Nacktwandern

"Ungewohnt, aber ein schönes Körpergefühl"

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Eine Gruppe Nacktwanderer eröffnet am 28.05.2011 auf dem Harzer Naturistensteig die Nacktwandersaison. © picture alliance / dpa / Matthias Bein
Juliane Frisse im Gespräch mit Martin Böttcher · 29.07.2017
Wenn es FKK-Strände und -Campingplätze gibt, warum nicht auch Nacktwanderwege? Zwei davon gibt es offiziell in Deutschland, einen davon im Harz. Juliane Frisse hat sich für die Echtzeit nackig gemacht und den Selbstversuch gewagt.
Martin Böttcher: Funktionsjacke, Trekking-Sandalen, Nordic Walking Stöcke: So wirklich schick ist Outdoor-Kleidung meistens nicht. Warum bei der nächsten Wanderung also nicht mal ganz drauf verzichten und einfach nackig losmarschieren? Das Wandern im Adams- bzw. Evakostüm ist momentan eher noch ein Nischensport. Was ist der Reiz daran, sich zum Wandern nackig zu machen? Um das rauszufinden, haben wir Reporterin Juliane Frisse losgeschickt für eine kleine FKK-Wanderung, und zwar auf Deutschlands erstem offiziellen Nacktwanderweg, dem "Harzer Naturistenstieg" in der Nähe von Wippra in Sachsen-Anhalt.
Juliane, von Berlin aus warst du dahin mehrere Stunden unterwegs. Ist es verboten, woanders nackt wandern zu gehen?
Juliane Frisse: Also solange man auf einsamen Waldwegen unterwegs ist, gibt’s rechtlich keine Probleme. Sobald man aber andere Menschen trifft, könnte sich natürlich jemand durch einen wandernden Nackedei belästigt fühlen. Und das könnte dann - theoretisch - als Ordnungswidrigkeit verfolgt und mit einem Bußgeld belegt werden. Deshalb suchen sich viele Nacktwanderer eher abgeschiedene Fleckchen für ihre Touren aus. Oder sie sind gleich auf einer der beiden Nacktwanderrouten unterwegs. Außer dem Weg im Harz gibt es nämlich noch einen zweiten in der Lüneburger Heide. Und auf beiden ist das Nacktwandern explizit erlaubt.

Auch Bekleidete dürfen mitwandern

Martin Böttcher: Aber eine Ausziehpflicht herrscht da nicht?
Juliane Frisse: Nee, Klamotten sind da auch erlaubt. Jeder wie er mag. Ich in diesem Fall nackig. Das letzte Stück Straße zum Harzer Naturistenstieg ist zur Zeit aber gesperrt, deshalb mussten wir zuerst noch ein paar Kilometer angezogen wandern, bis wir beim Wanderweg waren. Also nochmal schön eine Stunde Zeit um das eigene Muffensausen vorm Nackigmachen zu kultivieren, bis es dann hieß: Raus aus den Klamotten.
(Einspieler): "Guck mal da steht ein N da vorne. – N für Nackidei! – Also los geht’s, jetzt können wir uns ausziehen. – Ausziehen, ausziehen! (*Geraschel, Reißverschlüsse, Klettverschlüsse*) Boah, es ist doch kühler als ich dachte. – Ja, und man spürt jetzt auch den kleinen Nieselregen auf der Haut. – Oh, es regnet doch weiter. - Sollen wir uns nochmal einsprühen mit dem Autan? – Auf jeden Fall – Ja komm, wir sprühen nochmal ne Runde (*Pscht, Pscht, Pscht*) Lass mal noch die Arme einsprühen (*Pscht, Pscht, Pscht*)"
Wie du hörst, wir waren gut vorbereitet und haben uns direkt nach dem Ausziehen gegen Zecken und Bremsen gewappnet. Man bietet so nackig einfach ganz viel Angriffsfläche.
Martin Böttcher: Du warst nicht allein unterwegs, sondern mit zwei Freunden? Wer waren die und waren die auch nackig?
Juliane Frisse: Genau, ich hab noch zwei Freunde eingepackt: Johannes, ein Freund, bei dem ich den Verdacht hatte, dass er sich für so eine Aktion begeistern könnte. Und dann war noch seine neue Freundin Friederike dabei. Und die zwei sind auch ganz nackig den Naturistenstieg entlang gewandert.

