Natalie Prass im Berliner Privatclub

Lackmustest fürs Songwriting

Soul-Party in einem Magdeburger Club
Clubgänger bei einer Soul-Party © dpa / picture alliance / Andreas Lander
Elissa Hiersemann im Gespräch mit Nana Brink · 16.06.2015
Mit dem Privatclub in Berlin hat Natalie Prass ein intimes Setting für ihr erstes Deutschlandkonzert vor rund 200 Zuschauern gewählt. Ihre 25-köpfige Big Band hatte dort keinen Platz, erzählt Musikkritikerin Elissa Hiersemann, den Songs habe das aber keineswegs geschadet.
Nana Brink: Der kleine Ausschnitt aus dem Song "My Baby don’t understand me" von Natalie Prass hat schon erahnen lassen, dass sie von einer ziemlich großen Soul-Big-Band begleitet wird. Das ist heutzutage ja nicht mehr unbedingt Status Quo im Musikbusiness …
Elissa Hiersemann: Nein. Heutzutage sind die meisten Musiker eher ihre eigenen Hit-Maschinen. Beim derzeitigen Stand der Technik kann man problemlos vom Schlafzimmer aus Songs schreiben, einspielen, produzieren, mixen … also seine eigene 1-Mann oder -Frau-Band sein. Genau das wollte Natalie Prass nicht. Sie hat in Nashville gelebt, einer Stadt mit Musikgeschichte und jeder Menge Studios, und sie ist mit dieser Idee, ein Album mit einer großen Soul-Bigband aufzunehmen, eine Weile schwanger gegangen. Allen, denen sie das erzählt hat, haben sie nur ausgelacht – wie sie gestern Nachmittag in der "Tonart" hier auf Deutschlandradio Kultur erzählt hat. Es sei zu teuer, der Sound zu aus der Zeit gefallen. Irgendwie kam dann der Zufall ins Spiel; ein alter Freund von ihr namens Matthew E. White hat sich in Richmond/Virginia ein Musikstudio namens Spacebomb aufgebaut und was dieses Studio auszeichnet ist u.a. die ziemlich große Hausband, die dort beschäftigt wird.
Nana Brink: Das klingt nach alten Vorbildern aus den 60er- und 70er-Jahren. Da wurden doch auch viele Alben mit denselben Musikern in einer Hausband eingespielt. Ist das dieselbe Idee?
Elissa Hiersemann: Ich denke schon. Matthew E. White, der Mann hinter diesem Studio, will ganz bewusst einen Gang zurück schalten im Jahr 2015, wo stündlich ein neuer Trend durch‘s virtuelle Dorf gejagt. Er orientiert sich da lieber an Soullabels wie Stax aus Memphis, die mit Hilfe ihrer Hausband einen warmen weichen – im wahrsten Wortsinn seeligen Soul- Sound kreiert haben, der absolut zeitlos war. Ich habe mal durchgezählt, wie viele Musiker im Booklet des Debüts von Natalie Prass aufgelistet sind: insgesamt 25, allein die Bläsersektion sind 11 Leute. Es gibt jede Menge Streicher, ein Piano … Es ist ein ziemlich großes Ensemble. Es sind immer dieselben Leute, die in diesem Studio arbeiten und ganz unterschiedliche Alben mit unterschiedlichen Musikern aufnehmen.
Nana Brink: Wie war es gestern Abend im Privatclub in Berlin-Kreuzberg? Der Club ist ja ziemlich klein – ist Natalie Prass da auch mit einer Soul-Big Band angereist?
Elissa Hiersemann: Da hätte sie ein Problem gehabt. Die Bühne ist dort ziemlich klein, vielleicht drei mal vier Meter groß. Da hätte eine Big Band gar nicht drauf gepasst. Sie war nicht mit der Big Band unterwegs. Es gab keine Streicher, keine Bläser, kein Piano, was vor allem ein Kostenfaktor ist. Es ist irre teuer selbst mit einem kleineren Orchester zu touren. Das kann sie sich derzeit noch nicht leisten. Deshalb musste Natalie Prass kreativ sein und kam stattdessen mit einer Rockband angereist, zwei Gitarren, ein Schlagzeug und ein Bass.
Nana Brink: Hat das denn funktioniert, wenn das Album so auf von dem Klang der Big Band lebt?
Elissa Hiersemann: Ja, es hat unglaublich gut funktioniert und war sozusagen der Lackmustest für ihr Songwriting. So runtergebrochen auf Bass, Gitarre, Schlagzeug hört man viel eher, ob die Songs etwas taugen oder die Big Band auf dem Album vielleicht einige Schwachstellen verschleiert. Aber so war es mitnichten. Sie hat etwas über eine Stunde gespielt, von 22 bis 23:15Uhr, und es wurde zu keinem Zeitpunkt langweilig. Ganz im Gegenteil: wo das Album mit Big Band streckenweise auch sehr süßlich ist, war es live sehr druckvoll. Die Songs kamen viel maskuliner rüber. Das passte extrem gut zu ihrer doch sehr delikaten, manchmal fast fragilen hohen Stimme. Es war ein Abend voller Kontraste – im positiven Sinne: ruhig, laut, stürmisch, es groovte und der Beat rollte durch die 14 Songs.
Sie hat einige ganz neue Lieder gespielt und auch Coverversionen waren dabei, von Janet Jackson und den Supremes. Es war ein sehr abwechslungsreiches und kurzweiliges Rockkonzert mit sehr versierten Musikern. Überrascht war ich vom Publikum. Es gab ausnahmsweise mal keinen Hipster-Alarm, wie sonst so oft in Berlin. Es waren eher viele ältere Junggebliebene da. Die Altersspanne war zwischen 30 und 60, und die sangen bei manchen Songs laut mit. Das fand die Künstlerin selber so überraschend, dass sie lachen musste. Es war also auch noch ein heiterer Abend.