NADA-Vorsitzende: "Dopingbekämpfung auf einem guten Weg"

Moderation: Martin Steinhage und Thomas Wheeler · 21.01.2012
Andrea Gotzmann, die Vorstandsvorsitzende der Nationalen Anti Doping Agentur, sieht Fortschritte im Kampf für einen sauberen Sport.
Deutschlandradio Kultur: Frau Gotzmann, im Sommer finden die nächsten Olympischen Spiele statt. Wie optimistisch sind Sie, dass London saubere Spiele, sprich, dopingfreie Wettkämpfe erleben wird?

Andrea Gotzmann: Wir werden in London ein ausgefeiltes Antidopingprogramm haben. Das Labor dort ist bestens vorbereitet, eine sehr erfahrene Institution. Von dorther wird die Qualität der Kontrollen und Analysen auf allerhöchstem Niveau sein.
Für mich bleibt es aber auch so zu betrachten, dass wir eine sehr, sehr wichtige Zeit jetzt schon starten, nämlich die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele, die Qualifikationen. Der Athlet hat ja das große Ziel, in London dabei zu sein, sich zu qualifizieren, die Leistung jetzt zu bringen, um nominiert zu werden. Von daher laufen unsere Kontrollsysteme, die ganzen organisatorischen Vorbereitungen auf Hochtouren. Auch das Internationale Olympische Komitee wird die Trainingskontrollaktivitäten im Vorfeld der Olympischen Spiele stark in den Vordergrund stellen.

Deutschlandradio Kultur:Noch mal nachgefragt: Wichtig ist also jetzt nicht, während der Olympischen Spiele die Tests zu machen, sondern jetzt in der heißen Phase der Vorbereitung?

Andrea Gotzmann: Sowohl als auch. Wir unterscheiden ja zwischen den so genannten Wettkampfkontrollen, also unmittelbar nach dem Wettkampf, aber auch die Kontrollen außerhalb des Wettkampfs, einfacher gesagt, die Trainingskontrollen, wo der Athlet jederzeit kontrolliert werden kann – unangemeldet, überraschend –, um auch hier in dieser Phase der Vorbereitung den Missbrauch von pharmakologischen Substanzen und Methoden zu unterbinden und aufzudecken.

Deutschlandradio Kultur: Der Kampf gegen das Doping ist ja auch immer so etwas wie der Kampf Hase gegen Igel. Wie würden Sie das momentan einschätzen: Haben derzeit die Kontrolleure die Nase vorn oder hinken sie eher hinterher?

Andrea Gotzmann: Das ist fast schon ein bisschen ausgewogen, würde ich sagen. Hier ist die Frage, ob die Kontrolleure und die Analysten immer hinterher hinken. Ist es nicht vielleicht auch so, dass wir immer mehr Tore, Möglichkeiten zumachen, verschließen, weil eben die Kontrollen besser greifen? Wir haben die Möglichkeit, überraschend den Athleten aufzusuchen. Die Analytik, das ist ein Bereich, den ich vorher intensiv betrieben habe, wird immer besser. Es werden immer verfeinerte Methoden zur Verfügung gestellt. Und von daher sind Dopingsubstanzen, die vielleicht vor drei, vier Jahren als nicht nachweisbar galten, heute ohne weiteres aufzudecken.
Und von daher bin ich der Meinung, dass wir auf einem guten Weg sind und auch vielleicht die Betrüger in immer neuere Ecken drängen, wo dann natürlich auch wieder die Methoden ausgebaut werden müssen und aufgebaut werden müssen.

Deutschlandradio Kultur: Aber eines Ihrer Probleme ist doch sicherlich: Die finanziellen Mittel sind knapp. Die Mittel der NADA kommen ja vor allen Dingen aus dem Bundeshaushalt, die sollen gekürzt werden. Als davon erstmals im Herbst die Rede war, haben Sie als ganz neue Vorstandsvorsitzende der NADA seinerzeit gesagt, Zitat Andrea Gotzmann: "Weniger Kontrollen, weniger Personal, weniger Kompetenz", das sei die Folge, wenn man Ihnen die Mittel kürzt. Ist es denn so schlimm gekommen, oder wie schlimm ist es überhaupt?

