanist zwischen Piccolomini und Willibald Türckheimer nehmen, zu sagen, die Deutschen - also die Germani - seien doch nun so und so, und man hört immerzu im Hintergrund Tacitus lachen."

Bis dato sind solche Geo-Stereotypen nichts weiter als Stammtischgerede der Gelehrten untereinander. Mit der Zeit wurde nur die Zahl der Mitplaudernden größer.

Paul: "Im Zeitalter der Aufklärung, die bald den Anspruch an sich stellt, weiterzugeben, was in der Welt der Wissenschaften Neues entdeckt wird, allen weiterzugeben, niemandem vorzuenthalten, zu popularisieren, da erst verbreiten sich solche Dinge erheblich breiter als vorher, von den Gelehrten hin zu den Gebildeten, von den Gebildeten zu den Ausgebildeten, die dann Bauern sind, deren Kinder auch in die Schule geschickt werden sollen."

Wurden die Enzyklopädien im 17. Jahrhundert noch auf Latein geschrieben, so werden sie etwa ab dem 18. Jahrhundert in Nationalsprachen verfasst und richten sich an eine breite Käuferschicht:

Paul: "Wenn jemand auf eine bestimmte Käuferschicht oder Leserschicht spekuliert, antwortet er im Vorhinein auf dessen Interessen. Das heißt, man antizipiert, was der wohl wird lesen wollen. Man will ihn unterhalten und belehren gleichermaßen und das ist das Besondere an diesem Medium und da eben spielen die nationalen Stereotypen als etwas Spezifisches und auch Komik transportierendes eine ganz besondere Rolle. Über Spanien ist diese Stereotype en vogue: So dieser spanische Hochmut, dass da sogar noch der letzte Bettler mit 'Herr' angesprochen werden will, dass man ihm das Geld nicht anders geben dürfe als mit einer höflichen Floskel, das sei doch was Besonderes und das hat einen deutschen Leser interessiert und amüsiert."

Und jetzt geht das verallgemeinern so richtig los:

Michel: "Baseler Lexikon von 1747: 'Von den Frantzosen urtheilet man, dass sie wohl von guten Manieren,... aber etwas zu hitzig und unbeständig seyn.'"

Marianne: "Jedenfalls nicht langweilig! Hier steht auch etwas über die Deutschen: 'Die Teutschen sind verständig und arbeitsam, werden aber insgemein der trunckenheit beschuldigt!'"

Michel: "Das stimmt aber nicht! Wir trinken nicht – die Polen tun es!
Da: Im 'Curieusen Antiquarius', Hamburg, 1712, steht’s: 'Polen sind der Liebe und dem Truncke wie auch dem Zancke fast durchgehends ergeben.'"

Kowalski: "Gar nicht wahr! Wir trinken schon lange nicht mehr soviel. Aber die Russen!"

Die Wissenschaftlerin Ina-Ulrike Paul nennt so etwas "Wandertopoi" – Themen und Zuordnungen, die tatsächlich im Laufe der Zeit quer durch Europa gewandert sind und zwar immer von Westen nach Osten beziehungsweise Süden nach Norden, meist entsprechend dem Verlauf der Aufklärung:

Paul: "Man kann sagen, dass die Aufklärung in Westeuropa entsteht, in Frankreich, in England und Schottland weitergeht über Italien, Deutschland, nach Polen, weiter nach Osten. Es ist genauso wie die Bewegung, die auch die Enzyklopädistik fasst, große nationalsprachliche Enzyklopädien entstehen am Ende des 17. Jahrhunderts in Frankreich als erstes, die nächsten in Italien und England, fast gleichzeitig Deutschland, es dauert eine lange Weile, bis ans Ende des Jahrhunderts, bis ein Versuch einer nationalen Enzyklopädie unternommen wird in Russland, vorher aber, das ganze Jahrhundert schon, ist die Aufklärung ein Licht aus Westen gewesen, was nach Osten weiter strahlt, das ist auch eine Sache gewesen, die eine kulturelle Über- oder Unterlegenheit bei den 'avant la lettre-Nationen' hervorgerufen hat."

