Nachhaltige Landwirtschaft

Feine Erde aus vollen Windeln

In Windeln und Gummistiefeln laufen zwei kleine Mädchen in Berlin auf dem Platz zwischen Bundeskanzleramt und Reichstag herum.
Windeln enthalten einen wichtigen Rohstoff, der nicht unbedingt in den Müll gehört. © dpa / picture alliance / Stephanie Pilick
Von Anja Krieger · 29.12.2016
Bis zu zehn Prozent des kommunalen Mülls besteht aus vollen Windeln, schätzt das Berliner Startup Dycle. Dabei ist das, was darin steckt, ein fruchtbarer Rohstoff. Deshalb verwandeln die Gründer den Inhalt der Windeln in feine Erde und düngen damit Bäume.
"Macht Spaß. Hier sind Steine drin, der Spaten ist stumpf, aber der Geist ist willig!"
Gut gelaunt sticht Doris Wollgien-Hahn mit ihrem Spaten in das braune Loch. Es ist Samstag und die Tierärztin aus Berlin hat heute frei. Nun steht sie mitten in Brandenburg auf einem Feld und gräbt Löcher für die Setzlinge. Es ist eiskalt und neblig, doch Doris ist voller Tatendrang:
"Alles für einen guten Zweck! Damit die Babies und die Erwachsenen später Pflaumen, Äpfel, Birnen essen können, ne? Alte Sorten, wunderbar."
Doris und die elf anderen Feldarbeiter sind mit Elan bei der Sache. Dick eingepackt in Mützen, Schals und warme Jacken ziehen sie von einem Ende der Wiese zum anderen. Alle paar Meter stecken sie einen langen Stock ins Loch, der den etwa 50 jungen Bäumchen das Wachsen erleichtern soll. Es sind Zwetschgen, Mirabellen und Äpfel – alte Sorten, die gut zum Sandboden der Gegend passen. Bio-Landwirtin Angelika Fietze-Glawe will hier eine Streuobstwiese anlegen. Damit die Bäume gut wachsen, haben ihre Helfer nicht nur die Setzlinge, sondern auch zwei weiße Eimer mitgebracht – mit einer ganz besonderen Erde.
"Also richtig tolle Erde, ich habe sie schon gesehen. Richtig schöne Erde, also echt. Da sieht man schon, dass da eine Kraft drin ist, das ist einfach schön, auch für die Pflanzen nachher."
Die Kraft in der Erde stammt von Produzenten, die noch ziemlich jung sind: Windelkinder. Das Berliner Startup Dycle erntet ihre vollen Windeln und verwandelt sie in fruchtbaren Humus. "Dycle", das ist eine Wortschöpfung aus Diaper, wie die Windel, und Cycle, wie der Kreislauf. Ausgedacht hat sich das die japanische Künstlerin Ayumi Matsuzaka.
"Die Kreislauf-Wirtschaft besteht aus mehreren Schritten: Die Leute sammeln die Windeln, machen Erde draus und dieses Terra Preta Substrat wird dann als Nährstoff für die Bäume genutzt, die sie pflanzen. Einige Jahre später können sie dann die Früchte ernten und essen."