Andrea Gotzmann: Ja, wir haben ja für 2012 noch einen sehr ausgeglichenen Haushalt. Über die Finanzierung ist sehr viel diskutiert worden. Das ist richtig. Und wir begrüßen natürlich ausdrücklich die Initiative des Bundesinnenministers Friedrich, der zu einem Runden Tisch jetzt im Frühjahr gebeten hat, wo hier noch einmal mit allen Beteiligten, allen Stakeholdern, das ist also zum einen Bund und Länder, aber auch der Sport selbst und die Industrie, ihren Beitrag leisten sollen zur Finanzierung der NADA.

Von daher ist es ein offenes Thema. Und ich hoffe nicht, dass es zu diesen Kürzungen kommen wird. Im Augenblick haben wir noch einen sehr guten und ausgeglichenen Haushalt.

Deutschlandradio Kultur: Es gab ja Kritik von Herrn Friedrich. Engagiert sich denn Ihrer Meinung nach die Wirtschaft zu wenig derzeit?

Andrea Gotzmann: Das muss einfach wieder ausgewogen werden. Und das wird man dort eruieren in diesen Gesprächen. Und es wäre natürlich schön, wenn das anteilig verteilt ist und dass wir hier den einen oder anderen als Partner noch mit ins Boot holen können für eine Aufgabe, die ich für äußerst wichtig halte. Denn der Sport ist leider auch mit Betrügern unterlaufen, und wir müssen sehen, dass wir hier den Sport sauber halten und den Athleten, die wirklich fair am Wettkampf teilnehmen wollen, auch diese Möglichkeit bieten. Denn der Sport ohne Doping ist für mich immer noch das Normale. Das sollten wir allen Athleten ermöglichen.

Deutschlandradio Kultur: Vor rund einem Jahr hat sich die NADA zusammengetan zu einer Task Force mit dem Bundeskriminalamt, dem Zoll und der Staatsanwaltschaft und den führenden deutschen Doping-Analytikern. Ziel dieser Vernetzung ist es, den Kampf gegen das Doping zu intensivieren. Hat das was gebracht? Wie fällt da bisher Ihre Bilanz aus?

Andrea Gotzmann: Ja, das sind natürlich Kooperationen, das ist Neuland. Aber sie haben sich sehr gut bewährt, muss ich sagen, dass eben hier nicht immer nur der Athlet im Fokus steht, sondern insbesondere auch das Umfeld des Athleten. Denn es sind ja heute auch Dopingsubstanzen, Dopingmethoden, die kauft man ja nicht mal gerade eben an der Ecke, sondern dazu gehören ja auch Netzwerke. Wie kommt der Athlet an diese Substanzen? Welches medizinische Personal ist involviert? Und wie sieht das gesamte Umfeld des Handels aus?

Da haben wir natürlich Behörden in Deutschland, die auf so was spezialisiert sind. Und wenn man hier die Kräfte bündeln kann, Informationen gezielt ausnutzen, dann ist das eigentlich der richtige Weg, möchte ich sagen. Und die ersten Monate waren sehr erfolgversprechend.

Deutschlandradio Kultur: Die NADA ist ja eine von mehr als hundert nationalen Antidopingagenturen weltweit, die unter dem Dach der Weltantidopingagentur, WADA, zusammengefasst sind. Das deutsche Know-how auf diesem Gebiet wird sehr geschätzt. Wo sehen Sie die nationale Antidopingagentur von Deutschland im internationalen Vergleich?