Marianne: "Deshalb bewundert ihr Deutschen uns, die große französische Kulturnation, und auf Euch, Kowalski..."

Kowalski: "... da glaubt ihr herabblicken zu können, weil das Licht der Aufklärung früher auf Euch geschienen hätte, als auf uns."

Dieses "wir" und "ihr", wann fing das eigentlich an?

Paul: "Das hat eine neue und politisierte Aufladung in dem Moment gefunden, in dem das Konzept 'Nation' sich verändert hat. Wir wissen heute, dass die französische Revolution ein Wendepunkt gewesen ist, diesen nationalen Gedanken durchzusetzen, ein Volk, das jetzt nicht mehr mit Söldnerheeren über die Grenzen geht, sondern so wie Frankreich es tat, alle jungen Männer ziehen mit der Marseillaise auf der Lippe über die Grenzen und wollen auf den Spitzen ihrer Bajonette Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit in die Welt tragen, das ist ein ganz anderes Konzept von einer Mission, als man das vorher kannte, einer nationalen und politischen Mission. Die dann im französischen Empire untergeordneten und später sich befreienden Völker haben zum ersten Mal sich als Nationen gefühlt, und konstituiert.

Die ganzen nationalen Bestrebungen, die wir kennen, haben sich dort festgemacht und da wird dann das Konzept virulent. Da weiß man dann plötzlich, dass die französische Mode abzulehnen sei, und man deutsche Tracht tragen soll, und wie man sich abgrenzt, von denen, die als zunächst 'Befreier' und als man enttäuscht es genauer betrachtet 'Bedrücker' kommen. Die Freiheitskriege schaffen eine neue Sicht der eigenen Nation, die sich weiter entwickelt über das 19. Jahrhundert bis hin zum überhitzten Nationalismus und auch daraus folgend Imperialismus hin, bis in den Weltkrieg hinein."

Und so wurde aus dem amüsanten, kuriosen Anderen das feindliche Andere.

Während die nationalen Klischees zwischen Deutschland und Frankreich inzwischen auf eine eher gutmütige Utzerei hinauslaufen, existiert andererseits zwischen Polen und Deutschland noch eine große Empfindlichkeit. Warum das so sein muss, sagt Irena Lipowicz, polnische Botschafterin und Sonderbeauftragte für deutsch-polnische Beziehungen:

Lipowicz: "In Frankreich gab es ein Dorf, wo man die Bevölkerung ermordet hat, in Polen gab es 480 solcher Dörfer, wo man die Bevölkerung komplett ermordet hat; auf einem Friedhof in Warschau liegt mehr zivil ermordete Bevölkerung als in Dresden unter Bomben umgekommen sind. Und Deutschland hat auch nicht Paris nach dem persönlichen Befehl von Hitler ausgelöscht und Stein ist nicht auf Stein geblieben. Also würden die Deutschen mit Paris so etwas tun und würden sie zwei Millionen Franzosen, Zivilbevölkerung, ermorden, es würde, glaube ich, viel länger dauern, es ist einfach nicht vergleichbar."

Aber sie sagt auch versöhnlich:

Lipowicz: "Ich glaube, wenn man die ganze Schrecklichkeit des Zweiten Weltkrieges auf polnischem Territorium betrachtet, dann haben wir zehn mal mehr erreicht. Also, wenn man diese Abgründe betrachte, die wir hatten, noch vor fünfzig Jahren, dann muss ich sagen: Wir schätzen das immer noch nicht genug. Die Polen waren in schlimmen Zeiten zum Beispiel nach Nordirland eingeladen, um zu erzählen, wie es möglich war, dass die Deutschen und Polen sich versöhnt haben, weil das zwischen Großbritannien und Nordirland noch nicht möglich war. Also ich bin auch oft von chinesischen und koreanischen Botschaftern gefragt (worden): Wie ist diese Wunder der Versöhnung passiert?"

