Najem Wali: "Saras Stunde"

Eine Frau rebelliert gegen die Scheinheiligkeit

Najem Wali im Gespräch mit Frank Meyer · 22.02.2018
Im neuen Roman von Najem Wali rechnet eine junge Frau mit der scheinheiligen Männergesellschaft in Saudi-Arabien ab. Ihr Onkel, ein Salafist, hat ihr Leben zerstört - nun ist sie zurück und will Rache. Im Gespräch erklärt der Exil-Iraker Wali, weshalb er einen Roman aus Saudi-Arabien schreibt.
Frank Meyer: Das Mädchen Sara, das wächst in Saudi-Arabien auf, ein sehr waches, sehr schlaues, widerspruchsfreudiges Mädchen ist das. Mit der religiösen Ordnung des Landes stößt sie zum ersten Mal zusammen, da ist sie erst acht Jahre alt, und von da an rebelliert sie immer wieder gegen die engen Grenzen, in denen Mädchen und Frauen in Saudi-Arabien leben sollen. Der Schriftsteller Najem Wali erzählt von Sara in seinem neuen Roman "Saras Stunde". Der Roman ist in dieser Woche erschienen, und Najem Wali ist jetzt hier bei uns im Studio. Seien Sie herzlich willkommen!
Najem Wali: Ja, guten Morgen, Herr Frank!
Meyer: Sie haben mir gerade ein Foto gezeigt, dass Ihr Buch auch in arabischen Buchläden ausliegt, was Sie wahrscheinlich auch besonders freut, oder?
Wali: Ja, das hat mich wirklich gefreut, weil der Verleger ist jetzt auf einer Buchmesse in Oman am Golf und stellt das Buch aus, und das Buch ist auch Ende Januar in Beirut erschienen.
Meyer: Sie leben ja selbst in Berlin, schon seit geraumer Zeit, 1980 sind Sie aus dem Irak nach Deutschland geflüchtet. Ihre Bücher haben Sie immer wieder auch im Irak angesiedelt. Wie kam das, dass Sie jetzt über Saudi-Arabien schreiben wollten?
Wali: Ich war 2010 in Saudi-Arabien, ich habe eine Reise gemacht, ich war eingeladen von der deutschen Botschaft, und ich habe damals für deutsche Kultur geworben. Wir haben deutsche Lyrik gelesen, fast drei Wochen, mit diplomatischem Visum. Ich bin durch viele Städte in Saudi-Arabien gereist, und ich habe Frauen getroffen dort, und bei meinen Lesungen kamen sie auf mich zu, und ich habe festgestellt, meine Leserschaft besteht mehr aus Frauen in der arabischen Welt, gerade in den Golfländern. Ich habe viele Geschichten mitgebracht, und eine von diesen Geschichten war in einem schwarzen Moleskin-Buch, das ich auf meinem Schreibtisch bis heute habe.
Meyer: Das taucht auch in Ihrem Roman auf, ein schwarzes Moleskin-Buch, in dem – da ist es fiktiv – Ihre Heldin Sara ihre Geschichte festgehalten hat. Also es gibt tatsächlich ein reales Vorbild für das, was Sie erzählen in dem Roman?
Wali: In meinen Büchern gibt es immer Fakten, und ich baue auf diesen Fakten Fiktion – das kann man Faktion nennen am Ende –, sonst kann ich nicht arbeiten. Ich muss total überzeugt auch von der Handlung sein, damit der Leser auch überzeugt wird. Und so war es mit Sara. Sara ist teilweise Fakt, aber es ist auch viel Fiktion dabei, und Sara ist ein Gesamtbild von allen Frauen, wie ich sie auch beschrieben habe, die gegen den Stein kämpfen mit einem Körper aus Glas.