Andrea Gotzmann: Also, wie Sie grad schon sagten, die deutsche Antidopingarbeit ist hoch anerkannt. Das habe ich auch immer wieder bei meinen Aufenthalten im Ausland oder auch in Zusammenarbeit mit den Kollegen erfahren können. Das ist sowohl die Arbeit der Laboratorien, der beiden deutschen Laboratorien in Köln und in Kreischa, aber auch die Arbeit der NADA hier im Hause, was Prävention angeht, was medizinische Beratung angeht, aber auch das Dopingkontrollsystem, wie wir Kontrollen organisieren, da sind andere dran interessiert. Da möchte man gerne Informationen haben.

Wir hatten gerade Gäste aus Japan da, mit denen wir uns sehr intensiv ausgetauscht haben. Und das ist nicht nur einseitig, sondern beruht auf Gegenseitigkeit. Wir können auch von den Kollegen lernen. Und wir erfahren aber immer schon wieder, dass man unsere Arbeit sehr, sehr schätzt.

Deutschlandradio Kultur: Frau Gotzmann, das Geschäft mit Anabolika, Wachstumshormonen und EPO läuft nach Einschätzung von Sandro Donati, dem renommiertesten Dopingbekämpfer Italiens, verstärkt über kriminelle Organisationen ab. Beteiligt sind auch die italienische und die russische Mafia.
Ist man eigentlich gegen solche Gegner nicht völlig machtlos oder unterlegen zumindest?

Andrea Gotzmann: Das ist natürlich eine Klientel, mit der wir es nicht aufnehmen können und von daher natürlich die Unterstützung der staatlichen Behörden, die wir hier begrüßen und die wir dann auch in solchen Bereichen wirklich brauchen. Die Dopingsubstanzen gehen weit in die Bereiche der Gesellschaft ein. Im Breiten-Fitness-Sport finden Sie Anklang, haben aber auch ihren Weg in den Spitzensport genommen.

Und diese Netzwerke, Vertriebswege aufzudecken und zu bekämpfen, das ist Aufgabe der Behörden. Und wir sind sehr froh, wenn wir etwas Wissen, Know-how doch mit einbringen können. Unsere Fachkompetenz ist dort gefragt.

Deutschlandradio Kultur: Es ist ja so, dass in machen Staaten sogar das Doping gefördert oder zumindest geduldet wird. In Spanien ist es so bei Dopingfällen, dass die Kontrolleure angefeindet werden, eher als die Überführten. Wie ist denn das eigentlich hierzulande? Auf jeden Fall offenkundig anders aus meiner Sicht. Wie kooperationsbereit sind die deutschen Sportler?

Andrea Gotzmann: Die Sportler sind kooperationsbereit. Und wir arbeiten ja auch mit den Athleten zusammen, mit der Athletenvertretung im Deutschen Olympischen Sportbund. Ich nehme an, Sie gehen jetzt auf das Thema Datenschutz und insgesamt, wie die Kontrollen durchgeführt werden. Wir versuchen dann doch die Lösungen mit den Athleten zu finden. Dass gewisse Forderungen da sind, wie Kontrollen durchgeführt werden müssen, damit sie effektiv sind und nicht nur eine Alibifunktion haben. Es sollen ja wirklich effektive Kontrollen sein. Und da gibt natürlich der einzelne Sportler einiges an persönlicher Freiheit auf. Über das Meldesystem ADAMS wird ihm ein enormer Pflichtenkatalog auferlegt. Aber, um das alles für den Athleten wirklich auch handhabbar zu machen, arbeiten wir mit Datenschützern zusammen, mit den Athletenvertretern und hoffen hier, diese Regeln, die von der Weltantidopingagentur vorgegeben sind - das sind ja keine deutschen Forderungen, die jetzt hier erfunden wurden - möglichst gerecht umzusetzen.

Deutschlandradio Kultur: Frau Gotzmann, Sie haben es selber eben schon angesprochen. Die Athleten sind unzufrieden mit dem Kontrollsystem. Da geht's beispielsweise um den Vorwurf: Eingriff in die Intimsphäre, Sichtkontrollen bei Urinproben, beispielsweise. Es geht darum, dass vor allen Dingen auch bei Minderjährigen gravierende Eingriffe in die Intimsphäre stattfinden. Auch die Übermittlung von Gesundheitsdaten und Aufenthaltsorten wird kritisiert.