"Ein sehr entspannter Wanderweg"

Martin Böttcher: Was für ein Wanderweg ist das, der Harzer Naturistenstieg?
Juliane Frisse: Ist ein sehr entspannter Wanderweg. Den Schwierigkeitsgrad würde ich eher bei "ambitionierter Spaziergang" einordnen. Insgesamt ist der Weg etwa 13 Kilometer lang – und wirklich richtig idyllisch:
(Einspieler:) Vogelgeräusche und Bach
Der Weg geht an einem Stausee vorbei. Es geht durch den Wald, überall Birken, Tannen, hohe Gräser, auf den Hängen wachsen Blumen und Sträucher mit wilden Himbeeren, irgendwann sind wir auch an einem Bach vorbeigekommen… Und damit sich keiner erschrickt, wenn er da in der Idylle auf nackte Menschen trifft, hängt da am Weg ab und zu ein gereimter Warnhinweis:
(Einspieler): "Guck mal das Schild da, Harzer Naturistenstieg. – Willst du keine Nackten sehen, darfst du hier nicht weitergehen."
An dem Tag als wir unterwegs waren, war die Gefahr auf Nackte zu treffen aber ehrlich gesagt nicht sooo hoch: Es hat nämlich geregnet und war auch recht frisch, nur so 17 Grad.

Hohe Sonnenbrandgefahr

Martin Böttcher: War das nicht arg kühl so ohne Klamotten?
Juliane Frisse: Es war überraschend angenehm, wir haben uns aber ja auch viel bewegt. Deshalb hatten wir auch nicht das typische Problem aller Nacktwanderer: die akute Sonnenbrandgefahr. Es kommen dabei ja Körperteile ans Licht, die sonst meistens bedeckt sind. Deswegen ist Sonnencreme echt wichtig. 2. Servicetipp: Man sollte vorab auch mal testen, ob der Rucksack nicht auf der nackten Haut scheuert. Haben wir ehrlich gesagt nicht ausprobiert, gab aber auch keine Probleme.
Martin Böttcher: Schon echte Nacktwanderprofis, ihr drei. Das klingt bei euch alles so locker und souverän. Habt ihr euch voreinander nicht auch ein bisschen geschämt?
Juliane Frisse: Überraschenderweise nicht, nee. Also Johannes und Friederike voreinander sowieso nicht als Pärchen, klar. Und wir hatten uns natürlich bewusst ausgesucht, mit wem wir unser kleines FKK-Abenteuer machen. Aber ich persönlich bin jetzt auch nicht hundertprozentig entspannt mit meinem Körper, finde da auch nicht alles dran toll. Deswegen hat es mich überrascht, was für eine banale Sache das Nacktsein tatsächlich war und wie okay sich das angefühlt hat. Johannes ging das übrigens auch so:
"Man macht auch immer so ein Riesenaufhebens um nackte Körper. Aber es ist eigentlich das Natürlichste der Welt."
Also es war nach nem kurzen dran Gewöhnen total okay, irgendwie lustig auch. Aber eine Sache war richtig super, und das ist denke ich auch der eigentliche Reiz des Nacktwanderns: Man hat ein ganz tolles, ungewohntes Körpergefühl.

"Total befreiend, keine Kleidung an mir zu haben"

Martin Böttcher: Wie verändert sich das Körpergefühl?
Juliane Frisse: Man spürt die Natur viel intensiver. Jeden Windhauch merkt man am ganzen Körper. Dann tropft einem mal ein dicker Regentropfen auf den Popo, dann mal nur ganz sanfter Nieselregen. Und als wir gerade darüber geredet haben, dass es ja überraschendweise gar nicht zu kalt ist so nackt im Regen, ist Friederike aufgefallen, wie nervig Klamotten oft sind:
"Aber ist es nicht, ne? – Nicht wesentlich. – Ich finde es gerade total befreiend auch keine Kleidung an mir zu haben, die irgendwie hochrutscht. Oder wo der Zettel juckt. Oder wo die Unterhose reibt. – Ja, du bist sowieso die ganze Zeit so am Arme schwingen. – Ja, ich genieß das gerade echt!"
Also, man hört schon, Friederike war sofort großer Fan des Nacktwanderns. Dabei ist sie vorab recht negativ beeinflusst worden. Als wir noch im Auto saßen, hat sie mir erzählt, dass Freunde von ihr versucht haben, ihr die Wanderung auszureden:
"Es hat angefangen von, es wird total an deiner Haut reiben zwischen den Oberschenkeln. Und der Schweiß, wenn er dir läuft… und dass es doch komisch ist, dass ich da mit meinem Freund und dir mitgehe, und dass er das nur macht, um dich anzuschauen und… Ja, die waren echt gar nicht davon begeistert und fanden es superseltsam, dass man das macht und dass es so ein Konzept gibt, dass man nackt wandern geht."
Vielleicht kann Friederike sie ja noch mit ihrer Begeisterung anstecken.

