Nachkriegsprobleme auf Wienerisch

Von Bernhard Doppler · 06.03.2013
Die "Radiofamilie" war eine Hörfunk-Seifenoper, die in den 50er-Jahren in Österreich populär wurde. 15 Folgen der Soap verfasste die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann. Nun hat das Wiener Volkstheater die Sendemanuskripte auf die Bühne gebracht.
Ingeborg Bachmanns Durchbruch als prominente Nachkriegsschriftstellerin fand in Deutschland 1952 bei einer Tagung der "Gruppe 47" statt. Dass sie zuvor schon in Wien in die literarische Szene integriert war (Paul Celan, Hans Weigel), hat sie selbst meist verschwiegen, insbesondere dass sie als "Script Writer Editor" eine feste Stelle beim Sender der amerikanischen Besatzungsmacht "RWR" (Rot-Weiß-Rot) hatte und in dieser Position 15 Folgen einer in Österreich sehr beliebten Radio-Soap, "Die Radiofamilie", verfasste. Erst in den 90er-Jahren sind die Sendemanuskripte wiedergefunden und 2011 in einer vorbildlichen Edition durch Joseph McVeigh im Suhrkamp-Verlag veröffentlicht worden. Sie ließen Ingeborg Bachmann in einem durchaus neuen Bild erscheinen.

Mit der "Radiofamilie" wollte die amerikanische Besatzungsmacht die Österreicher über das Radio sicherlich auch erziehen, aber ohne erhobenen Zeigefinger, auch wenn der "Sprecher" am Ende einer Folge bisweilen eine Moral verkündet. Es sollte "wienerisch" zugehen, man sollte gar nicht merken, dass hinter der Sendung eine "ausländische" Besatzungsmacht steht. Im Mittelpunkt der "Radiofamilie": die Wohnung der Familie Floriani in der Taubengasse. Die mitwirkenden prominenten Schauspieler liehen - wie nun bei Rene Pollesch-Soaps - den Figuren ihre Vornamen: also Hans Thimig: Hans Floriani, Vilma Degischer: Vilma Floriani, Guido Wieland: Guido Floriani usw.

Der Familienpatriarch - allerdings auch ein wenig verunsichert in seiner Vater-Rolle wie Heinz Erhardt in Filmen dieser Zeit - ist ein pedantischer Gerichtsrat, immer österreichtreu. Doch sein Bruder, Onkel Guido, war Nationalsozialist gewesen, allerdings nur "ein bissl Nazi". Nun als "Ehemaliger" ohne Arbeit, ist Guido sehr erfindungsreich und recht humorvoll. Er selbst sieht sich "ein bissl faustisch", manchmal hat er monarchistischen Größenwahn. An der "Radiofamilie" kann man also gut studieren, wie in Österreich sechs Jahre nach dem Krieg die nationalsozialistische Vergangenheit aufgearbeitet wurde. Und was Ingeborg Bachmann betrifft, kann man fragen, wie sich die familiäre Idylle der Fabianis zur Beziehungs-Destruktion in ihren späteren Werken und den Todesarten-Projekten verhält, wie ihre Abrechnung mit nationalsozialistischen Vaterfiguren (in "Malina" etwa) zur gemütvoll freundlichen Darstellung von Onkel Guido. Sind es zwei Seiten einer Medaille?

Das Wiener Volkstheater hat für die Produktion seine Reihe "Volkstheater in den Außenbezirken" gewählt. Es sind Spielstätten, die das Feuilleton eher meidet. Das Theater tourt nämlich mir solchen Produktionen zu inzwischen oft recht schäbig gewordenen Volkshochschulen in den Kiezen außerhalb des Wiener Gürtels. Die Idee "Volkstheater in den Außenbezirken" stammt aus den 50er-Jahren. Es ist eine ähnlich volksbildnerische Haltung wie die im kulturellen Unterhaltungsprogramm des amerikanischen Besatzungssenders.

Und dennoch: Die Entdeckung der "Radiofamilie" für die Bühne steht nach der Wiener Uraufführung noch aus. Der junge Regisseur Andy Hallwaxx kann sich zunächst nicht ganz zwischen dem Format "Hörspiel live" und Theaterszenen entscheiden. Aufgebaut ist die Wohnung der Familie Floriani, aber gleichzeitig suggeriert eine Tafel "Aufnahme, bitte nicht stören" eine Rundfunk-Studio-Situation; einerseits werden die Szenen realistisch ausgespielt, andererseits fallen die Darsteller aus den Rollen, blättern in den Sendemanuskripten und sind auch immer wieder damit beschäftigt, Geräusche herzustellen, etwa mit dem Donnerblech zu donnern, oft natürlich - einer der allesamt etwas harmlosen Witzelchen - genau an den falschen Stellen. "Die Radiofamilie" in der Volkshochschule Meidling, in der die Uraufführung stattfand, ist so nicht mehr als eine Nostalgie-Revue, denn die sehr auf ein paar gefällige Kabarettpointen verknappten Radiofolgen Ingeborg Bachmanns (immerhin 7,5 Sendestunden) werden noch durch Schlagerhits der 50er-Jahre ("Kriminaltango" "Caprifischer") unterfüttert.

Vorgeführt wird eine gemütlich verklärte Vergangenheit, wobei Publikum und Darsteller mit der Radiofamilie mitgealtert erscheinen. 1951 war die Radiofamilie aber ein jugendliches Unternehmen: Ingeborg Bachmann und ihre Kollegen beim amerikanischen Sender Mitte 20 und selbst der Darsteller des Familienpatriarchen Hans Floriani, der Max-Reinhardt-Star Hans Thimig, erst 50 Jahre alt. Nun spielen - freilich sehr überzeugend - über siebzig Jahre alte Publikumslieblinge (Herbert Prikopa und Günther Tolar), mit denen das Wiener Radio- und Theaterpublikum über Jahrzehnte groß geworden ist, und eine der bekanntesten österreichischen Radiostimmen der 60er-Jahre, Rosemarie Isopp, Moderatorin der Sendung "Autofahrer unterwegs!" - die Sendung hatte eigentlich gar nichts mit der Radiofamilie zu tun - , wird auf die Bühne gebeten. Man meint, bei einer Geburtstagsfeier im Altersheim zu sein.

Sicherlich hat die Radiofamilienidylle die Probleme der Nachkriegszeit humoristisch behandelt, aber gerade unter der Anstrengung der Verharmlosung wird, wenn man es will, die tiefe gesellschaftliche Verunsicherung der 50er-Jahre - und schließlich wohl auch die Ingeborg Bachmanns - nur allzu deutlich: Wie sich neu orientieren? Welche Rolle soll Familie, Partnerschaft überhaupt nun spielen? Welche die moderne, eben noch "entartete" Kunst? Welche Aufgabe kommt der Bildung zu, welche der Politik, wie sich der Vergangenheit stellen? Nicht nur der ehemalige Nazi Onkel Guido experimentierte 1951 immer wieder neu.

Vielleicht ist eine Entdeckung von Ingeborg Bachmanns "Radiofamilie" fern von Wien leichter. Das Schauspielhaus Zürich hat eine weitere Inszenierung angekündigt.


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