Was sagen Sie zu diesen Vorwürfen? Geht es nicht anders? Oder können Sie sich auch vorstellen, dass man da das System verbessern, optimieren könnte?

Andrea Gotzmann: Natürlich kann man das optimieren. Wie eben schon gesagt, wir sind an internationale Vorgaben gebunden. Und es ist ja auch nicht so, dass wir uns diese Systeme ausgedacht haben.

Deutschlandradio Kultur: Die Vorgaben, die aus dem internationalen Raum kommen, die können Sie doch versuchen zu optimieren. Die NADA ist ja nicht irgendwer im internationalen Verbund.

Andrea Gotzmann: Das ist richtig. Wir arbeiten dort auch zusammen und wir versuchen, auch auf Regelwerksebene einzugreifen. Gerade jetzt wieder steht die Code-Revision für 2015 an. Und hier ist Deutschland sehr aktiv geworden. Auch über den Europarat sind 48 Verbesserungsvorschläge eingereicht worden sehr frühzeitig an die Weltantidopingagentur, auch den Datenschutz und die Umsetzbarkeit betreffend.
Das ist erstmalig überhaupt von Deutschland 2007 thematisiert worden. In dem vorhergehenden Entwurf des Codes war Datenschutz überhaupt nicht vorgesehen. Und es ist die Politik der kleinen Schritte, kleine Verbesserungen, Veränderungen. Die Regeln, wie sie da sind, sind leider Reaktion auf die Praxis. Also, die Urinabgabe unter Sichtkontrolle ist eine Reaktion darauf, dass Athleten versucht haben, es auch geschafft haben, Fremd-Urin unterzuschieben, Urin zu manipulieren.

Also, da muss man natürlich auch fragen, was ist zuerst gewesen, und dass oft diese Eingriffe eine Reaktion auf diese negativen Vorkommnisse in der Praxis gewesen sind.
Aber Sie haben vollkommen Recht. Wir arbeiten mit den Athleten zusammen. Wir versuchen Punkt für Punkt abzuarbeiten, den Datenschutz zu sichern. Wir haben ja einen internen Datenschutzkoordinator, einen externen Datenschutzbeauftragten. Wir arbeiten mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten zusammen, dem Landesschutzbeauftragten. Wir werden in Kürze einen Ombudsmann in Datenschutzfragen haben. Also, wir haben eine große Palette an Aktivitäten anzubieten. Wie gesagt, kleine Schritte – wir kommen vorwärts und es wird sich einiges auch verändern.

Deutschlandradio Kultur: 48 Verbesserungsvorschläge, sagten Sie gerade. Können Sie ein paar Kernpunkte kurz herausgreifen?

Andrea Gotzmann: Ja, das war im Bereich des Datenschutzes auch, aber dann auch der Bereich Prävention, dass dieses stärker zu thematisieren ist, dann auch sehr formale Durchführungsbestimmungen. Da ist natürlich unsere juristische Abteilung etwas vertrauter mit solchen Dingen. Aber es sind einfach die Praktikabilitäten, die aus den Erfahrungen der letzten Jahre gezeigt haben, hier muss etwas klarer und deutlicher ausgedrückt werden, um es hinterher auch justiziabel machen zu können, dass man nicht mit Dingen vor Schiedsgerichten scheitert, weil es vielleicht vom Code her in zwei Richtungen gedeutet werden könnte.

Das sind einfach Dinge, die hier über Jahre aufgefallen sind, die man verbessern könnte. Und schön ist, dass es wirklich in Zusammenarbeit mit dem Europarat geschehen ist, dass hier Europa eine sehr starke Stimme hat bei der WADA.