Kowalski: "Weißt du Michel, wir Polen bewundern euch Deutsche eigentlich, aber wir sind natürlich auch verletzt, weil ihr euch so viel weniger für uns interessiert, als umgekehrt."

Michel: "na ja... das hat wohl etwas mit schlechtem Gewissen zu tun."

Psychologen kennen das Phänomen, dass Täter ihre Opfer hassen, hassen müssen, um vor sich selbst bestehen zu können. Ein wenig davon mag in den hartnäckigen deutschen Ressentiments gegen die "unordentlichen, unfähigen Polen" stecken. Begonnen hat es damit, dass Preußen sich von Polen eine ordentliche Scheibe abschneiden wollte:

Lipowicz: "Also ich denke bei Bismarck im Kulturkampf hat man ganz bewusst die polnischen Stereotypen, zum Beispiel dieser Begriff 'polnische Wirtschaft' ist ganz bewusst als Kampfbegriff in der Propaganda in Preußen angewendet. Aggressive Stereotypen entstehen dort, wo man versteckte Schuldgefühle (hat). Da sind die Teilungen Polens. Damals war das ein unglaublich aggressiver Akt, dass ein Staat, der 1000 Jahre existierte von drei Nachbarstaaten ausgelöscht wird. Die Maria Theresia hat panische Angst gehabt, sie hat sogar in diesem Akt geschrieben, dass sie es tut, weil die Berater meinen, es ist gut für Österreich, aber möge der liebe Gott das verzeihen und möge sie und ihre Kinder dafür nicht bestrafen. Damals, als die Menschen in der Politik noch sehr in moralischen Kategorien dachten, war das ein Gefühl: es ist etwas Schreckliches. Um das vor sich selbst und Europa zu begründen, brauchte man eine PR-Arbeit. Und dann Polen ganz schrecklich zu machen als anarchistische, als faule, schmutzige und so weiter Menschen und man musste sie einfach in Obhut nehmen."

Kowalski: "Friedrich der Große hat uns Polen als 'grausam' bezeichnet und als das niedrigste Volk Europas. Und jeder Pole kann den Bismarck-Brief zitieren, in dem..."

Marianne: "Schut!- liebe Nachbarn. Nordöstlich des Rheins beginnt ohne’in Sibirien..."

Aber diese Dinge sitzen noch in den Köpfen fest, selbst, wenn man sie in eine kleine, hässliche Ecke, weit nach hinten verbannt. Warum sind sie so hartnäckig? Prof. Robert Picht ist Vize-Rektor des Europa Colleges in Natolin bei Warschau, wo Elitestudenten europa-fit gemacht werden sollen.

Picht: "Zunächst mal sind Stereotypen einfach standardisierte Denkmuster. Wenn ich sage: Alle Deutschen sind hinterhältig und böse, dann wird man sagen: Der hat furchtbare Vorurteile, weil er mich negativ beurteilt. Wenn jetzt einer kommt und sagt: Alle Deutschen sind sympathisch, weltoffen und intelligent, dann sage ich: Oh, wunderbar, endlich hat einer uns Deutsche verstanden. Das logische Muster ist genau das gleiche. Das heißt nämlich 'alle Deutschen sind'. Und Stereotypen sind dann auch nicht nur so einfache Sätze, sondern Stereotypen sind ganze Ketten von Bildern, von Assoziationen, von Vorstellungen, die auftauchen, wenn das Wort deutsch oder polnisch oder französisch fällt. Sie müssen einfach abrufen in ihrem Kopf, was Ihnen einfällt, wenn ich dieses Wort sage, und dann haben Sie einen Bilderbogen und dieser Bilderbogen sind die Stereotypen. Und dieser Bilderbogen kann ein freundlicher und kann ein schrecklicher Bilderbogen sein. Welche Bilder in dem Bilderbogen sind, kann ein Produkt von dem sein, von dem, was in der Geschichte am meisten beeindruckt hat, aber auch das Produkt, wie Geschichte und Bilder und Märchen und Filme umgesetzt werden, zum Teil ganz bewusst durch Propaganda, durch Literatur, durch Kunst.