Wenn Nacktwanderer auf "Textilwanderer" treffen

Martin Böttcher: Habt ihr auf eurem Ausflug eigentlich auch andere Nacktwanderer getroffen?
Juliane Frisse: Nein, keinen einzigen. Ich hab gelesen, dass bei schönem Wetter angeblich auch mal 50 Nackte auf dem Harzer Naturistenstieg wandern. Aber es war ja schlechtes Wetter, dazu die gesperrte Straße. Wir haben allerdings ein Pärchen in Klamotten getroffen, die zwei waren mit ihrem Hund unterwegs, oder wie der Nacktwanderer es ausdrücken würde: das waren zwei "Textilwanderer" mit ihrem Hund.
Martin Böttcher: Wie war das ,als ihr die "Textilwanderer" getroffen habt?
Juliane Frisse: Das war ziemlich aufregend, obwohl es nur eine ganz kurze Begegnung war:
"Oh guck mal, wir treffen die ersten Leute! – Oh Fantastisch! – Fragen wir die mal – ob wir die ersten Nackten sind, die denen begegnen? Ob die sich das auch überlegt haben…vielleicht ist es denen zu kalt… - Hallo! Wir sind vom Deutschlandfunk Kultur und machen einen Beitrag übers Nacktwandern und Sie sind die ersten Menschen, die wir treffen. – Na, super! – Aber Sie haben was an! – Ja. – treffen Sie hier öfter nackte Leute? – Nee, die ersten drei. – Gehen Sie hier öfter lang? - Nö, wir wollen jetzt nur wegen der Stempelstelle da gucken. Da ist so ne Stempelstelle, wir haben da so ein Heft zum Abstempeln. - Und haben Sie die Schilder gesehen, dass man hier eventuell nackten Leuten begegnet? – Nee. Wir machen jetzt weiter, wir haben noch eine Tour vor uns. - Ja dann, viel Spaß noch. – Tschüss!"
Martin Böttcher: Die wollten aber lieber schnell weiter!
Juliane Frisse: Die hatten mit uns nicht gerechnet… War eventuell bisschen irritierend.

"Ein tolles Naturerlebnis"

Martin Böttcher: Und wie war das für euch, dieses Aufeinandertreffen?
Juliane Frisse: Deutlich unangenehmer als das Nacktsein ohne angezogene Menschen dabei. Ich war superfroh, dass wir quasi eine doppelte Legitimation hatten fürs Nacktsein in der Öffentlichkeit: Einmal eben den Wanderweg und dann noch, dass wir diese Wanderung fürs Radio machen. In dem Moment der Begegnung wollte ich mich nur noch von mir selbst distanzieren und den Leuten klar machen: Hey, wir sind ganz normal, wir respektieren die gesellschaftlichen Spielregeln, wir haben eine Mission. Sonst würden wir hier doch nicht nackt rumlaufen!
Martin Böttcher: Da versteht man dann auch gut, dass die passionierten Nacktwanderer lieber auf einsamen Wanderwegen unterwegs sind.
Juliane Frisse: Ja, und mir ist auch klar geworden: So okay wie wir alle das voreinander Nacktsein fanden und so schön das Körpergefühl war– es ist einfach ungewohnt, es bricht mit Konventionen nackt zu sein, wenn man eben nicht gerade in der Sauna oder im Spa ist. Es ist, glaube ich, auch kein Zufall, dass wir während der Wanderung ständig unser Nacktsein thematisiert haben und uns von unbekleideten Erlebnissen erzählt haben. Also wer über seine Freunde nochmal ganz neue Dinge erfahren will – auch dafür kann ich eine Nacktwanderung sehr empfehlen.
Martin Böttcher: Würdest du nochmal nackt wandern gehen?
Juliane Frisse:Ich fand’s einen total lustigen Ausflug und eben ein tolles Naturerlebnis – also wenn es nicht so weit wäre in den Harz – dann bestimmt.
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