Deutschlandradio Kultur: Um die Sache für uns Nichtexperten und für alle Hörerinnen und Hörer, die sich nicht so gut auskennen, vielleicht etwas anschaulich zu machen: Wie muss man sich das vorstellen, können Sie einmal schildern, wie der Alltag der Antidopingkämpfer aussieht? Wer sind die Kontrolleure? Nach welchen Kriterien suchen sie sich die Sportler aus? Und wie läuft solch eine unangemeldete Kontrolle üblicherweise ab?

Andrea Gotzmann: Unser Haus ist natürlich auch in mehrere Ressorts aufgeteilt hier. Und die Abteilung, die Sie jetzt ansprechen, ist die Abteilung Dopingkontrollsystem. Dort haben wir so genannte Kontrollplaner, die also die Athleten in verschiedenen Testpools, wie wir das nennen, verzeichnet haben. Zurzeit sind 8.000 Athleten, die bei uns hier gemeldet sind, in ganz unterschiedlichen Testpools, vergleichbar mit A-, B- und C-Kader von der Leistungsstärke her, aber auch, welche Prävalenz, welches Risiko die Sportart für Doping hat.

Dass natürlich die Sportarten mit Kraftkomponente, mit Ausdauerkomponente gefährdeter sind als vielleicht kompositorische Sportarten, Mannschaftssportarten oder andere, die vielleicht auch nicht so ein hohes wirtschaftliches Potenzial haben, wo man so viel Geld verdienen kann, das sind alles Dinge, die wir uns hier anschauen. – Trainingspläne, dann aber auch wissenschaftliche Erkenntnisse. Wann ist das letzte mal kontrolliert worden? Wann macht es wieder Sinn aufgrund der Trainings- und Wettkampfplanung?

Und dann beauftragt die NADA einen Kontrolleur, das ist ein Unternehmen mit Sitz in der Nähe von München, hier den Athleten aufzusuchen, die Daten sind vorhanden aufgrund des ADAMS-Meldessystem, und den Athleten zu einer Urinkontrolle zu bitten, neuerdings auch vermehrt zusätzlich einer Blutkontrolle.

Dann laufen diese Daten hier wieder ein, wenn die biologischen Proben von den WADA-akkreditierten Laboratorien analysiert worden sind. Und dann im Falle eines negativen Ergebnisses, das, was wir uns alle wünschen und auch die Mehrzahl der Proben darstellt, ist der Fall sozusagen abgeschlossen. Sollte das Labor eine verbotene Substanz nachweisen, wird ein Verfahren eingeleitet.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben das ADAMS-Meldesystem angesprochen. Man muss ja im Voraus drei Monate angeben, wo man wann sich aufhält und bei wem. Und genau das ist ja die Kritik vieler, vieler Sportler, dass man dort einen Eingriff in die Intimsphäre einfach befürchtet bzw. es ist de facto letztendlich so.

Es gibt andere Vorschläge von Sportlern, wie man der ganzen Sache gerecht werden könnte, die elektronische Fußfessel, die Handy-Ortung. Was halten Sie von solchen Ideen?

Andrea Gotzmann: Zuerst aber muss ich sagen, die Athleten haben sich diesen Regeln unterworfen.

Deutschlandradio Kultur: Zwangsläufig.

Andrea Gotzmann: Sie haben Recht. Das ist richtig. Es sind andere Methoden, wie Sie es eben angesprochen haben, auch schon mal eruiert worden – Fußfessel, ist natürlich auch ein schwieriger Begriff, Handy-Ortung. Was wir uns natürlich nicht leisten können, ist vielleicht hier in Tatort-Manier einem Athleten hinterherzulaufen. Wir müssen die Kontrollen planbar machen. Das heißt, wir müssen im Voraus schon wissen, wo wird der Athlet sich morgen, übermorgen aufhalten.

Deutschlandradio Kultur: In drei Monaten!