"Terra Preta" heißt Schwarze Erde

20 Familien aus Berlin haben die vollen Windeln ihrer Babys in einem Eimer gesammelt und Holzkohle mit Mikroorganismen dazu gegeben. Als die Eimer voll waren, hat das Team von Dycle den Inhalt unter hoher Hitze zur sogenannten Terra Preta verarbeitet. Das Prinzip basiert auf einer jahrhundertealten Technik aus Südamerika. Schon die Ureinwohner des Amazonasgebiets stellten die Erde aus ihren Abfällen her und verbesserten so ihre Böden. Denn Terra Preta – Portugiesisch für "schwarze Erde" – enthält besonders viel Phosphat und Stickstoff. Während des Kompostierprozesses wird zudem die Umwandlung von Treibhausgasen zu Kohlenstoff angeregt, was CO2-Emissionen auffängt.
Ayumi Matsuzaka experimentiert schon lange mit Kreisläufen zwischen Mensch und Natur:
"Die Abfallprodukte deines Körpers, die die Natur mithilfe von Insekten, Mikroorganismen und Pilzen in fruchtbare Erde umwandelt, das ist das Material, auf dem Neues wächst. Also: Man beginnt mit etwas, was man nie als wertvoll betrachtet hat, und schafft daraus neuen Wert, den man dann nutzen kann."
Ein einziges Kleinkind, schätzt Dycle, kann pro Monat mehr als 30 Liter Humuserde erzeugen helfen. Das wäre eine Tonne pro Jahr – ausreichend für etwa 1000 Baumsetzlinge. Voraussetzung: die Windeln sind biologisch abbaubar. Und das sind die handelsüblichen Windeln derzeit nicht. Sie bestehen aus Plastik und Superabsorbern, und selbst bei Öko-Windeln beträgt der kompostierbare Anteil oft gerade mal 13 Prozent.

Pilze sollen beim Abbau helfen

Für ihr Pilotprojekt behalfen sich Matsuzaka und ihr Team deshalb mit Windel-Einlagen aus Zellulose. Zusammen mit Forschern der TU Berlin entwickeln sie zudem Fertigungsmaschinen für die ersten eigenen, vollständig abbaubaren Windeln. Mit Mikrobiologen aus Tübingen erforschen sie Pilze, die helfen sollen, die Windeln besser und schneller abzubauen. Bisher dauert der Prozess etwa ein Jahr.
"Um von der Windel, die voll ist, das in Erde umzuwandeln, das dauert eben halt alles seine Zeit. Genauso wie der Regenwurm den Kompost ja nicht gleich fertig macht, sondern braucht ja auch ein zwei Jahre, eh der Regenwurm sich durch den Kompost durchgefressen hat, und man dann hinterher erst gute Erde hat – genauso ist es mit den Windeln."
"So, wir nehmen den Eimer hier..."
Christian Schloh, der als Programmierer zu Dycle kam, geht zum Auto am Feldweg und holt die zwei weißen Eimer aus dem Kofferraum. Die Helfer machen Platz, als er sie zu den Pflanzlöchern mit den Bäumen trägt. Drinnen liegt die weiche Erde, fluffig und ganz dunkelbraun.
Christian: Terra Preta.
Rolf: Schon fertiges?
Christian: Ja.
Rolf: Gut.
Christian: Von unseren Babies...
Rolf: Sehr gut, sehr gut!
Die Videokamera läuft, als Christian Schloh die Erde in das Pflanzloch rieseln lässt. Für Dycle und ihre Unterstützer vom regionalen Nahrungsnetzwerk Food Assembly sind die fünf Stunden Arbeit in Eiseskälte ein wichtiger Schritt. Ayumi Matsuzaka richtet ein paar Worte an die Runde:
"Wir haben so gedacht, we thought that planting a tree is a kind of responsibility for the next generations. And we gave our time and energy today to plant the trees. Und dann überlegen wir kurz, was ist unser Wunsch? Oder dein Wunsch?"

Erntefest in ein paar Jahren

Es werden kleine Textilbinder und Stifte verteilt, und jeder darf sich etwas wünschen. Bäuerin Angelika Fietze-Glawe notiert ein paar Gedanken und bindet sie an einen Ast:
"Was ich wirklich sage, Stadt und Land sollen wieder zusammen kommen, als zweites natürlich einen guten Ertrag, ist ja klar, und der dritte speziell...?"
Rolf: "Auf dass es ein guter Schnaps werden möge, wenn die fertig sind, verstehste? So’n schönen Apfelschnaps oder Marillenschnaps, oder..."
Angelika: "Ja, ja, ja, dann häng ick ja nur noch an der Pulle!"
Wenn die Bäumchen in ein paar Jahren Früchte tragen, wollen sie alle wiederkommen und zur Ernte ein Fest feiern. Vielleicht sind dann ja auch die Kinder dabei, deren Windeln den Boden gedüngt haben. Wenn die Kleinen dann ins Obst beißen, schließt sich der Kreis.
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