Je neugieriger Leute sind, je mehr sie sich informieren, desto reicher wird ihr Bilderbogen und desto differenzierter werden ihre Interpretationsmuster und ihre Urteile.

Wenn ich meine eigene Wahrnehmung des polnischen Umfelds betrachte, dann ist das weiterhin stereotypengeleitet, nur verändern sich die Stereotypen und füllt sich das immer mehr mit Erfahrung. Aber sich vorzustellen, das könnte man abbauen, wenn also jemand kommt und sagt: Jetzt machen wir ein Programm und bauen die Vorurteile zwischen Deutschen und Polen ab, viel Vergnügen! Das geht nicht. Das entspricht nicht der menschlichen Natur."

Die Organisatoren des deutsch-polnischen Jahres haben nicht auf repräsentative Großereignisse gesetzt, sondern auf tausende von niederschwelligen Begegnungen. So haben Jugendliche eines Berliner und eines Krakauer Kiez-Theaters zusammen ein Theaterstück eingeübt: Bilder – Obrazy, in dem praktischerweise wenig gesprochen, dafür internationale Gemälde in lebende Bilder umgesetzt wurden. Die Arbeitssprache war englisch.
Die jungen Deutschen hatten keine wirklichen Vorurteile...

Zapp: "Ich hatte irgendwie vorher gar kein Bild von Polen. Ich wusste einfach nur, dass Polen ein schönes Land ist, von Erzählungen her, weil meine Oma oft in Polen war, aber von den Leuten her wusste ich gar nichts eigentlich."

Rene: "Ich hatte auch keine großartigen Vorurteile."

Dennoch versuchten auch Paul, Rene und Xenia das Fremde durch Vergleich mit dem Eigenen, also über die Andersartigkeit zu erfassen:

Zapp: "Bei den Polen war das schon so, dass die eher religiösere Bilder hatten. Vier oder fünf Bilder von denen waren mit Mönchen und religiösem Inhalt und das – finde ich – war halt auch gerade mal wieder so ein Stereotyp, dass die Polen halt ziemlich an ihrer Religion hängen und das hat sich da schon bemerkbar gemacht."

Rene: "Im Vergleich zu unserem Regisseur war der polnische Regisseur eher unflexibel."

Zapp: "Die haben nicht so konzentriert gearbeitet, wir haben eher so in den Arbeitsstunden konstruktiv gearbeitet und in unseren Pausen haben wir dann unseren Quatsch gemacht eben und die waren halt immer sehr – ja, die musste man immer wieder ermutige, kommt, jetzt macht mal bitte mit, wir wollen das Stück in zehn Tagen auf die Beine stellen und das wird etwas schwierig."

Xenia: "Die Polen singen viel mehr als wir. Wir Deutschen singen gar nicht, Egal wo ich bin: Ob ich jetzt in Italien bin, in Griechenland oder wie ich jetzt die Polen erlebt habe: Immer trällern die Leute. So abends, wenn irgendein Thema aufkommt, dann gibt’s immer ein Lied, aber hier bei uns Deutschen nicht. Wir singen eigentlich nie."

Und dann kommt man schnell auf einen wesentlichen Punkt, das unterschiedliche Verhältnis zur eigenen Nationalität...

Rene: "Es ist vielleicht so, dass die polnische Jugend im Gegensatz zu der deutschen Jugend mehr von ihren inlandskulturellen Sachen weiß, also dass sie da nicht in dem Sinne konservativ, aber vielleicht... aufgeklärter über deren Kultur und deren Geschichte sind."

