Narzisstische Spielchen

Von Natascha Pflaumbaum · 12.04.2013
Die Regisseurin Andrea Breth gibt mit einem Ibsen-Klassiker ihr Debüt am Schauspiel Frankfurt. Das Stück ist aktueller denn je. Der Bankier Borkman treibt mit einer riskanten Spekulation seine Bank in den Ruin. Ein genau ausgeleuchtetes Psychogramm einer Familie - ein gelungener Abend.
1896 schreibt Henrik Ibsen mit "John Gabriel Borkman" ein Stück über einen Bankkaufmann, der das Geld seiner Kunden mit unsoliden Geschäften verspielt, dafür ins Gefängnis kommt, um später in vollkommener Einsiedelei, isoliert von der eigenen Familie, sein Leben zu fristen. Die Scham treibt ihn nach der Haft in die Einsamkeit - so sieht es auf den ersten Blick jedenfalls aus.

Die Regisseurin Andreas Breth, die Ibsens Stück nun am Schauspiel Frankfurt auf die Bühne gebracht hat, deutet den scheinbar schamhaften Rückzug allerdings als komplettes Gegenteil: Die selbst gewählte Einsamkeit ist nichts anderes als das Beharren auf eine egozentrische, narzisstische Basis, in der kein Platz ist für andere Menschen, weil das "Mittelmaß der anderen" die vermeintliche Einzigartigkeit ja unterwandern könnte.

Schon mit den ersten Worten flutet eine Eiseskälte den riesigen kalkweißen Saal, der mit seinen kapitellverzierten Säulen an eine alte italienische Villa erinnert, die zweifellos schon bessere Zeiten erlebt hat, wie der allerorts rieselnde Putz deutlich macht (Bühne: Annette Murschetz). In diesem heruntergekommenen Ambiente hängen mehr als dass sie sitzen zwei Frauen in einer grünen Biedermeiergarnitur.

Sie ist neben einer Schreibtischlampe das Einzige, das den Schwestern Gunhild (Corinna Kirchhoff) und Ella (Josefin Platt) geblieben ist nach der Pleite und der Gefängnisstrafe von John Gabriel Borkman (Wolfgang Michael), Ehemann von Gunhild und ehemaliger Liebhaber von Ella. Mit sublimierter Wut lässt Gunhild zunächst ihr vermaledeites Leben Revue passieren, das sie einst komplett auf die Karriere ihres Mannes gebaut hat. Als Gunhild sich immer stärker in Rage und Hass redet, sucht Ella ihre Chance, um im Verlauf der wirklich lang anhaltenden Konversation den knallharten Kampf um Gunhilds Sohn Erhard (Christian Erdt) zu entfachen, der bei Ella aufgewachsen ist.

Beziehungskitt aus Macht und Sadismus
Beide Frauen wollen Erhard wie einen Gegenstand für sich haben, um ihn nach ihren Plänen zu benutzen. Erhard soll Ella im Sterben begleiten, Gunhild braucht ihn als Sohn, um als Mutter ein Selbstwertgefühl zu entwickeln. Der Tanz um das "Goldene Kalb" Erhard wird um einen Dritten erweitert: John Gabriel Borkman. Er will Erhard für sich benutzen, um mit ihm jene Fantasien einer imaginierten Finanzwelt zu verwirklichen, an denen er selbst allerdings schon gescheitert ist. Am Ende flieht Erhard mit einer Nachbarin, und die drei anderen sterben. Aber bis es dazu kommt, vergehen drei Stunden am Schauspiel Frankfurt.

Die Geschichte, die Andrea Breth hier erzählt, ist das sehr genau ausgeleuchtete Psychogramm einer Familie, deren Beziehungskitt aus Macht und Sadismus besteht. Es geht nicht um die Abgründe eines Bankers, sondern um die Abgründe von Menschen, die von Hybris getragen sind. Breth zeigt die Verstrickungen von drei Personen (John Gabriel, Gunhild, Ella), in deren Zentrum ein größenwahnsinniger Egozentriker steht, ein Narziss, der es nicht erlaubt, dass man an sich zweifelt, der "oben" ist und nicht anders kann, als mit falschem Stolz auf die anderen herabzublicken.

Dieser Narziss ist nicht der einzige Anti-Held der Geschichte. Wolfgang Michael gibt ihm die mal grunzende, mal näselnde Stimme eines Arroganzlers, der seine Marotten pflegt, indem er mit dem Schuhputztuch nicht nur seine Anzugschuhe abtupft, sondern auch die eigene Stirn. Gunhild und Ella haben sich anscheinend schon früh in John Gabriels narzisstische Spielchen verwickeln lassen, sie sind mittlerweile selbst so geübt darin, dass sie ihm an Lieblosigkeit, Machtwillen und Sadismus in nichts nachstehen.

Während Corinna Kirchhof Gunhild von Anfang an als kalte, berechnende, unsympathische Frau der Upperclass spielt, die später vor lauter Selbstmitleid komisch lächerliche Züge zeigt, bringt Josefin Platt die unsympathischen Seiten ihrer Figur Ella erst zum Ende Stückes nach vorn. Das birgt einige Überraschungen und zeigt die verschiedenen Spielarten und Camouflagetechniken narzisstischer Störungen.

Am Ende ist klar: Diese Drei sind aus demselben Holz geschnitzt. Bei Andrea Breth ist es Eis. In minutenlanger Stille lässt sie die unheilvolle Ménage-à-trois in einer arktischen Eislandlandschaft im Halbdunkel erstarren, gefrieren, vergehen an sich selbst. Ein großartiges Bild - der Höhepunkt eines gelungenen Abends.
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