Nahost

Nur gemeinsam

Irakische Schiiten melden sich freiwillig, um gegen die islamistische Terrorgruppe Isis vorzugehen
Irakische Schiiten melden sich freiwillig, um gegen die islamistische Terrorgruppe Isis vorzugehen © picture alliance / dpa/Alaa Al-Shemaree
Von Ulrich Leidholdt · 21.06.2014
Der eskalierende Konflikt im Nahen Osten kann nur gelöst werden, wenn die verfeindeten Kräfte der Region kooperieren. Dabei muss der Iran miteinbezogen werden.
Seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs wird gewarnt - nun ist er da, der Flächenbrand in Nahost. Der Vormarsch der Islamisten vernetzt die Krisenherde der Region. Grenzüberschreitend will ISIS durchpeitschen, was sich hinter dem Kürzel verbirgt: ein Islamischer Staat im Irak und Groß-Syrien. Was für die Jihadisten Libanon, Jordanien, Palästina und Israel einschließt. Ihr Ziel ist ein Kalifat vom Mittelmeer bis nach Bagdad im Stil ihres vor 800 Jahren untergegangenen Reichs.
Die Furcht davor ist berechtigt. Überraschen darf der neuartige Terror nicht. Er ist Resultat des völkerrechtswidrigen US-Einmarschs im Irak, des amerikanischen Desasters schlechthin. Seine Folge ist der Bedeutungsverlust der schlingernden Supermacht und Irans Aufstieg, den die USA ja eigentlich verhindern wollten.
Neuer Diktator Maliki
Die Region gleitet so immer rascher ab. Auch, weil im Irak zwischen Invasion und überstürztem Abzug der US-Truppen alle staatlichen Strukturen zerstört wurden. Der Schiit Maliki diskriminiert die Sunniten autoritär, grenzt sie systematisch aus und verfolgt die Anhänger der 30-Prozent-Minderheit, die unter Saddam Hussein das Sagen hatte. Sunniten in seiner Führung hat er bedroht, kaltgestellt oder ins Ausland getrieben. Statt Aufbau einer Infrastruktur mit ausreichend Strom, sauberem Wasser, Jobs und Krankenhäusern herrschen Willkür und Plünderung des Öl-Staats. Das Land verfällt dem Chaos und der korrupten Clique um Maliki. Viele Iraker nennen ihn längst einen Diktator.
Jährlich alimentieren die USA den Irak mit 14 Milliarden Dollar Militärhilfe. Doch seine Soldaten laufen panisch vor ISIS-Rebellen weg oder zu ihnen über. Eine Million Iraker unter Waffen kapituliert vor 20000 Islamisten. - So scheint es. Tatsächlich bildet ISIS nur die Speerspitze des Widerstands, der sich gegen die verhasste schiitische Führung in Bagdad formiert. Hunderttausende, entlassen als Soldaten und Bedienstete des Saddam-Regimes, tausende Deserteure aus der irakischen Armee und die stillschweigende Duldung zahlloser Zivilisten in sunnitischen Gebieten erklären den beispiellosen Durchmarsch der Aufständischen.
Sunnitische Sicherheitskräfte sind schlecht bezahlt und nicht bereit, für ein paar Dinar ihre Köpfe hinzuhalten. ISIS hingegen hat Waffen aus Syrien und hunderte Millionen Dollar beim Vormarsch im Irak erbeutet.
Der eskalierende ethnisch-religiöse Konflikt seit dem Sturz des Saddam-Regimes begünstigt die Islamisten und den Zerfall des Irak. Die Türkei hat im Syrien-Krieg ISIS-Kämpfer aus Europa, Nordafrika, dem Kaukasus und Asien problemlos ins Land gelassen – es ging ja gegen Assad. Jetzt agieren diese Kämpfer ungehindert zwischen Syrien und Irak. Finanziers vom Golf haben ISIS gegen Assad und im Kampf gegen den schiitischen Iran mit Geld und Waffen gepäppelt. Jetzt sind die Islamisten kaum noch einzufangen und bedrohen die ganze Region, aber auch den Westen, Deutschland inklusive.
Gefahr des grenzüberschreitenden Terrors eindämmen
Nur wenn jene, die bislang überhaupt nicht miteinander können, an einem Strang ziehen, lässt sich die Gefahr des grenzüberschreitenden Terrors eindämmen. USA und Russland müssten ihre Differenzen beiseite legen. Die Hauptaufgabe aber liegt bei den verfeindete Kräften der Region: Ohne Iran bleibt eine Lösung undenkbar. Die Golfstaaten müssen ihren kriegstreibenden Kurs in Syrien stoppen. Doch selbst im günstigsten Fall bleibt im Kampf gegen den Terror á la ISIS nur die Wahl zwischen schlimm und sehr schlimm.
Immerhin scheinen nun bislang undenkbare Allianzen zwischen Washington und Teheran - und Hilfe von Syrien-Pate Putin - möglich. Profitieren können Iraks Kurden, die durch Sicherung des Nordiraks und Ausweitung ihrer autonomen Region dem eigenen Staat so nah sind wie nie. Nutznießer ist aber leider auch Bashar al-Assad. Weil der Deal mit ihm heißen wird: Du bekämpfst die islamistischen Terroristen in Syrien, dafür dulden wir stillschweigend dich und dein Regime. Millionen bleiben dadurch auf der Strecke: in Syrien und im Irak – für die Menschen dort ist der humanitäre Flächenbrand mit Flucht und Vertreibung längst Realität. Und wird es bleiben.
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