Zapp: "Deren Kultur ist denen auch, glaub ich, viel wichtiger. Weil, die hatten ja auch 200 Jahre (?) hatten die gar kein Land. Ich glaub’ denen ist das viel wichtiger irgendwie die Religion und die Kultur, das ist das, was die zusammenbindet ..."

Xenia: "... das liegt einfach daran, dass wir zwei Weltkriege angefangen haben. Wir haben zwei große Weltkriege angefangen und spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg, der einfach verheerend war, und das deutsche Volk einfach mal total viel Scheiße gebaut hat, da konnte man ja nicht mehr stolz sagen: ich bin ein Deutscher."

Deutsche möchten gern einen Deckel auf die Geschichte legen und Polen graben darin. Und so bleibt das Verhältnis eben ein wenig prekär, auch wenn die Jugendlichen alle in Zukunft gern mehr Kontakt mit Polen hätten. Einen "Bilderbogen" zu verändern braucht viel Zeit.

Zapp: "Ich hatte mal im Geschichtsunterricht aus irgend’ner Zeitung, da hatten wir ein Foto: 1918, da war ein Bild von der deutschen Wirtschaft und ein anderes Bild von der polnischen Wirtschaft und in der polnischen Wirtschaft ging's drunter und drüber, und da waren die Tische alle umgekippt und die hatten alle ihre Wodkapulle auf dem Tisch und auf jeden Fall alle diese kleinen Gläser und die Deutschen waren mit der Familie um den Tisch und haben gemütliches Abendessen geführt.
Also es ist ja schon hängen geblieben irgendwie diese beiden Bilder."

Aus dem Miroir Françoise-allemand von 1706:

Michel: "Die Franzosen sind höflich.
Die Teutschen sind gutwillig.
Die Spanier höhnisch,
Die Engelländer hochmütig."

Der englische Lexikograph Samuel Johnson hat den hübschen Spruch geprägt: "Lexika sind wie Uhren. Das schlechteste ist besser als keines und selbst vom Besten kann man nicht erwarten, dass es immer richtig ist."

So sind vielleicht stereotype Vorstellungen besser als keine – mit der Einschränkung, dass so eine Hülse sehr leicht mit dem einen oder anderen Inhalt gefüllt und als Waffe benutzt werden kann.
Die polnische Sonderbotschafterin Irena Lipowicz hat wenige Klischees und dafür zwiespältige Erfahrungen mitbekommen:

Lipowicz: "Meine Mutter war eine Historikerin Schlesiens und ein Mensch, der vor allem gegen alle Stereotypen lebte und auch arbeitete. In den schwierigen Zeiten in Schlesien versuchte sie in kleine Museum in Kleiwitz im Archiv auch diese multikulturelle Geschichte Schlesiens beizubehalten, und ihre beste Freundin war eine Deutsche. Andererseits war natürlich die Schule, wo für Kommunismus Abgrenzung von Deutschland und die Bestätigung aller schlechter Stereotypen eine wichtige Aufgabe war. Das war meine Mischung. Die war, glaube ich, typisch für diese Generation. Meine Mutter wollte, dass ich Deutsch lerne, aber weil mein Vater immer nachts Deutsch geschriene hatte - das waren Spuren von seinen Kriegs- und Besatzungserlebnissen, bis Lebensende hatte er nächtliche Panikattacken und da kamen meistens deutsche Worte noch vor - also Sie können sich vorstellen, was ich für eine Vorstellung von Deutschland aus diesen gemischten Kindererlebnissen hatte."

Die Fortschreibung negativer Stereotypen sieht Irena Lipowicz als eine fatale Mischung aus hier: schlechtem Gewissen – dort: Minderwertigkeitskomplexen...

