Nachhaltiger Naturschutz

28.06.2010
Die Idee der Nachhaltigkeit ist eine Tochter der Krise. Und nur, wo es traurige Erfahrungen gibt, findet sie Gehör. So die These von Ulrich Grober. Zum Beispiel: Ein Arzt, der eine "n a c h h a l t i g wirksame Diät" empfiehlt, wendet sich vorzüglich an ein Publikum, das von Produkten enttäuscht ist, die zwar schnell die Pfunde purzeln lassen, über kurz oder lang aber den gefürchteten Yo-Yo-Effekt provozieren. Der menschliche Körper "rächt sich" für jede ihm unangemessene Diät.
"Nachhaltigkeit, nachhaltend, nachhaltig", wo kommen die Wörter eigentlich her? Grober hat gründlich in Archiven recherchiert. In einer deutschen Amtsstube des frühen 18. Jahrhunderts ist er fündig geworden, genauer: bei Hans Carl von Carlowitz, Berghauptmann zu Freiberg, beamtet durch Sachsenkönig August den Starken.

"Carlowitz ist einzig und allein berufen worden, um eine Schlüsselfrage für die Existenz des Bergbaus dauerhaft zu lösen: die Versorgung mit Holz",

hat Grober herausgefunden.

Die Freiberger Silbergruben hatten König August und seine Residenz Dresden reich gemacht, die Freiberger Flur indessen arm an Wäldern. Denn die Stollen wurden mit Holzbalken ausgebaut und die Öfen der Schmelzhütten mit Holzkohle befeuert, daher der allmähliche Kahlschlag rund um die Bergbau-Stadt.

Von Carlowitz, besorgt um die sächsischen Waldbestände, schreibt ein Buch über Baumzucht, 1713 in Leipzig veröffentlicht. Es widmet sich der Frage:

"Wie ein Anbau des Holtzes anzustellen sei, dass es eine continuierliche beständige und n a c h ha l t e n d e Nutzung gebe. Weil es eine unentbehrliche Sache ist ohne welche das Land nicht bleiben mag."

Das Wort "nachhaltend" ist also eine Schöpfung der sächsischen Kanzlei-Sprache im Zeitalter des Barock. - Die Idee der Nachhaltigkeit, betont Ulrich Grober, ist allerdings ist wesentlich älter:

"Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, auf dass er ihn bebaue und bewahre",

heißt es im Buch Genesis der hebräischen Bibel. Schon in der Antike hat man gewusst: Wenn der Mensch aus dem Umgang mit der Natur dauerhaft Nutzen ziehen will, dann muss er deren exzessive Ausbeutung vermeiden und sich stattdessen um ihre Pflege und Bewahrung bemühen.

In 14 Kapiteln, jedes für sich ein kulturhistorischer Essay, spürt Grober der Idee der "conservatio " nach. Denn überall dort, wo das deutsche Wort "Nachhaltigkeit" ins Spiel kommt, ist etwas Ähnliches gemeint wie das lateinische "conservare", das soviel bedeutet wie "vorausschauend pflegen und mit Sorgfalt bewahren".

Mit anderen Worten: die Idee der Notwendigkeit eines nachhaltig-pfleglichen Umgangs mit der Natur ist keine Erfindung der "grünen" Parteien des 20. Jahrhunderts, sondern geistiges Weltkulturerbe. Man findet diese Idee im mystischen Sonnengesang des Franz von Assisi genauso wie in den nüchtern kalkulierten Plänen zur Forstreform in Frankreich unter Ludwig dem XIV. Oder auch bei Philosophen wie Descartes und Spinoza. Oder in den Reise-Tagebüchern des Alexander von Humboldt. Als Humboldt um 1800 den tropischen Regenwald von Venezuela zu Gesicht bekam, fand er es

"Unbegreiflich, dass man hier so wüthig abholzt! Und Holz- und Wassermangel zugleich erregt."

Ulrich Grober ist sowohl ein sprachgewandter Journalist als auch ein kenntnisreicher Historiker. Dieses Buch hat er nicht aus dem Ärmel geschüttelt, es ist vielmehr die Frucht jahrzehntelanger Recherchen.

In den drei Schluss-Kapiteln geht es um Zeitgeschichte. Grober resümiert die großen UN-Umweltkonferenzen der letzten beinah 40 Jahre: Stockholm 1972, Rio 1992, Kopenhagen 2009 - und kommt zu einem bitteren Schluss:

"Der Planet steuert immer noch auf den Kollaps zu, den der Club of Rome für die Mitte des 21. Jahrhunderts vorhersagte."

Denn über nachhaltigen Naturschutz wird zwar seit 40 Jahren weltweit viel geredet, aber mit Taten ist es bisher nicht weit her. Es bleibt zu hoffen, dass Leser, denen die Themen dieses Bandes am Herzen liegen, ihn nicht im Buchladen links liegen lassen wegen des staubtrockenen Titels. Das wäre schade, denn dieses Buch schärft das Bewusstsein dafür, dass der Planet, auf dem wir leben, von uns mit Sorgfalt bewahrt werden muss.

Besprochen von Susanne Mack

Ulrich Grober: Die Entdeckung der Nachhaltigkeit. Kulturgeschichte eines Begriffs
Verlag Antje Kunstmann, München 2010
360 Seiten, 19,90 Euro