Eine neue Frauengeneration in Saudi-Arabien

Meyer: Sie hatten auch den Eindruck, als Sie dort unterwegs waren, dass es viele dieser Frauen gibt, die ähnlich wie Sara tatsächlich rebellieren, aufsässig sind, sich mit dem Leben dort in Saudi-Arabien nicht mehr zufriedengeben wollen?
Wali: Ja, das ist eine neue Generation, das ist auch nicht ganz neu, seit, glaube ich, den 80ern und hat sich zugespitzt in den 90ern im Kuwait-Krieg, weil diese Mädchen aufgewachsen sind mit Doppelmoral und mit Heuchelei. Sie sahen amerikanische Truppen, gerade in der Ostprovinz, wo mein Roman angesiedelt ist – sie sahen, dass amerikanische Truppen kamen und Marins und Frauen, die Autos fahren und mit offenen Haaren auf der Straße liefen und mit einer Bierdose in der Hand, aber sie durften das selber nicht. Und dieses Bild beschreibe ich, wie die Gesellschaft sich geändert hat. An sich, was man heute sagt, die Revolution überhaupt, wenn es eine Revolution gibt, dann dank dieser Frauen als Originalmotiv dieser Umwälzungen.
Meyer: Und wenn wir auf die andere Seite schauen, in Ihrem Roman hat Sara einen Gegenspieler, der kommt sogar aus ihrer eigenen Familie, das ist ihr Onkel. Der ist ein Leiter der islamischen Religionspolizei, der Behörde für die Verbreitung der Tugendhaftigkeit und die Verhinderung von Lastern. Diese Religionspolizei, welche Macht hat die denn in Saudi-Arabien?
Wali: Übrigens, der Name klingt wie im magischen Realismus, aber diese Behörde gibt es, so heißt auch diese Behörde, und die hat mehr Macht als das Innenministerium. An sich ist sie ein Staat im Staat, und diese Behörde ist dem König direkt untergeordnet. Und diese Behörde läuft auf der Straße und die hat bestimmte Uniformen, Autos, alles Mögliche, und sie können jeden verhaften, wenn sie, nach ihrer Meinung, einen Verstoß gegen die Sitten im Land feststellen. Die sind Fanatiker, weil sie praktizieren oder sie setzen den Wahhabismus um auf der Straße, was Männer betrifft, Frauen, also wenn die Frauen nicht total im Niqab sind, wenn man einen Teil von ihnen sieht, werden sie verhaftet et cetera.
Najem Wali auf dem blauen Sofa, aufgenommen auf der 67. Frankfurter Buchmesse 2015 in Frankfurt/Main.
Najem Wali auf der Frankfurter Buchmesse © dpa / picture alliance / Uwe Zucci

"Man kann Saudi-Arabien von Terrorismus nicht einfach so trennen"