Lipowicz: "Das ist mir in Deutschland passiert: 'Ach Sie sind eine polnische Botschafterin? Ich hatte eine polnische Putzfrau – sie war eigentlich ganz sauber.' Und in diesem Satz: sie war eigentlich ganz sauber und die erste Reflektion: ich hatte eine polnische Putzfrau, wenn man eine polnische Botschafterin trifft, das spricht doch Bände, nicht wahr? Und ich habe natürlich milde gelächelt und habe was Freundliches gesagt: 'Ich freue mich, dass sie so einen guten Ruf hatte und ich hoffe, Sie haben die Dame legal beschäftigt.' Und dann sagte sie: 'Ach wissen Sie, nicht so ganz. Wir haben nicht genug Geld, um alle diese Steuer dann zu bezahlen.' Wenn Sie meinen, solche Sachen rufen kein Gefühl (hervor) aus..."

Für die Botschafterin ist der beste Weg aus den Klischees der, sie zu umgehen:

Lipowicz: "Ich habe mich so gefreut, als Polen als Antwort auf die französische Angst vor dem polnischen Klempner eine große Werbeaktion startete, wo ein umwerfend gut aussehender polnischer Klempner nach Polen eingeladen hat und – sehen Sie: Wir haben als Antwort nicht einen Künstler oder einen Komponist oder einen Professor gewählt, um zu zeigen: Nein, nein, die Polen sind doch auch Künstler, oder... nein. Wir haben doch Kopernicus und Penderecki und Scipiorski und so was - natürlich haben wir, aber wir sind schon weit genug, genauso stolz zu sein, dass wir polnische Krankenschwestern haben, die absolute Spitze in ganzem Europa sind …"

Ach, die dummen, unzeitgemäßen Klischees! Und doch braucht man sie zur Grundorientierung...

Paul: "Man kann das beschreiben mit einem dunklen Zimmer, in dem wir uns bewegen, ohne jeden Kontakt mit dem Möbeln, die da drin stehen, denn wir kennen sie von Kindesbeinen an, wir müssen nichts sehen können, um zu wissen, dass hier die Couch steht, da der Tisch und da der Stuhl. Wenn wir in ein fremdes nationales Zimmer gelassen werden, bei gleichen Bedingungen, es ist auch dunkel, stoßen wir überall an. Wir wissen nicht, wo die Möbel stehen, wir wissen nur, dass da welche stehen und wir machen es der Nation zum Vorwurf, dass wir uns hier und da stoßen, als hätten sie die Möbel extra dahin gestellt, und die Mitglieder der anderen Nation sagen: Das hättest du erkennen müssen, dass sie da stehen, wir stoßen uns nie daran! Das ist deine Schuld, dass du dich stößt."

Die fremden Zimmer existieren, auch wenn mancher das - durchaus gutwillig - leugnen möchte. Prof. Robert Picht vom Europa College in Natolin hat seine internationalen Studenten dabei beobachtet:

Picht: "Also diese jungen Leute, die große Anstrengungen machen, um Europa zu studieren, sagen Ihnen am Anfang: Dieses mit den nationalen Stereotypen, das sind alles alte Hüte, das ist die frühere Generation, wir sind jung, wir sind Europäer. Für uns spielt das keine Rolle."

Im Zusammenleben unter mehr oder weniger Stress werden dann nationale Unterschiede deutlich....

Picht: "Ich zitier Ihnen eine portugiesische Studentin, die hat gesagt: Ja, erst das Europa College hat mich überhaupt verstehen lassen, was es heißt, Portugiese zu sein, durch meine portugiesische Familie, durch meine portugiesische Geschichte geprägt zu sein, aber jetzt fähig zu sein in diesem europäischen Beieinander mein portugiesisches Erbe und voll einzubringen."

"Nur durch erlebte Gemeinsamkeit kommt man aus der Gespensterwelt der nicht erfahrungsbezogenen Stereotypen - nicht heraus, aber man kommt über sie hinweg."