"Nathan der Weise" am Deutschen Theater

Regisseur Kriegenburg setzt den Ober-Christ aufs Klo

Szene aus "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing unter der Regie von Andreas Kriegenburg am Deutschen Theater Berlin.
Szene aus "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing unter der Regie von Andreas Kriegenburg am Deutschen Theater Berlin. © picture alliance / ZB / Claudia Esch-Kenkel
Von Michael Laages · 30.08.2015
Lessings "Nathan der Weise" ist ein Plädoyer für religiöse Toleranz. Andreas Kriegenburg stürzt sich am Deutschen Theater Berlin allerdings nicht ins aufklärerische Pathos, sondern zielt auf Lessings gelassene Ironie - und schafft eine märchenhafte Leichtigkeit.
Nichts lag ja näher als das: dem Wiederausbruch deutscher wie europäischer Barbarei, in Heidenau und sonstwo, gerade dieses schöne utopische Märchen entgegen zu halten: Das Märchen von der ununterscheidbaren Gleichheit aller Rassen und Religionen, aller Hautfarben und Geschlechter. Doch Spielpläne im Theater brauchen ja längeren Atem, und Aktualität ist meistens Zufall.
Und so muss sich das mitreißende Aufklärer-Pathos in Lessings unzerstörbarer Fabel "Nathan der Weise" durchaus auch durchsetzen gegen eine sehr grundsätzliche Idee, die vorderhand woanders hin will. Das macht aber nichts. Lessings Klugheit wirkt in jeder Verpackung, und die Saisoneröffnung am Deutschen Theater in Berlin fügt der vielschichtigen Aufführungsgeschichte dieses Klassikers eine Facette hinzu, wie sie derart fulminant und furios womöglich noch nie zu sehen war.
Lessings "Nathan" nämlich ist ja auch komisch. Neben all dem Leiden, all den Schmerzen zwischen Juden, Christen und Muslimen, wie Lessing sie ins märchenhafte Jerusalem der Kreuzzugszeiten bannt, durchzieht das dramatische Gedicht ja auch ein Maß an entspannt-gelassener Ironie. Und wenn gegen Ende ein Deus nach dem anderen "ex machina" gezaubert wird, bis zu dem wirklich herrlich zufällig aufgefundenen Notizbuch, dessen Genealogie schlussendlich ganz handfest beweist, dass alle irgendwie Brüder und Schwestern sind, verflüchtigt sich im Nu selbst das aufklärerische Pathos der ebenfalls ganz märchenhaften Parabel. Die erzählt ja vom glücksstiftenden Ring, der allen Religionen gleich hell leuchtet, und gleich falsch für den, der sich des Ringes als nicht würdig erweist.
Andreas Kriegenburg stellt das Märchen in eine Zeit vor aller Zeit. Ein bühnenhoher Bretterholzblock definiert Harald Thors Bühne, und die Assoziation zum Beginn von Stanley Kubricks legendärem Film "2001 – Odyssee im Weltraum" ist gewollt. Darin umtanzten ja haarige Affen einen Stein aus Granit, aus dem ihnen schließlich das Wissen um Macht und Gewalt, Mord und Totschlag erwuchs.
Kriegenburg verweigert jedes Klischee
Hier sind es unbeholfen um den Block herum wackelnde Wesen ganz mit Schlamm geschminkt: Erdmännchen aus irgendeiner Vorzeit. Sie watscheln einher wie die Urväter der Klamotte: Charlie Chaplin, Buster Keatin, Harold Lloyd. Regisseur Kriegenburg liebt diese Ulk-Ästhetik. Mutig und munter stülpt er sie den sechs Figuren über, die einen Autor suchen für ihre Geschichte – Lessing eben. Die Rollen sind nur zu Teilen klar zugeschrieben, ein paar Schläfenlöckchen und der Hut machen Jörg Pose zum Juden, ein billiger Fez markiert Bernd Moss als Derwisch, ein zweiter macht ihn zum Sultan. Saladin heißt der bekanntlich – einmal wird er zum "Satan Sultanin". Eingriffe in Lessings Text sind aber eher selten. Kriegenburgs massiver Zugriff erfasst nicht ihn, nur die Ästhetik, die dafür umso fundamentaler.
Der Patriarch allerdings, Ober-Christ in Jerusalem, wird gar zum maßlos-fetten Monstrum, und das sitzt nicht auf dem Thron, sondern auf dem Klo. Als er im zweiten Teil immerzu den Juden verbrennen will, fällt ihm das goldene Hals-Kreuz in die Schüssel – und während er nun im eigenen christlichen Dreck gräbt, ist die antisemitische Barbarei fast zu überhören. Auch hier, und drastischer (auch riskanter) als sonst, verweigert Kriegenburg jedes Klischee. Und aller pädagogischen Belehrsamkeit misstraut er sowieso – wie wichtig die auch gerade wieder wäre im prä-barbarischen Europa.
Kaum je wurde die Fabel vom weisen Nathan derart leichthin und verspielt erzählt, kaum je setzte eine Inszenierung derart markant auf die märchenhafte Leichtigkeit, die sich auch Lessing angeeignet hatte: als Fantasie aus fremden Welten. Dieser Nathan ist zugleich ganz Lessing und auch ganz anders – und darum ist dies unbedingt ein starker Start fürs Deutsche Theater.
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