Nachruf

    Günter Grass ist tot

    Der Schriftsteller Günter Grass während einer Lesung
    Der Schriftsteller Günter Grass während einer Lesung © dpa / picture alliance / Tobias Kleinschmidt
    13.04.2015
    Der Schriftsteller Günter Grass ist im Alter von 87 Jahren in Lübeck gestorben. Wie das Günter-Grass-Haus erklärte, sei der Literaturnobelpreisträger mit einer Lungenentzündung in ein Lübecker Krankenhaus eingeliefert worden.
    Seit seinem Debütroman "Die Blechtrommel" (1959) galt Günter Grass als einer der herausragenden Autoren der Welt. Heute ist der Literaturnobelpreisträger mit 87 Jahren in seiner Wahlheimat Lübeck gestorben. Das Günter-Grass-Haus teilte mit, er sei mit einer Lungenentzündung in ein Krankenhaus eingeliefert worden. Sein Tod käme trotz des hohen Alters vollkommen überraschend. Sein letzter öffentlicher Auftritt in Lübeck sei Ende Februar beim Lübecker Literaturtreffen gewesen.
    Grass' Roman "Die Blechtrommel" bildete den Auftakt zu seiner sogenannten Danziger Trilogie, zu der die Novelle "Katz und Maus" von 1961 und der Roman "Hundejahre" von 1963 gezählt werden. Mit der Geschichte des Blechtrommlers Oskar Matzerath machte Grass nicht nur die Nazivergangenheit zum Thema, sondern auch ihre Verdrängung in den als miefig beschriebenen 1950er-Jahren.
    Grass wird als politische Stimme in Deutschland fehlen
    Der Literaturkritiker Jörg Magenau sagte im Deutschlandradio Kultur, Grass werde als politische Stimme in Deutschland fehlen. Er habe es immer wieder geschafft, Diskussionen in Gang zu setzen. Als Beispiel nannte der Kritiker das umstrittene Israel-Gedicht "Was gesagt werden muss" aus dem Jahr 2012. Das Gedicht selbst sei miserabel und läppisch, aber es habe eine politische Botschaft gehabt, die diskussionswürdig gewesen sei.
    Grass habe eine Nase für Themen gehabt, so Magenau: literarisch wie auch politisch. Sein Meister- und Hauptwerk sei die "Danziger Trilogie". Grass habe das Problem gehabt, schon in eher jungen Jahren mit der "Blechtrommel" gleich seinen großen Roman geschrieben zu haben und in der Folge ästhetisch stagniert. Aber auch spätere Werke seien wichtig gewesen, sagte Magenau, vor allem politisch, so beispielsweise "Ein weites Feld" und "Im Krebsgang".
    "Der Stuhl bleibt leer"
    Der Präsident der Akademie der Künster, Klaus Staeck, rechnete im Deutschlandradio Kultur mit den Kritikern Grass' ab. Diese hätten ihn schon länger auf dem Kieker gehabt. Fraglich sei nun, wer seine Rolle als politischer Mahner übernehme, sagt Staeck.
    Erste öffentliche Auszeichnung 1956
    Günter Grass wurde am 16. Oktober 1927 in Danzig geboren. 1944 wurde er als Luftwaffenhelfer eingezogen, er war bis 1946 in amerikanischer Kriegsgefangenschaft in Bayern. Dass er als 17-Jähriger Mitglied der Waffen-SS war, hat er 79-jährig in seiner Autobiographie "Beim Häuten der Zwiebel" eingeräumt.
    1947/1948 absolvierte er eine Steinmetzlehre in Düsseldorf, studierte danach von 1948 bis 1952 Grafik und Bildhauerei an der Düsseldorfer Kunstakademie. Nach dem Krieg war er einer der führenden Autoren der "Gruppe 47". Für sein Gedicht "Lilien aus Schlaf" erhielt Günter Grass 1956 die erste öffentliche Anerkennung: den dritten Preis eines Lyrikwettbewerbs des Süddeutschen Rundfunks.
    Grass kritisierte die "völlige Ökonomisierung der Gesellschaft"
    Als Wahlkämpfer für die SPD wurde Günter Grass 1965 auch politisch aktiv – und er blieb es sein Leben lang. Verstand sich in Aufsätzen, in Reden, in Interviews als Kritiker, Mahner und Warner. Nach dem Mauerfall etwa wandte er sich vehement gegen eine "Ruck-zuck-Einheit", schlug stattdessen ein langsam zusammenwachsendes, föderalistisches Deutschland vor.
    Dass seine politischen Botschaften bald auch seine literarischen Werke prägten, brachte Grass auch Kritik ein. Für seinen "Roman "Ein weites Feld", ein deutsches Geschichtspanorama, angesiedelt in der DDR zwischen Mauerbau und Wiedervereinigung, erfuhr er viel Häme. Doch seiner Schreiblust tat das keinen Abbruch, Jahr für Jahr erschienen weitere Bücher. Auch nach seiner Auszeichnung mit dem Literaturnobelpreis 1999 meldete sich Grass immer wieder zu Wort, wandte sich gegen die "völlige Ökonomisierung der Gesellschaft" oder bezeichnete die "Abschiebepraxis der Bundesregierung" als "demokratisch abgesicherte Barbarei".
    Sein Lebensthema: Die Versöhnung der Deutschen mit sich
    Mit der Novelle "Im Krebsgang" erlebte Grass 2002 auch wieder einen großen Publikumserfolg. Mit der Geschichte vom Untergang der "Wilhelm Gustloff", in der Grass ein von der deutschen Literatur lange gemiedenes Thema aufgreift: die deutsche Vertreibung aus dem Osten. Die Versöhnung der Deutschen mit sich, mit ihrer Geschichte, mit ihren Nachbarn - das war sein Lebensthema.

    Programmhinweis:

    Aus aktuellem Anlass ändern wir unser Programm. In unserer Sendung "Fazit" erinnern wir ab 23:05 Uhr ausführlich an den Literaturnobelpreisträger, unter anderem im Gespräch mit dem Schriftsteller Ingo Schulze. In "Studio 9" sprechen wir morgen um 07:40 Uhr mit dem deutsch-französischen Publizisten Alfred Grosser über die Frage, ob Grass' Tod das Ende der einflussreichen Intellektuellen markiert. Und in der Sendung "Lesart" erinnert sich ab 10:07 Uhr der Autor F.C. Delius an Günter Grass.

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