Meyer: Sie erzählen an einer Stelle auch, dass dieser Onkel, der da bei der Religionspolizei so eine wichtige Rolle spielt, dass der auch Dschihadisten geworben hat für den Kampf in Afghanistan, das ist früher in seinem Leben, aber bringen Sie das auch in Ihr Buch, um auf diese Verbindung zwischen Saudi-Arabien und islamistischen Terror hinzuweisen?
Wali: Absolut. Man kann Saudi-Arabien von Terrorismus nicht einfach so trennen. Also wir kennen das. Das fing erst natürlich an damals mit dem Überfall von der russischen Armee in Afghanistan 1979, und da hat man angefangen mit den Dschihadisten, die man damals die ‚Afghanen-Araber‘ genannt hat, später sind es Al-Kaida-Leute, später sind es ISIS, was auf Arabisch Daesch heißt.
Und diese Finanzierung kam immer aus dem Golf. Ein großer Finanzier für Terrorismus war Saudi-Arabien. Man kann das nicht verschönern. Vergessen wir nicht, 15 von den New-York-Attentätern waren Saudis. Das ist nicht aus der Leere, und selbst Bin Laden... Als ich 2010 in Saudi-Arabien war und durch das Land gereist bin, war immer … der größte Bauunternehmer gehört Bin Ladens Familie und heißt Bin Laden. Übrigens, die Bin-Laden-Firma hat das deutsche Konsulat in Jeddah neu gebaut in 2010.
Meyer: Auf der anderen Seite hat ja Saudi-Arabien allerdings auch den sogenannten Islamischen Staat in Syrien mitbekämpft, auf der einen Seite, und in letzter Zeit, man hörte jetzt, dass das Autofahrverbot für Frauen in Saudi-Arabien endlich gelockert werden soll. Eine deutsche Zeitung schrieb sogar, die "FAZ" war das, das Wüstenkönigreich soll toleranter und weltoffener werden. Wie sehen Sie denn das, gibt es da Ansätze zu einer Reformierung?
Wali: Das finde ich quatsch, wenn so eine Zeitung das sagt. Sorry, dass ich das sage, weil man sieht nicht die Zeilen darunter. Das ist, wie wenn wir eine Police von der Versicherung bekommen. Das ist plakatiert, Frauen dürfen Auto fahren, aber bis jetzt haben sie kein Auto gefahren. Frauen hatten immer einen Führerschein gehabt, seit den 80ern, und sie haben immer protestiert, auf der Straße zu fahren. Dieses Dekret kam von oben jetzt, Frauen sollten ab Sommer dieses Jahres Auto fahren, aber sie müssen erst mal einen saudischen Führerschein haben. Wenn eine Frau in Deutschland oder England einen Führerschein hat, darf sie nicht fahren, und dieser Führerschein dauert neun Monate.
Und wenn sie den Führerschein hat nach neun Monaten, dann gibt es eine Kommission, die feststellt, ob dieser Führerschein richtig ist oder nicht. Das heißt, wenn man ein Gesetz zum Scheitern bringt, dann gründet man eine Kommission. Das ist die eine Seite. Ich werde darauf warten, ich bin gespannt, ob die Frauen fahren dürfen, aber das ist ein Teil der Geschichte. Und mit der Finanzierung von Terrorismus und da sie ISIS bekämpft haben, zweifle ich daran, dass Saudi-Arabien ISIS bekämpft hat, weil sie hat auch in Syrien andere islamische Gruppen finanziert.

Sara will Vergeltung

Meyer: Wenn wir zurückkommen auf Ihren Roman: Ihr Roman hat ganz am Anfang ein Motto aus Tolstois "Anna Karenina", das Motto heißt "Die Rache ist mein, und ich will vergelten", und Ihre Figur Sara, die will auch ganz archaisch Rache nehmen für das, was ihr angetan wurde, tödliche Rache. Heißt das, dass auch so eine junge Frau, die aufbegehrt, die zum Teil auch im Ausland lebt, in London lebt sie mehrere Jahre lang, dass auch so eine Frau nicht ausbrechen kann aus so einem archaischen Kreislauf, aus Rache und Tod?
Wali: Ja, dann wäre ich unrealistisch, wenn ich sie total befreie von dieser Rache. Übrigens, sehen Sie, ich habe dieses Motto sogar von "Anna Karenina" geliehen, das haben auch die Russen, das war ein kleines Buch von Tolstoi. Nein, es ist auch symbolisch. Was heißt das? Ihr Leben ist zerstört von diesem Onkel, total, und wenn ich diesen Satz, dieses Motto benutze, heißt das nicht unbedingt, dass sie töten muss, aber sie sehnt sich danach. Dass man diesen Wunsch hat, das ist bei uns archaisch, das hat mit Saudi-Arabien nichts zu tun. Diese Gewalt, dieser Instinkt, archaischer Instinkt von Rache ist überall auf der Welt. Ob das umgesetzt ist oder nicht, das ist eine andere Frage.
Meyer: Um diesen Instinkt geht es auch in dem Buch von Najem Wali, "Saras Stunde". Das wurde aus dem Arabischen übersetzt von Markus Lemke, ist im Hanser-Verlag erschienen, hat 352 Seiten, 23 Euro ist der Preis. Herr Wali, danke, dass Sie da waren!
Wali: Danke, Herr Meyer!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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