Andrea Gotzmann: In drei Monaten. Die Athleten haben aber jederzeit die Möglichkeit, über fast alle Kommunikationswege Änderungen anzugeben, sei es per Email, sei es per Telefon, sei es in ADAMS selbst. Also, Änderungen sind da möglich. Das ist keine Verpflichtung. Das Hauptargument ist eben, dass die Kontrollen für uns planbar sein müssen, dass wir wissen, wo wir ihn hinschicken.

Deutschlandradio Kultur: Bleiben wir noch mal beim Kontrollsystem. Sie haben selbst eben schon den Begriff Blutpass eingeführt. Die Weiterentwicklung dieses Programms ist eines der zentralen Anliegen der NADA. Was hat man sich unter einem Blutpass konkret vorzustellen?

Andrea Gotzmann: Das ist ein Projekt, was wir versuchen auch in diesem Jahr weiter fortzuführen – in Zusammenarbeit mit der Weltantidopingagentur. Wir haben, insbesondere in der Fortentwicklung des Einsatzes von Dopingsubstanzen, lassen Sie es uns mal so nennen, nicht die Möglichkeit, alle Methoden nachzuweisen, insbesondere die Methode des Blutdopings oder die Gabe des EPOs, das eben in immer kleineren Dosen appliziert wird, was sehr, sehr schwer nachweisbar ist.
Aber die Reaktionen im Körper, wenn eine solche Substanz oder Methode angewendet wird, ist eigentlich eine recht eindeutige durch Veränderungen, individuelle Veränderungen.

Und das ist das, was der Blutpass leisten will, dass jetzt also nicht nur irgendwo ein Grenzwert gesetzt wird, der für alle gilt, sondern ein individuelles Profil der Veränderungen eines Athleten beobachtet wird über einen längeren Zeitraum.
Das sind verschiedene Faktoren. Es werden insgesamt zehn Parameter gemessen. Aber durch recht komplizierte mathematische Modelle wird halt der Hämatokrit, das Hämoglobin und die Prozent Retikulozyten und zusätzlich ein so genannter Off-Score-Wert berechnet, der Hinweise auf Manipulationen mit den vorher genannten Methoden geben kann.

Das sind sehr ausgefeilte komplexe Systeme, die entsprechende Datenbanken erfordern. Das zu organisieren, ist eine unserer Aufgaben in der Zukunft.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben eben angesprochen, dass Sie dieses Programm fortführen wollen. Warum dauert es in Deutschland so lang, wo es ja andere Länder gibt, ich nenne mal ein Beispiel – Norwegen -, wo es eine Art Blutpass ja bereits gibt?

Andrea Gotzmann: Das ist richtig. Das sind auch die internationalen Sportfachverbände, die das schon machen. Aber wir haben eben über den Datenschutz gesprochen. Auch das ist eines unserer Probleme hier, weil eben medizinische Daten wieder in ein System eingestellt werden müssen, was extern von anderen auch zugänglich ist. Und hier muss ganz deutlich geklärt werden, was ist möglich, was können wir machen. – Denn eben auch die Koordinierung dieser Vielzahl von Daten von vielen Athleten ist eine Aufgabe. Und hier müssen die entsprechenden technischen Voraussetzungen geschaffen werden.

Ich glaube, in Norwegen, wie Sie es eben genannt haben, hat man auch nicht so diese große Zahl an Athleten. Es ist nicht so, dass wir keine Blutkontrollen machen. Wir machen Blutkontrollen, nutzen aber derzeit die Daten, die uns von den Laboratorien geliefert werden, um noch mal zielgerichtet kontrollieren zu können. Wenn wir dort Auffälligkeiten sehen, wird das nicht für den indirekten Beweis genutzt, wie es in Zukunft möglich sein soll, sondern wir würden dann ganz zielgerichtet diesen Athleten kontrollieren, um vielleicht den direkten Beweis führen zu können. Also, von daher findet die Anwendung etwas anders schon statt hier seit längerer Zeit.

