Nachruf auf Simone Veil

Eine Frau mit Überzeugungen, aber ohne Illusionen

Simone Veil am 18. März 2010, Auschwitz-Überlebende und die erste Präsidentin des Europäischen Parlaments.
Simone Veil: "Manchmal passen Frauen nicht genug auf, wenn sie einen Beruf wählen." © AFP/Francois Guillot
Von Susanne von Schenck · 30.06.2017
Die Überlebende des Holocaust machte nach dem Krieg in Frankreich eine steile politische Karriere. Simone Veil gehörte zu den populärsten Politikerinnen ihres Landes. Vor allem durch das Gesetz zur Legalisierung der Abtreibung wurde sie bekannt. Heute ist sie mit 89 Jahren gestorben.
"Die Fahrt dauerte zweieinhalb Tage: vom Morgen des 13. April bis zu unserer Ankunft in Auschwitz-Birkenau am Abend des 15. Dieses Datum werde ich nie vergessen, ebenso wenig wie den 18. Januar 1945, den Tag, an dem wir Auschwitz verließen und den 23. Mai 1945, an dem wir nach Frankreich zurückkehrten. Das sind die Marksteine meines Lebens."
... schrieb Simone Veil in ihrer Autobiografie "Und dennoch leben". Sie gehörte zu den wenigen, die 1945 aus den Konzentrationslagern zurückkehrten. Von den insgesamt 75.000 deportierten französischen Juden überlebten nur 2500. Simone Veil war 16, als sie 1944 in Nizza in die Fänge der Gestapo geriet: Drancy, Auschwitz, Todesmarsch, Bergen-Belsen. Ein Großteil ihrer Familie kam um.
"Als wir zurückkehrten, war das sehr schwer für uns. Viele Familien hatten große Verluste hinnehmen müssen und begriffen nicht, dass einige zurückkehrten, der Großteil aber nicht. Sie kamen mit dem, was wir erlebt hatten, gar nicht zurecht. Das war schwer zu vermitteln. Und: was wir durchgemacht hatten, interessierte auch nicht. Wir sind daher sehr viel unter uns geblieben, da konnten wir über unsere Erfahrungen aus der Zeit im Lager sprechen."
Im Frankreich der Nachkriegszeit wollte kaum einer etwas über die deportierten Juden hören, nur über Widerstandskämpfer und Kommunisten. Die Ignoranz war groß. Einmal, bei einem Empfang, fragte ein hoher französischer Beamter Simone Veil, ob die tätowierte Nummer auf ihrem Vorderarm ihre Garderobennummer sei.

Ihr Rat an die Frauen: Ergreift den richtigen Beruf!

Gleich nach ihrer Rückkehr 1945 studierte sie Jura, heiratete, bekam drei Kinder und begann ihre Karriere. Schon ihre Mutter hatte sie von der Notwenigkeit überzeugt, einen richtigen Beruf zu erlernen.
"Manchmal passen Frauen nicht genug auf, wenn sie einen Beruf wählen. Sie entscheiden sich zum Beispiel weniger für wissenschaftliche Berufe, obwohl diese sehr gesucht sind. Oder sie meiden Ausbildungen, die zu lange dauern. Auch wenn die meisten Frauen in Frankreich und Deutschland inzwischen berufstätig sind, sollten sie wirklich darauf achten, eine sehr gute Ausbildung zu machen, damit sie später einen Beruf haben, der ihren Vorstellungen entspricht."
Simone Veil hat sich stets als "Überlebende" verstanden. Sie glaubte nach der Hölle der Konzentrationslager an die Möglichkeit eines friedvollen Europas. Schon wenige Jahre nach Kriegsende zog sie mit ihrem Mann für drei Jahre nach Deutschland.

Ihr Einsatz für die Legalisierung der Abtreibung

Ihre politische Karriere begann unter Staatspräsident Giscard D'Estaing. 1975 setzte sie das Gesetz zur Legalisierung der Abtreibung durch. Als "La Loi Veil" (Gesetz Veil) ging es in die Geschichte ein - gegen gewaltige Widerstände. Eine Einsame ist die Politikerin, als sie im klassisch-eleganten Kostüm, die Haare streng zum Knoten gebunden am Rednerpult der Assemblée Nationale steht und ihren Entwurf verteidigt. Ihre Zuhörer: vor allem Männer. Und vor den Türen Demonstranten. Feindseligkeiten allerorten, vor allem aus dem extremen katholischen Lager. Ihre Gegner hatten sie unflätig beschimpft, einige gar Hakenkreuze an die Wände ihres Hauses geschmiert. Aber Simone Veil ließ sich nicht beirren. Für die Belange der Frau einzutreten war eines ihrer zentralen Anliegen.
"Damals gab es viele Frauen, die unter schrecklichen Bedingungen abtrieben und die an den Folgen starben. Das war eine große Ungerechtigkeit. Die, die Geld hatten, fuhren in die Schweiz, nach England oder in die Niederlande. Wie immer waren es die ärmsten, die die größten Schwierigkeiten hatten, die niemanden kannten und die sich in einer ausweglosen Lage befanden. Es starben jährlich mehrere hundert Frauen."
Nur kurze Zeit gehörte die spätere Präsidentin des Europäischen Parlaments einer politischen Partei an. Simone Veil hat sich immer als eine bürgerliche, liberale Politikerin verstanden. Ihre Geisteshaltung war beeindruckend. Keine Verbitterung trotz allen Leids, Bescheidenheit bei allen Erfolgen - Simone Veils Lebensgeschichte ist auch die Geschichte einer großen Charakterstärke. Am 13. Juli wäre sie 90 Jahre alt geworden.
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