Deutschlandradio Kultur: Aber wenn ich das richtig verstehe, kostet das auch eine Menge Geld, diese Blutprofile anzulegen. Und da hatten Sie sich sozusagen bestimmte Sportarten erstmal rausgesucht. Sie haben ja eben auch schon in anderem Zusammenhang Sportarten genannt, die besonders – ich sage es mal mit meinen Worten – dopinganfällig sein könnten. Aber ist zum Beispiel dieser Blutpass nicht vor allen Dingen auch sehr wichtig bei Ausdauerdisziplinen, etwa im Wintersport?

Andrea Gotzmann: Eigentlich ausschließlich für Ausdauerdisziplinen, weil diese Art der Manipulation mit EPO oder auch Blutdoping in den Ausdauersportarten angewendet wird. Von daher haben wir eine begrenzte Anzahl an Sportarten, auf die es angewendet wird. Und hier müssen wir natürlich auch mit den internationalen Sportfachverbänden zusammenarbeiten, um eben die Möglichkeit zu haben, die Trainingskontrollen, die wir durchführen, und die Ergebnisse der Wettkampfkontrollen zusammenzuführen.

Hier wird natürlich auch ein Expertengremium eingesetzt, die diese Blutprofile beurteilen. Das ist also dann eine Aufgabe, die die NADA nicht leistet. Sie stellt die Daten zur Verfügung. Und ausgewählte Experten beurteilen diese Daten und schauen, ob es dort Auffälligkeiten gibt, die zu einem Verfahren mit diesem indirekten Beweis führen könnten.

Deutschlandradio Kultur: Da das Ganze ja nicht so preiswert ist, sondern eher teuer, überlegen Sie ja, zunächst in Risikosportarten, wie zum Beispiel Radsport, Leichtathletik und Schwimmen, den Blutpass einzuführen. Aber der Wintersport, den wir gerade eben angesprochen haben, ist ja nun wirklich auch eine Risikosportart in seinen Ausdauerdisziplinen.

Nun gibt es ja eine Menge Athleten in diesem Bereich, die Zollbeamte, Soldaten, Polizisten sind. Könnte es sein, dass Sie da möglicherweise in einen Konflikt geraten mit dem Bundesinnenministerium oder auch dem Verteidigungsministerium?

Andrea Gotzmann: Also, wir werden hier alle Sportarten, die Ausdauerkomponente beinhalten, mit in diesen Blutpass aufnehmen. Und wir werden das durchführen ohne Ansehen jeglicher Auftraggeber. Und von daher werden hier alle Athleten gleich behandelt und auch – ich sprach eben dieses Expertengremium an – dieses wird vollkommen anonym an die Experten weitergegeben. Wir sind nur hier, die Daten zusammenzuführen. Und die Beurteilung findet anonym ohne Ansehen der Person statt. Und da werden wir auch drauf achten, dass diese Neutralität hier in unserer Stiftung gewahrt bleibt.

Deutschlandradio Kultur: Wenn wir richtig informiert sind, dann spielen Sie heute in Ihrer Freizeit Golf. Das ist ja eine Sportart, wo man sich eigentlich vorstellen kann, dass man da ohne leistungssteigernde Mittel auskommt. Also unterstellen wir einfach mal, dass Golfspieler nicht dopen. Aber die andere Frage: Gibt es Sportarten, die über jeden Verdacht erhaben sind, aus Ihrer Sicht?

Andrea Gotzmann: Nein, die gibt es nicht, leider nicht. Man muss natürlich den Begriff des Dopings vielleicht auch etwas anders sehen als immer nur Kraft, schneller, höher, weiter. Es geht ja oft auch da drum, Verletzungsphasen zu überwinden, wieder in das Sportgeschehen hineinzukommen, das ist ja heute auch ein Wirtschaftsfaktor, und von daher auch der Aspekt, immer intensivere Trainingsreize in noch kürzerer Zeit setzen zu können. Auch hierfür, für die Regeneration, werden Dopingsubstanzen eingesetzt. Und von daher kann man leider heute keine Sportart ausnehmen.

Deutschlandradio Kultur: Herzlichen Dank, Frau Gotzmann.
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